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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Englische Marinepolitik

Möglichkeit einer Annahme für uns lagen doch zu klar zutagel Die IZriterite
Loräiale besteht indessen nach wie vor, und Mr. Churchill gibt ein unzwei¬
deutiges Bild von der weiteren Kraftentwicklung der englischen Flotte, indem er
erklärt, daß er nächstens die bedeutendste Schiffsablieferung, die jemals in Eng¬
land zu verzeichnen gewesen sei, erwarte; nämlich durchschnittlich jede Woche
einen Zerstörer während der nächsten 9 Monate, außerdem zahlreiche Untersee¬
boote; ferner während der nächsten 12 Monate alle 30 Tage einen kleinen
Kreuzer und während der nächsten 18 Monate durchschnittlich alle 45 Tage ein
Großkampfschiff. Das spricht genug. Ende des Rechnungsjahres 1913/14 wird
England 45 Linienschiffe voll aktiv besetzt (gegen 30 Anfang 1912) und 96 mit
voller Besatzung in Dienst gestellte Zerstörer (gegen 45) zur Verfügung haben.
Wenn Churchill weiter die Notwendigkeit einer "mächtigen englischen Flotte für
den Auslandsdienst im Mittelmeere", außer dem aufrecht zu erhaltenden Über¬
gewicht von 50 Prozent an Großkampfschiffen gegenüber der deutschen Flotte in
heimischen Gewässern, betont, so läßt diese beliebig dehnbare Stärkefestsetzung
der Vermehrung der englischen Seestreitkräfte freie Hand und macht das gegen
Deutschland ausgesprochene Stärkeverhältnis von 50 Prozent Überschuß ziemlich
illusorisch, zumal das britische "Reichsgeschwader" in Gibralter stationiert werden
soll, also in greifbarer Nähe der Nordsee, bei der hohen Geschwindigkeit (von
etwa 25 Seemeilen pro Stunde) eines solchen Verbandes. Noch klingen der
Vorgang des Besuches Mr. Churchills in Frankreich Anfang März d. I. und
die Ausführungen des englischen Premierministers Asquith über die auswärtige
Lage nach.

Die Libre Parole äußert, daß Mr. Churchill gelegentlich seines Besuches in
Frankreich sich in folgendem Sinne über das Freundschaftsverhältnis und die
eventuelle Zusammenarbeit beider Länder ausgesprochen habe: wenn Frankreich
ohne Grund angegriffen wird, soll es von England nach Kräften unterstützt
werden. Die englische Flotte wird ihr Äußerstes tun, die deutsche zu über¬
wältigen; das wird viel Zeit kosten, und solange die Seeherrschaft nicht gesichert
ist, kann keine Rede davon sein, britische Truppen nach dem Kontinent zu werfen.
Die englische Fachpresse bringt daraufhin die vielerörterte Frage zur Diskussion,
ob der Truppentransport über den Kanal vor Erringung der Seeherrschaft
riskiert werden könne, und kommt zum Schlüsse, daß die Admiralität die sichere
Überführung einer 160000 Mann starken Armee ohne volle Beherrschung der
See nicht garantieren würde. Ein Fachblatt (The Naval and Military Record)
bezweifelt allerdings stark, daß eine so wichtige und vertrauliche Aussprache des
englischen Ministers veröffentlicht werde, und hebt die Bemerkung des Premier¬
ministers Asquith über die englisch, französische Entente in seiner Rede vom
10. März hervor, in der "nichts von einer Truppenlandung auf dem Kontinent
gesagt sei". Hingegen gibt spectator (vom 15. März) ohne Umschweife zu.
daß England unter Umständen Frankreich mit seinem letzten Mann und Schilling
helfen müsse -- aus eigenem Interesse, ob mit oder ohne englische Verpflichtung.


Englische Marinepolitik

Möglichkeit einer Annahme für uns lagen doch zu klar zutagel Die IZriterite
Loräiale besteht indessen nach wie vor, und Mr. Churchill gibt ein unzwei¬
deutiges Bild von der weiteren Kraftentwicklung der englischen Flotte, indem er
erklärt, daß er nächstens die bedeutendste Schiffsablieferung, die jemals in Eng¬
land zu verzeichnen gewesen sei, erwarte; nämlich durchschnittlich jede Woche
einen Zerstörer während der nächsten 9 Monate, außerdem zahlreiche Untersee¬
boote; ferner während der nächsten 12 Monate alle 30 Tage einen kleinen
Kreuzer und während der nächsten 18 Monate durchschnittlich alle 45 Tage ein
Großkampfschiff. Das spricht genug. Ende des Rechnungsjahres 1913/14 wird
England 45 Linienschiffe voll aktiv besetzt (gegen 30 Anfang 1912) und 96 mit
voller Besatzung in Dienst gestellte Zerstörer (gegen 45) zur Verfügung haben.
Wenn Churchill weiter die Notwendigkeit einer „mächtigen englischen Flotte für
den Auslandsdienst im Mittelmeere", außer dem aufrecht zu erhaltenden Über¬
gewicht von 50 Prozent an Großkampfschiffen gegenüber der deutschen Flotte in
heimischen Gewässern, betont, so läßt diese beliebig dehnbare Stärkefestsetzung
der Vermehrung der englischen Seestreitkräfte freie Hand und macht das gegen
Deutschland ausgesprochene Stärkeverhältnis von 50 Prozent Überschuß ziemlich
illusorisch, zumal das britische „Reichsgeschwader" in Gibralter stationiert werden
soll, also in greifbarer Nähe der Nordsee, bei der hohen Geschwindigkeit (von
etwa 25 Seemeilen pro Stunde) eines solchen Verbandes. Noch klingen der
Vorgang des Besuches Mr. Churchills in Frankreich Anfang März d. I. und
die Ausführungen des englischen Premierministers Asquith über die auswärtige
Lage nach.

