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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Der Prinz von Ithaka als Erzieher

Unter denen, die dem Paare respektvoll folgten, war auch der Vorleser der
Kurfürstin, Larrey -- ein Franzose natürlich. Er hat das Gespräch alsbald
aufgezeichnet und so auf uns gebracht.

Einen Monat später -- so berichtet Larrey in einer Fortsetzung seiner
Niederschrift -- kam Sophie Charlotte auf den Gegenstand zurück. Sie fragte
den Prinzen, der damals alle Tage von Berlin nach Lietzenburg kam, ob er
das Buch "endlich" (mein) gelesen habe. Offenbar hat sie sich nicht zum
erstenmal nach dem Fortschritt seiner Lektüre erkundigt. Obwohl der Prinz das
Buch erst bis zur Hälfte gelesen hat*), stellt die Mutter doch eine kleine Prüfung
mit ihm an. Sie fragt ihn, welche Stelle ihm am besten gefallen habe. Die
Antwort zeigt, welche Kräfte in dem zwölfjährigen Friedrich Wilhelm bereits
lebendig waren. Die Selbstbeherrschung des Telemach, erwidert er, mit der er
sich von der zärtlich geliebten Eucharis losreiße, um seiner Pflicht zu folgen,
habe ihm den allergrößten Eindruck gemacht. Die Mutter ist von der Antwort
offenbar frappiert. Sie fragt ihn, ob er sich stark genug fühle, bei einer ähn¬
lichen Gelegenheit ebenso zu handeln. "Ja," antwortet der Prinz, "wenn ich
erführe, daß mein Ruhm gefährdet sei." Darüber, was der wahre Ruhm eines
Fürsten sei -- meint die Mutter -- müsse er sich von älteren, erfahrenen
Leuten, wie Telemach von Mentor, beraten lassen. Man wisse einem Fürsten
weniger Dank für seine Geburt als für seine Tugenden. Nach Sophie Char¬
lottens Meinung wird freilich das Verhalten eine" Fürsten weit mehr von den
Eingebungen seiner Minister als von seinen eigenen Gesinnungen bestimmt. Es
komme also darauf an, bei der Wahl, besonders des ersten Ministers, die größte
Sorgfalt anzuwenden.

Man sieht, die Belehrungen Sophie Charlottens sind auf einen Hof wie
den ihres Gemahls zugeschnitten, dem allezeit die eigene Initiative gefehlt hat.
Nicht der leiseste Gedanke kommt ihr, daß der Knabe, zu dem sie spricht, der¬
maleinst sein eigener Minister sein und eine Kraft selbständigen Wollens ent¬
falten könne, durch die der Staat auf eine neue Grundlage gestellt wurde.

Das Wohl des Staates -- fährt sie mit Nachdruck fort -- hänge demnach
vor allem davon ab. daß der Fürst wohlgesinnte Diener von Schmeichlern zu
unterscheiden wisse, um sich aus den ersteren seine Minister zu wählen. Sie
findet nicht Worte genug, den Sohn zu ernähren, nicht auf die Stimme der
Schmeichelei, sondern auf die der Wahrheit zu hören. Ein fester Wille klingt
aus der Antwort des Prinzen heraus: "Ich hoffe, daß mir das gelingen wird,
denn ich fühle, daß meine eigene Neigung mich dahinzieht." Indem er nun
der Mutter in einem kleinen Vortrage die Eindrücke schildert, die er von dem
Buche empfangen habe, fällt es auf. wie wenig er dabei von Telemach selbst
spricht, auf den sie ihn doch in erster Linie hingewiesen hatte. Vielleicht kam



") I^e cinquiöms livre (das Werk später in vierundzwanzig Bücher eingeteilt) hatte
w den älteren Ausgaben zehn Teile. - - -
Der Prinz von Ithaka als Erzieher

Unter denen, die dem Paare respektvoll folgten, war auch der Vorleser der
Kurfürstin, Larrey — ein Franzose natürlich. Er hat das Gespräch alsbald
aufgezeichnet und so auf uns gebracht.

Einen Monat später — so berichtet Larrey in einer Fortsetzung seiner
Niederschrift — kam Sophie Charlotte auf den Gegenstand zurück. Sie fragte
den Prinzen, der damals alle Tage von Berlin nach Lietzenburg kam, ob er
das Buch „endlich" (mein) gelesen habe. Offenbar hat sie sich nicht zum
erstenmal nach dem Fortschritt seiner Lektüre erkundigt. Obwohl der Prinz das
Buch erst bis zur Hälfte gelesen hat*), stellt die Mutter doch eine kleine Prüfung
mit ihm an. Sie fragt ihn, welche Stelle ihm am besten gefallen habe. Die
Antwort zeigt, welche Kräfte in dem zwölfjährigen Friedrich Wilhelm bereits
lebendig waren. Die Selbstbeherrschung des Telemach, erwidert er, mit der er
sich von der zärtlich geliebten Eucharis losreiße, um seiner Pflicht zu folgen,
habe ihm den allergrößten Eindruck gemacht. Die Mutter ist von der Antwort
offenbar frappiert. Sie fragt ihn, ob er sich stark genug fühle, bei einer ähn¬
lichen Gelegenheit ebenso zu handeln. „Ja," antwortet der Prinz, „wenn ich
erführe, daß mein Ruhm gefährdet sei." Darüber, was der wahre Ruhm eines
Fürsten sei — meint die Mutter — müsse er sich von älteren, erfahrenen
Leuten, wie Telemach von Mentor, beraten lassen. Man wisse einem Fürsten
weniger Dank für seine Geburt als für seine Tugenden. Nach Sophie Char¬
lottens Meinung wird freilich das Verhalten eine» Fürsten weit mehr von den
Eingebungen seiner Minister als von seinen eigenen Gesinnungen bestimmt. Es
komme also darauf an, bei der Wahl, besonders des ersten Ministers, die größte
Sorgfalt anzuwenden.

