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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Da flutete der Strom zurück. "Kommt Kameraden, komm Järri, höre
auf mit dem süss. Wir haben keine Zeit. Der letzte Akt beginnt. Die Kosaken
kommen uns sonst auf den Hals. Los -- nehmt den deutschen Affen -- er
soll noch mehr Freude haben!"

"Tragt ihn in die Brennerei! Da hat er die beste Aussicht!" brüllten
andere.

Im Nu war er hochgehoben, und im Trab ging es über den Hof . . .

"So mein Söhnchen -- sieh genau hin! Nicht wahr? Das hübsche
Schloß dort drüben, das ist dein? Gleich wird es dir noch besser ge¬
fallen!"

Es war im Kondor der Brennerei, wo sie ihren Gefangenen so verspotteten.
Ein wild aussehender zerlumpter Bursche drängelte sich vor.

"Du kannst nicht gut sehen, schöner Knabe, wir werden dir einen Fenster¬
platz geben. Aber laß es dir nicht einfallen, fortzulaufen."

Damit zerrte er ihn ans Fensterbrett, langte einen großen Nagel aus der
Tasche und nagelte dem Wehrlosen mit erbarmungslosen Kolbenschlägen das
rechte Ohr an den hölzernen Rahmen. "Falls du Langeweile kriegen solltest,"
setzte er grinsend hinzu und zerschnitt die Stricke.

In seine Qualen hinein schmetterte das satanische Lachen der Davon¬
eilenden.

Alles das geschah in wenigen Minuten. Mit derselben Schnelligkeit wurde
das Zerstörungswerk vollendet.

Wie auf ein Kommando schlugen die Flammen aus den zertrümmerten
Schloßfenstern und Übergossen die grausige Szene mit rotem Lichte. l

Ein Freudengeheul brach los. Die Gewehre wurden in die Luft geschossen,
und in unheimlicher Phantastik tanzte die wilde Schar um das brennende
Gebäude.

"Kann Ew. Majestät auch sehen?" höhnte man zum Fenster hinauf, wo
Wolfs Joachim in wahnsinnigem Schmerz an seiner Fessel zerrte. >

Er sah es und sah es doch wieder nicht. Wie Blut wogte es ihm vor
den Augen, und nur der eine Gedanke war noch lebendig in ihm: Sterben!

"Wo bleiben seine Kosaken? Ha -- die kümmern sich nicht um deutsches
Blut! Laßt euch nicht stören. Brüder -- sauft, sauft! Hier gibts Monopol
wie Wasser!"

Mit dumpfen Hieben teilten sie die Fässer auf, und das beizende Naß wurde
aus hohlen Händen, aus Mützen, aus jedem erreichbaren Scherben in die Kehle
geschüttet.

Der Feuerschein und der weithin sich verbreitende Branntweingeruch lockte
die Posten herbei, die von der Bande ausgestellt waren.

Von Soldaten und Kosaken war nichts zu sehen. Da wollten sie auch
mittun. Und gröhlend stürzten sie an die Fässer.


Anrn

Da flutete der Strom zurück. „Kommt Kameraden, komm Järri, höre
auf mit dem süss. Wir haben keine Zeit. Der letzte Akt beginnt. Die Kosaken
kommen uns sonst auf den Hals. Los — nehmt den deutschen Affen — er
soll noch mehr Freude haben!"

„Tragt ihn in die Brennerei! Da hat er die beste Aussicht!" brüllten
andere.

Im Nu war er hochgehoben, und im Trab ging es über den Hof . . .

„So mein Söhnchen — sieh genau hin! Nicht wahr? Das hübsche
Schloß dort drüben, das ist dein? Gleich wird es dir noch besser ge¬
fallen!"

Es war im Kondor der Brennerei, wo sie ihren Gefangenen so verspotteten.
Ein wild aussehender zerlumpter Bursche drängelte sich vor.

„Du kannst nicht gut sehen, schöner Knabe, wir werden dir einen Fenster¬
platz geben. Aber laß es dir nicht einfallen, fortzulaufen."

Damit zerrte er ihn ans Fensterbrett, langte einen großen Nagel aus der
Tasche und nagelte dem Wehrlosen mit erbarmungslosen Kolbenschlägen das
rechte Ohr an den hölzernen Rahmen. „Falls du Langeweile kriegen solltest,"
setzte er grinsend hinzu und zerschnitt die Stricke.

In seine Qualen hinein schmetterte das satanische Lachen der Davon¬
eilenden.

