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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Damit stürmte er auf den Offizier los, und, ohne des Schusses und der
Kolbenschläge zu achten, mit denen er sich wehrte, umschloß er ihn mit seinen
Bärenarmen und riß ihn, die Uniform mit seinem Blute färbend, zu Boden.
"Fesselt ihn!" schrie er mit verröchelnder Stimme.

Wie ein Bündel fühlte sich der Freiherr mit den bereitgehaltenen Stricken
umschnürt. In ohnmächtiger Wut sah er dem Werke zu. Er sah den Hüner,
der ihn zur Strecke gebracht hatte, noch einmal schaoenfroh grinsen und dann
hart auf die Steinfliesen schlagen und verenden.

Der Raum wurde zu eng für die Massen, die jetzt ins Schloß stürmten.
Jeder wollte das Edelwild sehen.

Sie verhöhnten den Wehrlosen -- bleckten ihm die Zunge heraus, spien
ihn an -- traten ihn mit Füßen -- hielten ihm die Fäuste vors Gesicht --
kitzelten ihn mit den Klingen ihrer Messer.

Wolff Joachim aber preßte die Lippen zusammen. Er schloß die Augen
und dachte: "Lieber tot als diese Schmach!"

Da fühlte er sich hochgehoben und unter viehischen Johlen davongetragen.

"Steckt ihm Hölzer zwischen die Lider, damit er gut fehen kann. Wir
wollen ihm rasch noch ein Stück vorspielen, ehe die Kosaken kommen. Setzt ihn
dort in die Loge!"

Wolff Joachim öffnete von selbst die Augen. Von dem Polstersessel im
Saale aus, in den man ihn gesetzt hatte, sah er dem Werke der Zerstörung
zu, das jetzt mit fürchterlichem Lärm begann. Die hohen Spiegel fielen unter
den Hieben klirrend in tausend Stücke. Die herrlichen Gemälde wurden her¬
untergerissen und unter höhnenden Schimpfreden zerschnitten.

"Schade, daß ihr tot seid, ihr Räuber!" schrie einer der Kerls. "Daß
wir euch die Peitschenhiebe nicht zurückgeben können, mit denen ihr unsere Väter
gepeinigt habt!"

Es war das Brustbild des alten Ritter Stephanus in der Ordensrüstung,
auf dem die schmutzigen Stiefel jetzt herumtrampelten. So kühlten die Wüteriche
ihren Haß, und nicht genug damit, griffen sie zu ihren Gewehren und schössen
den Bildern, die ihrem Arm zu hoch hingen, die Augen aus.

Der Sturm tobte die ganze Flucht der Zimmer entlang, die Möbel
wurden zertrümmert, die Polster zerfetzt, edle Porzellane wurden am Kamin
zerschellt.

Im Eßzimmer ballte sich der Lärm zusammen. Laute Hochrufe schallten.

"Es lebe das Volk! Es lebe das Land! Hoch unser chemisches Blut!
Nieder mit den Deutschen! Nieder mit dem Zaren! Hoch die Republik!" Die
Gläser klirrten zur Erde.

"Fragt den Esel im bunten Rock, wo er den Schlüssel zum Weinkeller hat
-- wir wollen Champagner trinken!"

"Den Kosaken werde ichs sagen!" gab Wolff Joachim höhnisch zur
Antwort, als einer der Bande ihn wirklich danach fragte.


Sturm

Damit stürmte er auf den Offizier los, und, ohne des Schusses und der
Kolbenschläge zu achten, mit denen er sich wehrte, umschloß er ihn mit seinen
Bärenarmen und riß ihn, die Uniform mit seinem Blute färbend, zu Boden.
„Fesselt ihn!" schrie er mit verröchelnder Stimme.

Wie ein Bündel fühlte sich der Freiherr mit den bereitgehaltenen Stricken
umschnürt. In ohnmächtiger Wut sah er dem Werke zu. Er sah den Hüner,
der ihn zur Strecke gebracht hatte, noch einmal schaoenfroh grinsen und dann
hart auf die Steinfliesen schlagen und verenden.

Der Raum wurde zu eng für die Massen, die jetzt ins Schloß stürmten.
Jeder wollte das Edelwild sehen.

Sie verhöhnten den Wehrlosen — bleckten ihm die Zunge heraus, spien
ihn an — traten ihn mit Füßen — hielten ihm die Fäuste vors Gesicht —
kitzelten ihn mit den Klingen ihrer Messer.

Wolff Joachim aber preßte die Lippen zusammen. Er schloß die Augen
und dachte: „Lieber tot als diese Schmach!"

Da fühlte er sich hochgehoben und unter viehischen Johlen davongetragen.

„Steckt ihm Hölzer zwischen die Lider, damit er gut fehen kann. Wir
wollen ihm rasch noch ein Stück vorspielen, ehe die Kosaken kommen. Setzt ihn
dort in die Loge!"

Wolff Joachim öffnete von selbst die Augen. Von dem Polstersessel im
Saale aus, in den man ihn gesetzt hatte, sah er dem Werke der Zerstörung
zu, das jetzt mit fürchterlichem Lärm begann. Die hohen Spiegel fielen unter
den Hieben klirrend in tausend Stücke. Die herrlichen Gemälde wurden her¬
untergerissen und unter höhnenden Schimpfreden zerschnitten.

„Schade, daß ihr tot seid, ihr Räuber!" schrie einer der Kerls. „Daß
wir euch die Peitschenhiebe nicht zurückgeben können, mit denen ihr unsere Väter
gepeinigt habt!"

Es war das Brustbild des alten Ritter Stephanus in der Ordensrüstung,
auf dem die schmutzigen Stiefel jetzt herumtrampelten. So kühlten die Wüteriche
ihren Haß, und nicht genug damit, griffen sie zu ihren Gewehren und schössen
den Bildern, die ihrem Arm zu hoch hingen, die Augen aus.

Der Sturm tobte die ganze Flucht der Zimmer entlang, die Möbel
wurden zertrümmert, die Polster zerfetzt, edle Porzellane wurden am Kamin
zerschellt.

Im Eßzimmer ballte sich der Lärm zusammen. Laute Hochrufe schallten.

„Es lebe das Volk! Es lebe das Land! Hoch unser chemisches Blut!
Nieder mit den Deutschen! Nieder mit dem Zaren! Hoch die Republik!" Die
Gläser klirrten zur Erde.

„Fragt den Esel im bunten Rock, wo er den Schlüssel zum Weinkeller hat
— wir wollen Champagner trinken!"

„Den Kosaken werde ichs sagen!" gab Wolff Joachim höhnisch zur
Antwort, als einer der Bande ihn wirklich danach fragte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/426>, abgerufen am 20.10.2024.