Man sieht, die Belehrungen Sophie Charlottens sind auf einen Hof wie
den ihres Gemahls zugeschnitten, dem allezeit die eigene Initiative gefehlt hat.
Nicht der leiseste Gedanke kommt ihr, daß der Knabe, zu dem sie spricht, der¬
maleinst sein eigener Minister sein und eine Kraft selbständigen Wollens ent¬
falten könne, durch die der Staat auf eine neue Grundlage gestellt wurde.

Das Wohl des Staates — fährt sie mit Nachdruck fort — hänge demnach
vor allem davon ab. daß der Fürst wohlgesinnte Diener von Schmeichlern zu
unterscheiden wisse, um sich aus den ersteren seine Minister zu wählen. Sie
findet nicht Worte genug, den Sohn zu ernähren, nicht auf die Stimme der
Schmeichelei, sondern auf die der Wahrheit zu hören. Ein fester Wille klingt
aus der Antwort des Prinzen heraus: „Ich hoffe, daß mir das gelingen wird,
denn ich fühle, daß meine eigene Neigung mich dahinzieht." Indem er nun
der Mutter in einem kleinen Vortrage die Eindrücke schildert, die er von dem
Buche empfangen habe, fällt es auf. wie wenig er dabei von Telemach selbst
spricht, auf den sie ihn doch in erster Linie hingewiesen hatte. Vielleicht kam



") I^e cinquiöms livre (das Werk später in vierundzwanzig Bücher eingeteilt) hatte
w den älteren Ausgaben zehn Teile. - - -
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[0467] Der Prinz von Ithaka als Erzieher Unter denen, die dem Paare respektvoll folgten, war auch der Vorleser der Kurfürstin, Larrey — ein Franzose natürlich. Er hat das Gespräch alsbald aufgezeichnet und so auf uns gebracht. Einen Monat später — so berichtet Larrey in einer Fortsetzung seiner Niederschrift — kam Sophie Charlotte auf den Gegenstand zurück. Sie fragte den Prinzen, der damals alle Tage von Berlin nach Lietzenburg kam, ob er das Buch „endlich" (mein) gelesen habe. Offenbar hat sie sich nicht zum erstenmal nach dem Fortschritt seiner Lektüre erkundigt. Obwohl der Prinz das Buch erst bis zur Hälfte gelesen hat*), stellt die Mutter doch eine kleine Prüfung mit ihm an. Sie fragt ihn, welche Stelle ihm am besten gefallen habe. Die Antwort zeigt, welche Kräfte in dem zwölfjährigen Friedrich Wilhelm bereits lebendig waren. Die Selbstbeherrschung des Telemach, erwidert er, mit der er sich von der zärtlich geliebten Eucharis losreiße, um seiner Pflicht zu folgen, habe ihm den allergrößten Eindruck gemacht. Die Mutter ist von der Antwort offenbar frappiert. Sie fragt ihn, ob er sich stark genug fühle, bei einer ähn¬ lichen Gelegenheit ebenso zu handeln. „Ja," antwortet der Prinz, „wenn ich erführe, daß mein Ruhm gefährdet sei." Darüber, was der wahre Ruhm eines Fürsten sei — meint die Mutter — müsse er sich von älteren, erfahrenen Leuten, wie Telemach von Mentor, beraten lassen. Man wisse einem Fürsten weniger Dank für seine Geburt als für seine Tugenden. Nach Sophie Char¬ lottens Meinung wird freilich das Verhalten eine» Fürsten weit mehr von den Eingebungen seiner Minister als von seinen eigenen Gesinnungen bestimmt. Es komme also darauf an, bei der Wahl, besonders des ersten Ministers, die größte Sorgfalt anzuwenden. Man sieht, die Belehrungen Sophie Charlottens sind auf einen Hof wie den ihres Gemahls zugeschnitten, dem allezeit die eigene Initiative gefehlt hat. Nicht der leiseste Gedanke kommt ihr, daß der Knabe, zu dem sie spricht, der¬ maleinst sein eigener Minister sein und eine Kraft selbständigen Wollens ent¬ falten könne, durch die der Staat auf eine neue Grundlage gestellt wurde. Das Wohl des Staates — fährt sie mit Nachdruck fort — hänge demnach vor allem davon ab. daß der Fürst wohlgesinnte Diener von Schmeichlern zu unterscheiden wisse, um sich aus den ersteren seine Minister zu wählen. Sie findet nicht Worte genug, den Sohn zu ernähren, nicht auf die Stimme der Schmeichelei, sondern auf die der Wahrheit zu hören. Ein fester Wille klingt aus der Antwort des Prinzen heraus: „Ich hoffe, daß mir das gelingen wird, denn ich fühle, daß meine eigene Neigung mich dahinzieht." Indem er nun der Mutter in einem kleinen Vortrage die Eindrücke schildert, die er von dem Buche empfangen habe, fällt es auf. wie wenig er dabei von Telemach selbst spricht, auf den sie ihn doch in erster Linie hingewiesen hatte. Vielleicht kam ") I^e cinquiöms livre (das Werk später in vierundzwanzig Bücher eingeteilt) hatte w den älteren Ausgaben zehn Teile. - - -

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/467>, abgerufen am 20.10.2024.