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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Baron Alexander hatte aus dem Munde eines der Betrunkenen soviel
über die Vorgänge in Erfahrung gebracht, um sich die grausigen Einzelheiten
vorstellen zu können.

Der Mann war immer noch im Rausche und lallte Maddis seine
triumphierenden Worte ins Gesicht, als spräche er mit einem seiner Kumpane.

"Kurat! Mensch -- hat der gequieckt! Zuerst hat er kein Wort gesagt.
Alles was wahr is -- nich mit der Wimper hat er gezuckt, als wir ihn mit
der Klinge die Nase kitzelten. Aber dann gings ihm doch über den Appetit.
So 'n breiten Kopp hatte der Nagel! Buen, bum machte der Hammer, da hat
das Barönchen auf einmal die Sprache wiedergefunden: "Oh -- us -- ih"
hat er geschrien..."

Maddis fragte: "Hast du das selbst gemacht oder wer war noch dabei?"

"Hab -- das ham mer schon oft gemacht. Aber auf Wrangelshof, da
wars erst fein. Da is so 'n Kerl Verwalter, mit so 'n langen adligen Namen,
hat die Leute kujoniert und geplagt! Na -- das Aas ham wer uns gelangt.
Angeschirrt ham wirr wie 'n Ochsen und ham 'u vor die Egge gespannt. Mit
Hu und Hott gings auf den Acker und die Peitsche ham wir ihm um die Lenden
gehauen. Kannst dir denken: der hat was Blut geschwitzt. . ."

Der Spitzbube wollte sich ausschütten vor Lachen, als er Maddis von seinen
Heldentaten erzählte

Er sah nicht, daß hinter ihnen die Junker standen und die Dragoner, und
ahnte nicht, daß er sich' mit seiner Prahlerei selbst den Strick drehte.

"Du Schuft!" dachte Maddis. "Du bist ja kein Este -- ein ganz gemeiner
Mörder bist du. Den Jungherrn hast du gemartert -- man weiß nicht, ob er
mit dem Leben davonkömmt. Wir sollten dich auch am Ohr aufhängen, du
Hund, aber warte, wir kriegen dich. . ."

Er fragte weiter und tat so, als sei er em Gesinnungsgenosse. Ganz
Rächer war er, und sein altes treues Herz zuckte vor Schmerz und Empörung,
so oft er aus dem Kondor das Stöhnen des Verwundeten hörte. "Na -- und
was wirst du nun machen?"

"Höh jetzt gehts erst los. Da -- sieh hin: wo ist Schloß Borküll?
Alle Barone müssen so ausgeräuchert werden. In Petersburg sind sie auch schon
an der Arbeit. Der Zar selbst muß dran glauben. . ."

Weiter kam er nicht. Seine letzten Worte ließen es dem Dragoneroffizier
geraten erscheinen, ihm ein für allemal den Mund zu stopfen.

Der Este hatte nicht lange Zeit, sich zu verwundern. Kaum daß er über¬
rascht und verständnislos seine Augen aufriß, als die Soldaten aus dem Dunkel
vor ihn hintraten -- da wurde ihm auch schon der Sack über den Kopf ge¬
stülpt, das Armesünderkleid, mit dem das Standgericht dem Delinquenten barm¬
herzig die letzten schweren Augenblicke verhüllte.

Ein kurzer Schrei aus den: Parke war das einzige Zeichen, daß hier der
Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Im Laufe der Nacht folgten noch


Sturm

Baron Alexander hatte aus dem Munde eines der Betrunkenen soviel
über die Vorgänge in Erfahrung gebracht, um sich die grausigen Einzelheiten
vorstellen zu können.

Der Mann war immer noch im Rausche und lallte Maddis seine
triumphierenden Worte ins Gesicht, als spräche er mit einem seiner Kumpane.

„Kurat! Mensch — hat der gequieckt! Zuerst hat er kein Wort gesagt.
Alles was wahr is — nich mit der Wimper hat er gezuckt, als wir ihn mit
der Klinge die Nase kitzelten. Aber dann gings ihm doch über den Appetit.
So 'n breiten Kopp hatte der Nagel! Buen, bum machte der Hammer, da hat
das Barönchen auf einmal die Sprache wiedergefunden: „Oh — us — ih"
hat er geschrien..."

Maddis fragte: „Hast du das selbst gemacht oder wer war noch dabei?"

„Hab — das ham mer schon oft gemacht. Aber auf Wrangelshof, da
wars erst fein. Da is so 'n Kerl Verwalter, mit so 'n langen adligen Namen,
hat die Leute kujoniert und geplagt! Na — das Aas ham wer uns gelangt.
Angeschirrt ham wirr wie 'n Ochsen und ham 'u vor die Egge gespannt. Mit
Hu und Hott gings auf den Acker und die Peitsche ham wir ihm um die Lenden
gehauen. Kannst dir denken: der hat was Blut geschwitzt. . ."

Der Spitzbube wollte sich ausschütten vor Lachen, als er Maddis von seinen
Heldentaten erzählte

Er sah nicht, daß hinter ihnen die Junker standen und die Dragoner, und
ahnte nicht, daß er sich' mit seiner Prahlerei selbst den Strick drehte.

