Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sturm

Der Koch seufzte auf und stieg wieder in sein Reich hinab. Man sah es
den Räumen an, daß auf Borküll Schmalhans nicht Küchenmeister war. Und
Peter Hornbruch hatte ein würdiges Regiment geführt. Er war ein gemütlicher
Westpreuße, groß und breit, mit einem offenen fröhlichen Gesicht, das er glatt
rasiert trug. Mit der chemischen Dienerschaft hatte er sich bisher nicht schlecht
gestanden, und unter den Mägden manche Eroberung gemacht. Um so unheim¬
licher war ihm jetzt zumute. . .

Wolff Joachim lag rauchend in des Vaters Zimmer auf dem Sofa. Hier
hatte er als Knabe manchmal in den kostbaren Sammelwerken blättern dürfen,
die Baron Alexander dort in dem reichgeschnitzter flämischen Schrank aufbewahrte.
Er hatte seinen Spaß an den naiven Fragen des Jungen, wenn ihm die Bilder
unverständlich waren.

Wolff Joachim wußte, daß der Schrank noch andere Blätter barg. Ihr
Genre verbot es, jungen Augen vorgesetzt zu werden. Heimlich hatte er sich
eines Tages über sie gemacht und war von Tante Emerenzia dabei überrascht
worden. Es gab einen bösen Lärm, und natürlich petzte sie es dem Vater.
Aber der lachte nur:

"Nun hast du seine Neugierde erst geweckt! Ohne dein Lamento hätte er
keine Ahnung von der Bedeutung dieser wundervollen Kupfer gehabt. Jetzt
mußt du darauf gefaßt sein, daß der Junge den Schrank eines Tages heimlich
aufbricht. Du bist eine schlechte Pädagogin, Emerenzia!"

Das hatte Wolff Joachim alles durch die Tür gehört, und seitdem war
die Gräfin Schildberg als Respektsperson sür ihn abgetan.

Heute fiel ihm auf, daß sich das Aussehen des Zimmers verändert hatte.
Die Sixtinische Madonna war gewiß ein sehr schönes Bild, aber der Vater hätte
sie sich niemals über seinen Schreibtisch gehängt. Erst recht nicht nach seinem
Geschmack war der süßliche "Jesus im Tempel" von Hoffmann in einer minder¬
wertigen Reproduktion.

"Zum Donnerwetter! Hat Tante Emerenzia auch hier ihre Hand im
Spiel?"

Wolff Joachim sprang unmutig auf. Dort in der Ecke über dem Spiel¬
tisch, das wußte er genau, hatte die "Büßende Magdalena" gehangen, jenes
berückende Weib, an das er noch vor kurzem hatte denken müssen, als sich ihm
Loljas Schönheit offenbarte.

"Sollte es mal auf Borküll brennen," hörte er den Vater sagen. -- "das
Bild hier rettet zuerst!"

Während er es jetzt vermißte, übermannte ihn in der Einsamkeit der Stunde
die Erinnerung an seine Liebe:

"Ich muß sie sprechen!"

Er ging auf den Flur ans Telephon und ließ sich mit Reval verbinden.

"Frau Jwanow ist nicht da? Ist sie abgereist? Merkwürdig! Sie hat
ihre Koffer nicht mitgenommen? Teilen Sie mir sofort mit, wenn die Dame


Sturm

Der Koch seufzte auf und stieg wieder in sein Reich hinab. Man sah es
den Räumen an, daß auf Borküll Schmalhans nicht Küchenmeister war. Und
Peter Hornbruch hatte ein würdiges Regiment geführt. Er war ein gemütlicher
Westpreuße, groß und breit, mit einem offenen fröhlichen Gesicht, das er glatt
rasiert trug. Mit der chemischen Dienerschaft hatte er sich bisher nicht schlecht
gestanden, und unter den Mägden manche Eroberung gemacht. Um so unheim¬
licher war ihm jetzt zumute. . .

Wolff Joachim lag rauchend in des Vaters Zimmer auf dem Sofa. Hier
hatte er als Knabe manchmal in den kostbaren Sammelwerken blättern dürfen,
die Baron Alexander dort in dem reichgeschnitzter flämischen Schrank aufbewahrte.
Er hatte seinen Spaß an den naiven Fragen des Jungen, wenn ihm die Bilder
unverständlich waren.

