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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Der Prinz von Ithaka als Lrzichcr

hier der Gegensatz zwischen seiner Kraftnatur und dem etwas weichen, larmovanten
und immer am Gängelbande seines Lehrers schreitenden Produkt Fönelonscher
Erziehung unbewußt zutage. Er schildert die Typen des guten und des bösen
Regenten, wie Fenelon sie gezeichnet hat, und hebt dabei (und das ist das
Interessante) besonders die Eigenschaften hervor, die für sein eigenes Wesen
charakteristisch geworden sind: die unermüdliche tägliche Arbeit im Dienste des
Staates, die abendliche Erholung in der Gemeinschaft rechtschaffener Männer,
die Furcht, von gewissenlosen Dienern betrogen zu werden und das Bestreben,
sich nützliche Kenntnisse von fremden Ländern zu erwerben.

Überall ist er dem Verhältnis zwischen Fürst und erstem Diener nach¬
gegangen. Noch stand ja alles unter dem Eindruck des Sturzes Danckelmanns,
der nicht ohne Zutun Sophie Charlottens erfolgt war. Sein Prozeß, der nun
schon zwei Jahre dauerte, beschäftigte aller Gemüter. Kein Zweifel, daß Friedrich
Wilhelm ihn damals mit den Augen seiner Mutter ansah. Fast unbewußt hebt
er bei der Schilderung ungetreuer Minister diejenigen Züge hervor, welche die
Hauptpunkte der Anklage gegen Danckelmann bildeten. Das Ergebnis ist seine
lebhafte Zustimmung zu der "schönen Reflexion" Mentors: faule und nach¬
lässige Fürsten überließen sich fast immer intriganten Günstlingen. Wohl
gemerkt hat er sich ferner, wie er hinzufügt, die Antwort Mentors auf die
Frage, ob man sich geschickter Leute bedienen dürfe, auch wenn sie schlecht seien:
man könne sie eine Zeitlang benutzen, wenn man sie ohne Gefahr nicht los¬
werden könne, müsse sich aber wohl hüten, ihnen in den geheimsten Affären
Vertrauen zu schenken. Unwillkürlich erinnert man sich dabei der merkwürdigen
Stelle in seinem Testament, in der er von General Grumbkow spricht, der
damals den größten Einfluß auf ihn zu haben schien. Er warnt seinen Nach¬
folger, ihm allzusehr zu trauen, denn er sei "sehr interessiert und auf seine Ab¬
sichten".

Auch die Fnedensideen Wnelons haben einen starken Eindruck auf ihn
gemacht. Er fragt die Mutter, wann nach ihrer Meinung ein Fürst einen Krieg
unternehmen dürfe. Sophie Charlotte stutzt. Sie hält für nötig, den Knaben
darauf aufmerksam zu machen, daß Fönelon nur die Kriege verurteile, deren
einziger Grund in Ehrgeiz und in Ungerechtigkeit liege, und daß er einem
Fürsten rate, immer gerüstet zu bleiben, um nicht bei seinem Nachbar den
Eindruck der Schwäche hervorzurufen. Es sei für ihn unerläßlich, zum Schwerte
zu greifen, wenn seine berechtigten Ansprüche sich nicht in anderer Weise durch¬
setzen ließen, wenn seinem Lande ein feindlicher Angriff drohe oder seine Ver¬
bündeten in großer Gefahr seien.

Es scheint ein seltsamer Widerspruch zwischen der Frage des Prinzen und
seiner späteren unablässigen Fürsorge für die Schlagfertigkeit der preußischen
Armee zu bestehen. Aber hat er nicht in der Tat immer Scheu vor einem
Kriege gehabt, in dem die militärischen und materiellen Güter des Staates
aufs Spiel gesetzt wurden? Man kann sagen, daß Friedrich Wilhelm die


Der Prinz von Ithaka als Lrzichcr

hier der Gegensatz zwischen seiner Kraftnatur und dem etwas weichen, larmovanten
und immer am Gängelbande seines Lehrers schreitenden Produkt Fönelonscher
Erziehung unbewußt zutage. Er schildert die Typen des guten und des bösen
Regenten, wie Fenelon sie gezeichnet hat, und hebt dabei (und das ist das
Interessante) besonders die Eigenschaften hervor, die für sein eigenes Wesen
charakteristisch geworden sind: die unermüdliche tägliche Arbeit im Dienste des
Staates, die abendliche Erholung in der Gemeinschaft rechtschaffener Männer,
die Furcht, von gewissenlosen Dienern betrogen zu werden und das Bestreben,
sich nützliche Kenntnisse von fremden Ländern zu erwerben.

Überall ist er dem Verhältnis zwischen Fürst und erstem Diener nach¬
gegangen. Noch stand ja alles unter dem Eindruck des Sturzes Danckelmanns,
der nicht ohne Zutun Sophie Charlottens erfolgt war. Sein Prozeß, der nun
schon zwei Jahre dauerte, beschäftigte aller Gemüter. Kein Zweifel, daß Friedrich
Wilhelm ihn damals mit den Augen seiner Mutter ansah. Fast unbewußt hebt
er bei der Schilderung ungetreuer Minister diejenigen Züge hervor, welche die
Hauptpunkte der Anklage gegen Danckelmann bildeten. Das Ergebnis ist seine
lebhafte Zustimmung zu der „schönen Reflexion" Mentors: faule und nach¬
lässige Fürsten überließen sich fast immer intriganten Günstlingen. Wohl
gemerkt hat er sich ferner, wie er hinzufügt, die Antwort Mentors auf die
Frage, ob man sich geschickter Leute bedienen dürfe, auch wenn sie schlecht seien:
man könne sie eine Zeitlang benutzen, wenn man sie ohne Gefahr nicht los¬
werden könne, müsse sich aber wohl hüten, ihnen in den geheimsten Affären
Vertrauen zu schenken. Unwillkürlich erinnert man sich dabei der merkwürdigen
Stelle in seinem Testament, in der er von General Grumbkow spricht, der
damals den größten Einfluß auf ihn zu haben schien. Er warnt seinen Nach¬
folger, ihm allzusehr zu trauen, denn er sei „sehr interessiert und auf seine Ab¬
sichten".

