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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

weitere Exempel, und unter den Dorfbewohnern verbreiteten sich Angst und
Schrecken.

Da war es Paul von der Borke, der ihnen zum Retter wurde. Er hatte
unter den Weibern seine alte Amme Maki bemerkt, die Frau des Buschwächters
Ojason, und ihr Jammern hatte sein Herz gerührt.

"Sie werden unsere Männer finden und werden alle aufhängen: Jungherr,
helfen Sie uns. Keiner von ihnen hat brennen wollen, aber die Kerls haben
ihnen die Gewehre vorgehalten, daß sie mitlaufen mußten. Sie haben nichts
getan als gesoffen, wahrhaftigen Gott nicht, Jungherr. Und keine Ahnung
haben sie gehabt von all den furchtbaren Sachen!"

Der Dragoneroffizier war ein verständiger Mann. Er ließ die Dorfleute
zusammenrufen und hielt ihnen angesichts seiner waffenstarrenden Truppe eine
kurze Rede, die Paul von der Borke übersetzte:

"Ihr habt gesehen, daß des Zaren Macht mit jeder frechen Anmaßung
bald fertig wird. Das beweisen euch die Leiber der Gehängten drüben im Park.
Verschließe darum eure Ohren gegen neue.Versetzungen, helft gutmachen und
aufbauen, was die da drüben zerstört haben!"

Aber erst nachdem die Dragoner bis auf die Wachen nach dem Krug ab¬
gezogen waren, wagten sich die Männer aus ihren Verstecken hervor. Mit der
Mütze in der Hand und tiefen Bücklingen traten sie zu den Baronen und ver¬
sicherten mit vielen Worten, daß sie die Treue selber wären.

Es fügte sich von selbst, daß sie vor allem Paul von der Borke Vertrauen
entgegenbrachten. Maki hatte sein Loblied gesungen und sich nicht genug tun
können, von seinem guten Herzen zu erzählen: "Ohne ihn singt ihr jetzt auch
am Baum, und wüßtet nicht wie!"

Es gab noch manches zu retten. Verängstetes Vieh lief massenweise in
Park und Wald umher und brüllte gegen Morgen nach dem gewohnten Futter.
Da stellte Edles tatkräftig ihre Hilfe zur Verfügung, und Seite an Seite mit
dem so plötzlich aus seiner stillen Welt verschlagenen Gelehrten brachte sie, so
gut es gehen wollte, Ordnung in diese grauenhafte Verwirrung.

Der heraufdämmernde Morgen sah ein eigentümliches Bild. Wie eine
Schar Auswanderer, die sich mit dürftiger Habe dem Hafen zuwenden, von
dem aus sie ihre Reise in die neue Welt antreten, zogen die obdachlosen Hof¬
leute und Dörfler die Straße nach Sternburg entlang.

Es war bitterlich kalt geworden -- auf Feldern und Bäumen lag Reif.
Hier tat rasche Hilfe not.

Im Schritt ließen die Junker ihre ermüdeten Pferde dahintrollen, und auch
die Kutsche mit Baron Alexander und den beiden Kranken fuhr vorsichtig ihren Weg.

Nur Paul und Edles blieben mit einigen Knechten und Mägden auf der
Brandstätte zurück. In dem Anbau der Brennerei, wo Verwalter Kirsch sein
Quartier gehabt hatte, richteten sie sich häuslich ein. Ein kräftiger Kaffee wurde
gekocht und schwarzes Brot wurde herbeigeschafft.


Sturm

weitere Exempel, und unter den Dorfbewohnern verbreiteten sich Angst und
Schrecken.

Da war es Paul von der Borke, der ihnen zum Retter wurde. Er hatte
unter den Weibern seine alte Amme Maki bemerkt, die Frau des Buschwächters
Ojason, und ihr Jammern hatte sein Herz gerührt.

„Sie werden unsere Männer finden und werden alle aufhängen: Jungherr,
helfen Sie uns. Keiner von ihnen hat brennen wollen, aber die Kerls haben
ihnen die Gewehre vorgehalten, daß sie mitlaufen mußten. Sie haben nichts
getan als gesoffen, wahrhaftigen Gott nicht, Jungherr. Und keine Ahnung
haben sie gehabt von all den furchtbaren Sachen!"

Der Dragoneroffizier war ein verständiger Mann. Er ließ die Dorfleute
zusammenrufen und hielt ihnen angesichts seiner waffenstarrenden Truppe eine
kurze Rede, die Paul von der Borke übersetzte:

„Ihr habt gesehen, daß des Zaren Macht mit jeder frechen Anmaßung
bald fertig wird. Das beweisen euch die Leiber der Gehängten drüben im Park.
Verschließe darum eure Ohren gegen neue.Versetzungen, helft gutmachen und
aufbauen, was die da drüben zerstört haben!"

Aber erst nachdem die Dragoner bis auf die Wachen nach dem Krug ab¬
gezogen waren, wagten sich die Männer aus ihren Verstecken hervor. Mit der
Mütze in der Hand und tiefen Bücklingen traten sie zu den Baronen und ver¬
sicherten mit vielen Worten, daß sie die Treue selber wären.