Wolff Joachim wußte, daß der Schrank noch andere Blätter barg. Ihr
Genre verbot es, jungen Augen vorgesetzt zu werden. Heimlich hatte er sich
eines Tages über sie gemacht und war von Tante Emerenzia dabei überrascht
worden. Es gab einen bösen Lärm, und natürlich petzte sie es dem Vater.
Aber der lachte nur:

„Nun hast du seine Neugierde erst geweckt! Ohne dein Lamento hätte er
keine Ahnung von der Bedeutung dieser wundervollen Kupfer gehabt. Jetzt
mußt du darauf gefaßt sein, daß der Junge den Schrank eines Tages heimlich
aufbricht. Du bist eine schlechte Pädagogin, Emerenzia!"

Das hatte Wolff Joachim alles durch die Tür gehört, und seitdem war
die Gräfin Schildberg als Respektsperson sür ihn abgetan.

Heute fiel ihm auf, daß sich das Aussehen des Zimmers verändert hatte.
Die Sixtinische Madonna war gewiß ein sehr schönes Bild, aber der Vater hätte
sie sich niemals über seinen Schreibtisch gehängt. Erst recht nicht nach seinem
Geschmack war der süßliche „Jesus im Tempel" von Hoffmann in einer minder¬
wertigen Reproduktion.

„Zum Donnerwetter! Hat Tante Emerenzia auch hier ihre Hand im
Spiel?"

Wolff Joachim sprang unmutig auf. Dort in der Ecke über dem Spiel¬
tisch, das wußte er genau, hatte die „Büßende Magdalena" gehangen, jenes
berückende Weib, an das er noch vor kurzem hatte denken müssen, als sich ihm
Loljas Schönheit offenbarte.

„Sollte es mal auf Borküll brennen," hörte er den Vater sagen. — „das
Bild hier rettet zuerst!"

Während er es jetzt vermißte, übermannte ihn in der Einsamkeit der Stunde
die Erinnerung an seine Liebe:

„Ich muß sie sprechen!"

Er ging auf den Flur ans Telephon und ließ sich mit Reval verbinden.

„Frau Jwanow ist nicht da? Ist sie abgereist? Merkwürdig! Sie hat
ihre Koffer nicht mitgenommen? Teilen Sie mir sofort mit, wenn die Dame


