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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

zurückkehrt, oder wenn sonst Nachricht von ihr kommt. Was sagen Sie? Das
Zimmermädchen weiß näheres? Also rasch: Holen Sie das Mädchen!"

Wolfs Joachim stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. Eine unklare Angst
packte ihn: "Sind Sie noch dort? Was? Sie haben ihr Kleider borgen
müssen? Ja, warum denn?"

"Herr Baron! Herr Baron!" rief der Koch, die Treppe heraufstürzend:
"Retten Sie sich! Die Bande kommt!"

Weiter sprach er nicht. Mit einem Aufschrei brach er zusammen. Carta
hatte ihm den Gewehrkolben über den Kopf geschlagen: "Ein Deutscher weniger!"
schrie er und wie ein Tiger sprang er den Baron an.

Aber mit blitzschnellem kundigen Griff hatte ihm Wolff Joachim die Flinte
entwunden und ließ sie zähneknirschend auf seinen Schädel sausen. Nach allen
Seiten spritzte das Gehirn und besudelte auch die ersten aus dem heranstürmen¬
den Haufen.

"So geht es jedem von euch, ihr feigen Hunde!"

Erschreckt, ebenso von dem grausigen Bild des zerschmetterten Genossen wie
von der dröhnenden Stimme und den wildblitzenden Augen des hoch aufgerichteten
Edelmanns ebbte die Masse für einen Moment zurück.

"Ich bin verloren!" dachte Wolff Joachim. Da schrillte dem Überrumpelten
das Telephon ins Ohr. Mit der Rechten richtete er das erbeutete Gewehr gegen
die Bande, die Linke griff zum Hörer:

"Wer einen Schritt vorwärts macht, ist eine Leiche!" sagte er mit eisiger
Ruhe, dann tat er so, als lausche er. In Wahrheit hörte er nicht auf das.
was ihm das Zimmermädchen im Hotel Petersburg noch zu sagen hatte. In
der raschen Überlegung, daß die Mordbrüder den Sinn der Worte verstehen
und um so mehr an ihre Wahrheit glauben würden, sprach er russisch und
stellte sich, als gebe er einem Offizier Antwort: "Das ist gut, Herr Leutnant
-- im Krug sind Sie bereits? Die Bande steht zehn Schritt vor mir, hier im
Treppenhaus von Borküll. Es ist allerhöchste Zeit. Sollte mir was passieren --
hier die Namen der Leute, soweit ich sie kenne..."

Er erkannte in den: Haufen einige der Brennereiarbeiter und zählte sie
auf. "Wenn sie mir nichts tun sollten, dann lassen Sie sie bitte in Ruhe.
Es ist versetztes Volk. Carta, der Anführer, ist tot. Ihr Wort, Herr Kamerad?
Danke!"

Mit einer fast übermenschlichen Energie hatte er dieses Gespräch fingiert,
und es schien, als habe es die erhoffte Wirkung: ein Teil der Leute, darunter
die mit Namen angeführten, zog sich betroffen zurück. Aber vom Hof herauf
schallte vielstimmiger Lärm und fand ein Echo bei denen, die noch im Treppen¬
hause standen.

Da drängte sich ein baumlanger breitschultriger Kerl durch den Knäuel:
"Ich fürchte mich vor dem Teufel nicht -- mag er schießen!" .


Sturm

zurückkehrt, oder wenn sonst Nachricht von ihr kommt. Was sagen Sie? Das
Zimmermädchen weiß näheres? Also rasch: Holen Sie das Mädchen!"

Wolfs Joachim stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. Eine unklare Angst
packte ihn: „Sind Sie noch dort? Was? Sie haben ihr Kleider borgen
müssen? Ja, warum denn?"

„Herr Baron! Herr Baron!" rief der Koch, die Treppe heraufstürzend:
„Retten Sie sich! Die Bande kommt!"

Weiter sprach er nicht. Mit einem Aufschrei brach er zusammen. Carta
hatte ihm den Gewehrkolben über den Kopf geschlagen: „Ein Deutscher weniger!"
schrie er und wie ein Tiger sprang er den Baron an.

Aber mit blitzschnellem kundigen Griff hatte ihm Wolff Joachim die Flinte
entwunden und ließ sie zähneknirschend auf seinen Schädel sausen. Nach allen
Seiten spritzte das Gehirn und besudelte auch die ersten aus dem heranstürmen¬
den Haufen.

„So geht es jedem von euch, ihr feigen Hunde!"

Erschreckt, ebenso von dem grausigen Bild des zerschmetterten Genossen wie
von der dröhnenden Stimme und den wildblitzenden Augen des hoch aufgerichteten
Edelmanns ebbte die Masse für einen Moment zurück.

„Ich bin verloren!" dachte Wolff Joachim. Da schrillte dem Überrumpelten
das Telephon ins Ohr. Mit der Rechten richtete er das erbeutete Gewehr gegen
die Bande, die Linke griff zum Hörer:

„Wer einen Schritt vorwärts macht, ist eine Leiche!" sagte er mit eisiger
Ruhe, dann tat er so, als lausche er. In Wahrheit hörte er nicht auf das.
was ihm das Zimmermädchen im Hotel Petersburg noch zu sagen hatte. In
der raschen Überlegung, daß die Mordbrüder den Sinn der Worte verstehen
und um so mehr an ihre Wahrheit glauben würden, sprach er russisch und
stellte sich, als gebe er einem Offizier Antwort: „Das ist gut, Herr Leutnant
— im Krug sind Sie bereits? Die Bande steht zehn Schritt vor mir, hier im
Treppenhaus von Borküll. Es ist allerhöchste Zeit. Sollte mir was passieren —
hier die Namen der Leute, soweit ich sie kenne..."

Er erkannte in den: Haufen einige der Brennereiarbeiter und zählte sie
auf. „Wenn sie mir nichts tun sollten, dann lassen Sie sie bitte in Ruhe.
Es ist versetztes Volk. Carta, der Anführer, ist tot. Ihr Wort, Herr Kamerad?
Danke!"

Mit einer fast übermenschlichen Energie hatte er dieses Gespräch fingiert,
und es schien, als habe es die erhoffte Wirkung: ein Teil der Leute, darunter
die mit Namen angeführten, zog sich betroffen zurück. Aber vom Hof herauf
schallte vielstimmiger Lärm und fand ein Echo bei denen, die noch im Treppen¬
hause standen.

Da drängte sich ein baumlanger breitschultriger Kerl durch den Knäuel:
„Ich fürchte mich vor dem Teufel nicht — mag er schießen!" .


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/425>, abgerufen am 20.10.2024.