Auch die Fnedensideen Wnelons haben einen starken Eindruck auf ihn
gemacht. Er fragt die Mutter, wann nach ihrer Meinung ein Fürst einen Krieg
unternehmen dürfe. Sophie Charlotte stutzt. Sie hält für nötig, den Knaben
darauf aufmerksam zu machen, daß Fönelon nur die Kriege verurteile, deren
einziger Grund in Ehrgeiz und in Ungerechtigkeit liege, und daß er einem
Fürsten rate, immer gerüstet zu bleiben, um nicht bei seinem Nachbar den
Eindruck der Schwäche hervorzurufen. Es sei für ihn unerläßlich, zum Schwerte
zu greifen, wenn seine berechtigten Ansprüche sich nicht in anderer Weise durch¬
setzen ließen, wenn seinem Lande ein feindlicher Angriff drohe oder seine Ver¬
bündeten in großer Gefahr seien.

Es scheint ein seltsamer Widerspruch zwischen der Frage des Prinzen und
seiner späteren unablässigen Fürsorge für die Schlagfertigkeit der preußischen
Armee zu bestehen. Aber hat er nicht in der Tat immer Scheu vor einem
Kriege gehabt, in dem die militärischen und materiellen Güter des Staates
aufs Spiel gesetzt wurden? Man kann sagen, daß Friedrich Wilhelm die


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[0468] Der Prinz von Ithaka als Lrzichcr hier der Gegensatz zwischen seiner Kraftnatur und dem etwas weichen, larmovanten und immer am Gängelbande seines Lehrers schreitenden Produkt Fönelonscher Erziehung unbewußt zutage. Er schildert die Typen des guten und des bösen Regenten, wie Fenelon sie gezeichnet hat, und hebt dabei (und das ist das Interessante) besonders die Eigenschaften hervor, die für sein eigenes Wesen charakteristisch geworden sind: die unermüdliche tägliche Arbeit im Dienste des Staates, die abendliche Erholung in der Gemeinschaft rechtschaffener Männer, die Furcht, von gewissenlosen Dienern betrogen zu werden und das Bestreben, sich nützliche Kenntnisse von fremden Ländern zu erwerben. Überall ist er dem Verhältnis zwischen Fürst und erstem Diener nach¬ gegangen. Noch stand ja alles unter dem Eindruck des Sturzes Danckelmanns, der nicht ohne Zutun Sophie Charlottens erfolgt war. Sein Prozeß, der nun schon zwei Jahre dauerte, beschäftigte aller Gemüter. Kein Zweifel, daß Friedrich Wilhelm ihn damals mit den Augen seiner Mutter ansah. Fast unbewußt hebt er bei der Schilderung ungetreuer Minister diejenigen Züge hervor, welche die Hauptpunkte der Anklage gegen Danckelmann bildeten. Das Ergebnis ist seine lebhafte Zustimmung zu der „schönen Reflexion" Mentors: faule und nach¬ lässige Fürsten überließen sich fast immer intriganten Günstlingen. Wohl gemerkt hat er sich ferner, wie er hinzufügt, die Antwort Mentors auf die Frage, ob man sich geschickter Leute bedienen dürfe, auch wenn sie schlecht seien: man könne sie eine Zeitlang benutzen, wenn man sie ohne Gefahr nicht los¬ werden könne, müsse sich aber wohl hüten, ihnen in den geheimsten Affären Vertrauen zu schenken. Unwillkürlich erinnert man sich dabei der merkwürdigen Stelle in seinem Testament, in der er von General Grumbkow spricht, der damals den größten Einfluß auf ihn zu haben schien. Er warnt seinen Nach¬ folger, ihm allzusehr zu trauen, denn er sei „sehr interessiert und auf seine Ab¬ sichten". Auch die Fnedensideen Wnelons haben einen starken Eindruck auf ihn gemacht. Er fragt die Mutter, wann nach ihrer Meinung ein Fürst einen Krieg unternehmen dürfe. Sophie Charlotte stutzt. Sie hält für nötig, den Knaben darauf aufmerksam zu machen, daß Fönelon nur die Kriege verurteile, deren einziger Grund in Ehrgeiz und in Ungerechtigkeit liege, und daß er einem Fürsten rate, immer gerüstet zu bleiben, um nicht bei seinem Nachbar den Eindruck der Schwäche hervorzurufen. Es sei für ihn unerläßlich, zum Schwerte zu greifen, wenn seine berechtigten Ansprüche sich nicht in anderer Weise durch¬ setzen ließen, wenn seinem Lande ein feindlicher Angriff drohe oder seine Ver¬ bündeten in großer Gefahr seien. Es scheint ein seltsamer Widerspruch zwischen der Frage des Prinzen und seiner späteren unablässigen Fürsorge für die Schlagfertigkeit der preußischen Armee zu bestehen. Aber hat er nicht in der Tat immer Scheu vor einem Kriege gehabt, in dem die militärischen und materiellen Güter des Staates aufs Spiel gesetzt wurden? Man kann sagen, daß Friedrich Wilhelm die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/468>, abgerufen am 20.10.2024.