Die Libre Parole äußert, daß Mr. Churchill gelegentlich seines Besuches in
Frankreich sich in folgendem Sinne über das Freundschaftsverhältnis und die
eventuelle Zusammenarbeit beider Länder ausgesprochen habe: wenn Frankreich
ohne Grund angegriffen wird, soll es von England nach Kräften unterstützt
werden. Die englische Flotte wird ihr Äußerstes tun, die deutsche zu über¬
wältigen; das wird viel Zeit kosten, und solange die Seeherrschaft nicht gesichert
ist, kann keine Rede davon sein, britische Truppen nach dem Kontinent zu werfen.
Die englische Fachpresse bringt daraufhin die vielerörterte Frage zur Diskussion,
ob der Truppentransport über den Kanal vor Erringung der Seeherrschaft
riskiert werden könne, und kommt zum Schlüsse, daß die Admiralität die sichere
Überführung einer 160000 Mann starken Armee ohne volle Beherrschung der
See nicht garantieren würde. Ein Fachblatt (The Naval and Military Record)
bezweifelt allerdings stark, daß eine so wichtige und vertrauliche Aussprache des
englischen Ministers veröffentlicht werde, und hebt die Bemerkung des Premier¬
ministers Asquith über die englisch, französische Entente in seiner Rede vom
10. März hervor, in der „nichts von einer Truppenlandung auf dem Kontinent
gesagt sei". Hingegen gibt spectator (vom 15. März) ohne Umschweife zu.
daß England unter Umständen Frankreich mit seinem letzten Mann und Schilling
helfen müsse — aus eigenem Interesse, ob mit oder ohne englische Verpflichtung.


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[0405] Englische Marinepolitik Möglichkeit einer Annahme für uns lagen doch zu klar zutagel Die IZriterite Loräiale besteht indessen nach wie vor, und Mr. Churchill gibt ein unzwei¬ deutiges Bild von der weiteren Kraftentwicklung der englischen Flotte, indem er erklärt, daß er nächstens die bedeutendste Schiffsablieferung, die jemals in Eng¬ land zu verzeichnen gewesen sei, erwarte; nämlich durchschnittlich jede Woche einen Zerstörer während der nächsten 9 Monate, außerdem zahlreiche Untersee¬ boote; ferner während der nächsten 12 Monate alle 30 Tage einen kleinen Kreuzer und während der nächsten 18 Monate durchschnittlich alle 45 Tage ein Großkampfschiff. Das spricht genug. Ende des Rechnungsjahres 1913/14 wird England 45 Linienschiffe voll aktiv besetzt (gegen 30 Anfang 1912) und 96 mit voller Besatzung in Dienst gestellte Zerstörer (gegen 45) zur Verfügung haben. Wenn Churchill weiter die Notwendigkeit einer „mächtigen englischen Flotte für den Auslandsdienst im Mittelmeere", außer dem aufrecht zu erhaltenden Über¬ gewicht von 50 Prozent an Großkampfschiffen gegenüber der deutschen Flotte in heimischen Gewässern, betont, so läßt diese beliebig dehnbare Stärkefestsetzung der Vermehrung der englischen Seestreitkräfte freie Hand und macht das gegen Deutschland ausgesprochene Stärkeverhältnis von 50 Prozent Überschuß ziemlich illusorisch, zumal das britische „Reichsgeschwader" in Gibralter stationiert werden soll, also in greifbarer Nähe der Nordsee, bei der hohen Geschwindigkeit (von etwa 25 Seemeilen pro Stunde) eines solchen Verbandes. Noch klingen der Vorgang des Besuches Mr. Churchills in Frankreich Anfang März d. I. und die Ausführungen des englischen Premierministers Asquith über die auswärtige Lage nach. Die Libre Parole äußert, daß Mr. Churchill gelegentlich seines Besuches in Frankreich sich in folgendem Sinne über das Freundschaftsverhältnis und die eventuelle Zusammenarbeit beider Länder ausgesprochen habe: wenn Frankreich ohne Grund angegriffen wird, soll es von England nach Kräften unterstützt werden. Die englische Flotte wird ihr Äußerstes tun, die deutsche zu über¬ wältigen; das wird viel Zeit kosten, und solange die Seeherrschaft nicht gesichert ist, kann keine Rede davon sein, britische Truppen nach dem Kontinent zu werfen. Die englische Fachpresse bringt daraufhin die vielerörterte Frage zur Diskussion, ob der Truppentransport über den Kanal vor Erringung der Seeherrschaft riskiert werden könne, und kommt zum Schlüsse, daß die Admiralität die sichere Überführung einer 160000 Mann starken Armee ohne volle Beherrschung der See nicht garantieren würde. Ein Fachblatt (The Naval and Military Record) bezweifelt allerdings stark, daß eine so wichtige und vertrauliche Aussprache des englischen Ministers veröffentlicht werde, und hebt die Bemerkung des Premier¬ ministers Asquith über die englisch, französische Entente in seiner Rede vom 10. März hervor, in der „nichts von einer Truppenlandung auf dem Kontinent gesagt sei". Hingegen gibt spectator (vom 15. März) ohne Umschweife zu. daß England unter Umständen Frankreich mit seinem letzten Mann und Schilling helfen müsse — aus eigenem Interesse, ob mit oder ohne englische Verpflichtung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/405>, abgerufen am 19.10.2024.