„Du Schuft!" dachte Maddis. „Du bist ja kein Este — ein ganz gemeiner
Mörder bist du. Den Jungherrn hast du gemartert — man weiß nicht, ob er
mit dem Leben davonkömmt. Wir sollten dich auch am Ohr aufhängen, du
Hund, aber warte, wir kriegen dich. . ."

Er fragte weiter und tat so, als sei er em Gesinnungsgenosse. Ganz
Rächer war er, und sein altes treues Herz zuckte vor Schmerz und Empörung,
so oft er aus dem Kondor das Stöhnen des Verwundeten hörte. „Na — und
was wirst du nun machen?"

»Höh jetzt gehts erst los. Da — sieh hin: wo ist Schloß Borküll?
Alle Barone müssen so ausgeräuchert werden. In Petersburg sind sie auch schon
an der Arbeit. Der Zar selbst muß dran glauben. . ."

Weiter kam er nicht. Seine letzten Worte ließen es dem Dragoneroffizier
geraten erscheinen, ihm ein für allemal den Mund zu stopfen.

Der Este hatte nicht lange Zeit, sich zu verwundern. Kaum daß er über¬
rascht und verständnislos seine Augen aufriß, als die Soldaten aus dem Dunkel
vor ihn hintraten — da wurde ihm auch schon der Sack über den Kopf ge¬
stülpt, das Armesünderkleid, mit dem das Standgericht dem Delinquenten barm¬
herzig die letzten schweren Augenblicke verhüllte.

Ein kurzer Schrei aus den: Parke war das einzige Zeichen, daß hier der
Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Im Laufe der Nacht folgten noch


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[0481] Sturm Baron Alexander hatte aus dem Munde eines der Betrunkenen soviel über die Vorgänge in Erfahrung gebracht, um sich die grausigen Einzelheiten vorstellen zu können. Der Mann war immer noch im Rausche und lallte Maddis seine triumphierenden Worte ins Gesicht, als spräche er mit einem seiner Kumpane. „Kurat! Mensch — hat der gequieckt! Zuerst hat er kein Wort gesagt. Alles was wahr is — nich mit der Wimper hat er gezuckt, als wir ihn mit der Klinge die Nase kitzelten. Aber dann gings ihm doch über den Appetit. So 'n breiten Kopp hatte der Nagel! Buen, bum machte der Hammer, da hat das Barönchen auf einmal die Sprache wiedergefunden: „Oh — us — ih" hat er geschrien..." Maddis fragte: „Hast du das selbst gemacht oder wer war noch dabei?" „Hab — das ham mer schon oft gemacht. Aber auf Wrangelshof, da wars erst fein. Da is so 'n Kerl Verwalter, mit so 'n langen adligen Namen, hat die Leute kujoniert und geplagt! Na — das Aas ham wer uns gelangt. Angeschirrt ham wirr wie 'n Ochsen und ham 'u vor die Egge gespannt. Mit Hu und Hott gings auf den Acker und die Peitsche ham wir ihm um die Lenden gehauen. Kannst dir denken: der hat was Blut geschwitzt. . ." Der Spitzbube wollte sich ausschütten vor Lachen, als er Maddis von seinen Heldentaten erzählte Er sah nicht, daß hinter ihnen die Junker standen und die Dragoner, und ahnte nicht, daß er sich' mit seiner Prahlerei selbst den Strick drehte. „Du Schuft!" dachte Maddis. „Du bist ja kein Este — ein ganz gemeiner Mörder bist du. Den Jungherrn hast du gemartert — man weiß nicht, ob er mit dem Leben davonkömmt. Wir sollten dich auch am Ohr aufhängen, du Hund, aber warte, wir kriegen dich. . ." Er fragte weiter und tat so, als sei er em Gesinnungsgenosse. Ganz Rächer war er, und sein altes treues Herz zuckte vor Schmerz und Empörung, so oft er aus dem Kondor das Stöhnen des Verwundeten hörte. „Na — und was wirst du nun machen?" »Höh jetzt gehts erst los. Da — sieh hin: wo ist Schloß Borküll? Alle Barone müssen so ausgeräuchert werden. In Petersburg sind sie auch schon an der Arbeit. Der Zar selbst muß dran glauben. . ." Weiter kam er nicht. Seine letzten Worte ließen es dem Dragoneroffizier geraten erscheinen, ihm ein für allemal den Mund zu stopfen. Der Este hatte nicht lange Zeit, sich zu verwundern. Kaum daß er über¬ rascht und verständnislos seine Augen aufriß, als die Soldaten aus dem Dunkel vor ihn hintraten — da wurde ihm auch schon der Sack über den Kopf ge¬ stülpt, das Armesünderkleid, mit dem das Standgericht dem Delinquenten barm¬ herzig die letzten schweren Augenblicke verhüllte. Ein kurzer Schrei aus den: Parke war das einzige Zeichen, daß hier der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Im Laufe der Nacht folgten noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/481>, abgerufen am 28.12.2024.