Es fügte sich von selbst, daß sie vor allem Paul von der Borke Vertrauen
entgegenbrachten. Maki hatte sein Loblied gesungen und sich nicht genug tun
können, von seinem guten Herzen zu erzählen: „Ohne ihn singt ihr jetzt auch
am Baum, und wüßtet nicht wie!"

Es gab noch manches zu retten. Verängstetes Vieh lief massenweise in
Park und Wald umher und brüllte gegen Morgen nach dem gewohnten Futter.
Da stellte Edles tatkräftig ihre Hilfe zur Verfügung, und Seite an Seite mit
dem so plötzlich aus seiner stillen Welt verschlagenen Gelehrten brachte sie, so
gut es gehen wollte, Ordnung in diese grauenhafte Verwirrung.

Der heraufdämmernde Morgen sah ein eigentümliches Bild. Wie eine
Schar Auswanderer, die sich mit dürftiger Habe dem Hafen zuwenden, von
dem aus sie ihre Reise in die neue Welt antreten, zogen die obdachlosen Hof¬
leute und Dörfler die Straße nach Sternburg entlang.

Es war bitterlich kalt geworden — auf Feldern und Bäumen lag Reif.
Hier tat rasche Hilfe not.

Im Schritt ließen die Junker ihre ermüdeten Pferde dahintrollen, und auch
die Kutsche mit Baron Alexander und den beiden Kranken fuhr vorsichtig ihren Weg.

Nur Paul und Edles blieben mit einigen Knechten und Mägden auf der
Brandstätte zurück. In dem Anbau der Brennerei, wo Verwalter Kirsch sein
Quartier gehabt hatte, richteten sie sich häuslich ein. Ein kräftiger Kaffee wurde
gekocht und schwarzes Brot wurde herbeigeschafft.


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[0482] Sturm weitere Exempel, und unter den Dorfbewohnern verbreiteten sich Angst und Schrecken. Da war es Paul von der Borke, der ihnen zum Retter wurde. Er hatte unter den Weibern seine alte Amme Maki bemerkt, die Frau des Buschwächters Ojason, und ihr Jammern hatte sein Herz gerührt. „Sie werden unsere Männer finden und werden alle aufhängen: Jungherr, helfen Sie uns. Keiner von ihnen hat brennen wollen, aber die Kerls haben ihnen die Gewehre vorgehalten, daß sie mitlaufen mußten. Sie haben nichts getan als gesoffen, wahrhaftigen Gott nicht, Jungherr. Und keine Ahnung haben sie gehabt von all den furchtbaren Sachen!" Der Dragoneroffizier war ein verständiger Mann. Er ließ die Dorfleute zusammenrufen und hielt ihnen angesichts seiner waffenstarrenden Truppe eine kurze Rede, die Paul von der Borke übersetzte: „Ihr habt gesehen, daß des Zaren Macht mit jeder frechen Anmaßung bald fertig wird. Das beweisen euch die Leiber der Gehängten drüben im Park. Verschließe darum eure Ohren gegen neue.Versetzungen, helft gutmachen und aufbauen, was die da drüben zerstört haben!" Aber erst nachdem die Dragoner bis auf die Wachen nach dem Krug ab¬ gezogen waren, wagten sich die Männer aus ihren Verstecken hervor. Mit der Mütze in der Hand und tiefen Bücklingen traten sie zu den Baronen und ver¬ sicherten mit vielen Worten, daß sie die Treue selber wären. Es fügte sich von selbst, daß sie vor allem Paul von der Borke Vertrauen entgegenbrachten. Maki hatte sein Loblied gesungen und sich nicht genug tun können, von seinem guten Herzen zu erzählen: „Ohne ihn singt ihr jetzt auch am Baum, und wüßtet nicht wie!" Es gab noch manches zu retten. Verängstetes Vieh lief massenweise in Park und Wald umher und brüllte gegen Morgen nach dem gewohnten Futter. Da stellte Edles tatkräftig ihre Hilfe zur Verfügung, und Seite an Seite mit dem so plötzlich aus seiner stillen Welt verschlagenen Gelehrten brachte sie, so gut es gehen wollte, Ordnung in diese grauenhafte Verwirrung. Der heraufdämmernde Morgen sah ein eigentümliches Bild. Wie eine Schar Auswanderer, die sich mit dürftiger Habe dem Hafen zuwenden, von dem aus sie ihre Reise in die neue Welt antreten, zogen die obdachlosen Hof¬ leute und Dörfler die Straße nach Sternburg entlang. Es war bitterlich kalt geworden — auf Feldern und Bäumen lag Reif. Hier tat rasche Hilfe not. Im Schritt ließen die Junker ihre ermüdeten Pferde dahintrollen, und auch die Kutsche mit Baron Alexander und den beiden Kranken fuhr vorsichtig ihren Weg. Nur Paul und Edles blieben mit einigen Knechten und Mägden auf der Brandstätte zurück. In dem Anbau der Brennerei, wo Verwalter Kirsch sein Quartier gehabt hatte, richteten sie sich häuslich ein. Ein kräftiger Kaffee wurde gekocht und schwarzes Brot wurde herbeigeschafft.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/482>, abgerufen am 19.10.2024.