Alles das geschah in wenigen Minuten. Mit derselben Schnelligkeit wurde
das Zerstörungswerk vollendet.

Wie auf ein Kommando schlugen die Flammen aus den zertrümmerten
Schloßfenstern und Übergossen die grausige Szene mit rotem Lichte. l

Ein Freudengeheul brach los. Die Gewehre wurden in die Luft geschossen,
und in unheimlicher Phantastik tanzte die wilde Schar um das brennende
Gebäude.

„Kann Ew. Majestät auch sehen?" höhnte man zum Fenster hinauf, wo
Wolfs Joachim in wahnsinnigem Schmerz an seiner Fessel zerrte. >

Er sah es und sah es doch wieder nicht. Wie Blut wogte es ihm vor
den Augen, und nur der eine Gedanke war noch lebendig in ihm: Sterben!

„Wo bleiben seine Kosaken? Ha — die kümmern sich nicht um deutsches
Blut! Laßt euch nicht stören. Brüder — sauft, sauft! Hier gibts Monopol
wie Wasser!"

Mit dumpfen Hieben teilten sie die Fässer auf, und das beizende Naß wurde
aus hohlen Händen, aus Mützen, aus jedem erreichbaren Scherben in die Kehle
geschüttet.

Der Feuerschein und der weithin sich verbreitende Branntweingeruch lockte
die Posten herbei, die von der Bande ausgestellt waren.

Von Soldaten und Kosaken war nichts zu sehen. Da wollten sie auch
mittun. Und gröhlend stürzten sie an die Fässer.


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[0427] Anrn Da flutete der Strom zurück. „Kommt Kameraden, komm Järri, höre auf mit dem süss. Wir haben keine Zeit. Der letzte Akt beginnt. Die Kosaken kommen uns sonst auf den Hals. Los — nehmt den deutschen Affen — er soll noch mehr Freude haben!" „Tragt ihn in die Brennerei! Da hat er die beste Aussicht!" brüllten andere. Im Nu war er hochgehoben, und im Trab ging es über den Hof . . . „So mein Söhnchen — sieh genau hin! Nicht wahr? Das hübsche Schloß dort drüben, das ist dein? Gleich wird es dir noch besser ge¬ fallen!" Es war im Kondor der Brennerei, wo sie ihren Gefangenen so verspotteten. Ein wild aussehender zerlumpter Bursche drängelte sich vor. „Du kannst nicht gut sehen, schöner Knabe, wir werden dir einen Fenster¬ platz geben. Aber laß es dir nicht einfallen, fortzulaufen." Damit zerrte er ihn ans Fensterbrett, langte einen großen Nagel aus der Tasche und nagelte dem Wehrlosen mit erbarmungslosen Kolbenschlägen das rechte Ohr an den hölzernen Rahmen. „Falls du Langeweile kriegen solltest," setzte er grinsend hinzu und zerschnitt die Stricke. In seine Qualen hinein schmetterte das satanische Lachen der Davon¬ eilenden. Alles das geschah in wenigen Minuten. Mit derselben Schnelligkeit wurde das Zerstörungswerk vollendet. Wie auf ein Kommando schlugen die Flammen aus den zertrümmerten Schloßfenstern und Übergossen die grausige Szene mit rotem Lichte. l Ein Freudengeheul brach los. Die Gewehre wurden in die Luft geschossen, und in unheimlicher Phantastik tanzte die wilde Schar um das brennende Gebäude. „Kann Ew. Majestät auch sehen?" höhnte man zum Fenster hinauf, wo Wolfs Joachim in wahnsinnigem Schmerz an seiner Fessel zerrte. > Er sah es und sah es doch wieder nicht. Wie Blut wogte es ihm vor den Augen, und nur der eine Gedanke war noch lebendig in ihm: Sterben! „Wo bleiben seine Kosaken? Ha — die kümmern sich nicht um deutsches Blut! Laßt euch nicht stören. Brüder — sauft, sauft! Hier gibts Monopol wie Wasser!" Mit dumpfen Hieben teilten sie die Fässer auf, und das beizende Naß wurde aus hohlen Händen, aus Mützen, aus jedem erreichbaren Scherben in die Kehle geschüttet. Der Feuerschein und der weithin sich verbreitende Branntweingeruch lockte die Posten herbei, die von der Bande ausgestellt waren. Von Soldaten und Kosaken war nichts zu sehen. Da wollten sie auch mittun. Und gröhlend stürzten sie an die Fässer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/427>, abgerufen am 19.10.2024.