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326594"/>
          <fw type="header" place="top"> Sturm</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2003"> Der Koch seufzte auf und stieg wieder in sein Reich hinab. Man sah es<lb/>
den Räumen an, daß auf Borküll Schmalhans nicht Küchenmeister war. Und<lb/>
Peter Hornbruch hatte ein würdiges Regiment geführt. Er war ein gemütlicher<lb/>
Westpreuße, groß und breit, mit einem offenen fröhlichen Gesicht, das er glatt<lb/>
rasiert trug. Mit der chemischen Dienerschaft hatte er sich bisher nicht schlecht<lb/>
gestanden, und unter den Mägden manche Eroberung gemacht. Um so unheim¬<lb/>
licher war ihm jetzt zumute. . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2004"> Wolff Joachim lag rauchend in des Vaters Zimmer auf dem Sofa. Hier<lb/>
hatte er als Knabe manchmal in den kostbaren Sammelwerken blättern dürfen,<lb/>
die Baron Alexander dort in dem reichgeschnitzter flämischen Schrank aufbewahrte.<lb/>
Er hatte seinen Spaß an den naiven Fragen des Jungen, wenn ihm die Bilder<lb/>
unverständlich waren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2005"> Wolff Joachim wußte, daß der Schrank noch andere Blätter barg. Ihr<lb/>
Genre verbot es, jungen Augen vorgesetzt zu werden. Heimlich hatte er sich<lb/>
eines Tages über sie gemacht und war von Tante Emerenzia dabei überrascht<lb/>
worden. Es gab einen bösen Lärm, und natürlich petzte sie es dem Vater.<lb/>
Aber der lachte nur:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2006"> &#x201E;Nun hast du seine Neugierde erst geweckt! Ohne dein Lamento hätte er<lb/>
keine Ahnung von der Bedeutung dieser wundervollen Kupfer gehabt. Jetzt<lb/>
mußt du darauf gefaßt sein, daß der Junge den Schrank eines Tages heimlich<lb/>
aufbricht. Du bist eine schlechte Pädagogin, Emerenzia!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2007"> Das hatte Wolff Joachim alles durch die Tür gehört, und seitdem war<lb/>
die Gräfin Schildberg als Respektsperson sür ihn abgetan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2008"> Heute fiel ihm auf, daß sich das Aussehen des Zimmers verändert hatte.<lb/>
Die Sixtinische Madonna war gewiß ein sehr schönes Bild, aber der Vater hätte<lb/>
sie sich niemals über seinen Schreibtisch gehängt. Erst recht nicht nach seinem<lb/>
Geschmack war der süßliche &#x201E;Jesus im Tempel" von Hoffmann in einer minder¬<lb/>
wertigen Reproduktion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2009"> &#x201E;Zum Donnerwetter! Hat Tante Emerenzia auch hier ihre Hand im<lb/>
Spiel?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2010"> Wolff Joachim sprang unmutig auf. Dort in der Ecke über dem Spiel¬<lb/>
tisch, das wußte er genau, hatte die &#x201E;Büßende Magdalena" gehangen, jenes<lb/>
berückende Weib, an das er noch vor kurzem hatte denken müssen, als sich ihm<lb/>
Loljas Schönheit offenbarte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2011"> &#x201E;Sollte es mal auf Borküll brennen," hörte er den Vater sagen. &#x2014; &#x201E;das<lb/>
Bild hier rettet zuerst!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2012"> Während er es jetzt vermißte, übermannte ihn in der Einsamkeit der Stunde<lb/>
die Erinnerung an seine Liebe:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2013"> &#x201E;Ich muß sie sprechen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2014"> Er ging auf den Flur ans Telephon und ließ sich mit Reval verbinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2015" next="#ID_2016"> &#x201E;Frau Jwanow ist nicht da?  Ist sie abgereist?  Merkwürdig!  Sie hat<lb/>
ihre Koffer nicht mitgenommen?  Teilen Sie mir sofort mit, wenn die Dame</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0424] Sturm Der Koch seufzte auf und stieg wieder in sein Reich hinab. Man sah es den Räumen an, daß auf Borküll Schmalhans nicht Küchenmeister war. Und Peter Hornbruch hatte ein würdiges Regiment geführt. Er war ein gemütlicher Westpreuße, groß und breit, mit einem offenen fröhlichen Gesicht, das er glatt rasiert trug. Mit der chemischen Dienerschaft hatte er sich bisher nicht schlecht gestanden, und unter den Mägden manche Eroberung gemacht. Um so unheim¬ licher war ihm jetzt zumute. . . Wolff Joachim lag rauchend in des Vaters Zimmer auf dem Sofa. Hier hatte er als Knabe manchmal in den kostbaren Sammelwerken blättern dürfen, die Baron Alexander dort in dem reichgeschnitzter flämischen Schrank aufbewahrte. Er hatte seinen Spaß an den naiven Fragen des Jungen, wenn ihm die Bilder unverständlich waren. Wolff Joachim wußte, daß der Schrank noch andere Blätter barg. Ihr Genre verbot es, jungen Augen vorgesetzt zu werden. Heimlich hatte er sich eines Tages über sie gemacht und war von Tante Emerenzia dabei überrascht worden. Es gab einen bösen Lärm, und natürlich petzte sie es dem Vater. Aber der lachte nur: „Nun hast du seine Neugierde erst geweckt! Ohne dein Lamento hätte er keine Ahnung von der Bedeutung dieser wundervollen Kupfer gehabt. Jetzt mußt du darauf gefaßt sein, daß der Junge den Schrank eines Tages heimlich aufbricht. Du bist eine schlechte Pädagogin, Emerenzia!" Das hatte Wolff Joachim alles durch die Tür gehört, und seitdem war die Gräfin Schildberg als Respektsperson sür ihn abgetan. Heute fiel ihm auf, daß sich das Aussehen des Zimmers verändert hatte. Die Sixtinische Madonna war gewiß ein sehr schönes Bild, aber der Vater hätte sie sich niemals über seinen Schreibtisch gehängt. Erst recht nicht nach seinem Geschmack war der süßliche „Jesus im Tempel" von Hoffmann in einer minder¬ wertigen Reproduktion. „Zum Donnerwetter! Hat Tante Emerenzia auch hier ihre Hand im Spiel?" Wolff Joachim sprang unmutig auf. Dort in der Ecke über dem Spiel¬ tisch, das wußte er genau, hatte die „Büßende Magdalena" gehangen, jenes berückende Weib, an das er noch vor kurzem hatte denken müssen, als sich ihm Loljas Schönheit offenbarte. „Sollte es mal auf Borküll brennen," hörte er den Vater sagen. — „das Bild hier rettet zuerst!" Während er es jetzt vermißte, übermannte ihn in der Einsamkeit der Stunde die Erinnerung an seine Liebe: „Ich muß sie sprechen!" Er ging auf den Flur ans Telephon und ließ sich mit Reval verbinden. „Frau Jwanow ist nicht da? Ist sie abgereist? Merkwürdig! Sie hat ihre Koffer nicht mitgenommen? Teilen Sie mir sofort mit, wenn die Dame

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/424
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/424>, abgerufen am 27.12.2024.