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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Englische Marinepolitik

"Summa, Summarum, die Lage ist durch Mr. Asquits Feststellung nicht im
mindesten geändert. Sie bleibt genau so wie sie vorher war. Die gegenseitigen
Verpflichtungen zwischen Frankreich und uns sind Verpflichtungen gemeinsamen Inter¬
esses; Verpflichtungen, die die stärkste, dauerhafteste, loyalste Gemeinschaft der Welt
bilden." (!) So die englischen Pressestimmen. Der Temps (vom 13. März)
bemerkt, daß in den Jahren 1905, 1908 und 1911 die Mithilfe der vielgenannten
150000 Mann von England Frankreich spontan angeboten worden sei. Was
nun Asquiths Rede über die auswärtige Lage betrifft, die von vielen Seiten
als besonders deutschfreundlich bezeichnet und als entgegenkommend gerühmt
worden ist, so erwähnt sie wohl einige freundliche Facta, die sich aus den
beiderseitigen Interessen Deutschlands und Englands ergeben, aber eine aus¬
gesprochene Deutschfreundlichkeit und dankenswertes, besonderes Entgegenkommen
vermögen wir nicht ohne weiteres herauszulesen. Asquith führt unter anderem
aus: "Die Rolle der britischen Regierung in allen diesen Angelegenheiten ist
von Anfang an bis jetzt gewesen, zum Frieden und zur Verständigung beizu¬
tragen, und wird es auch ferner bleiben. Die politische Gruppierung der
Mächte ist unverändert geblieben. Weder zu Frankreich noch zu Rußland sind
unsere Beziehungen weniger herzlich oder weniger innig, als sie es vorher
waren. Wir halten an diesen Freundschaften fest und werden daran festhalten."
Als nach Asquith Hugh Cecil bemerkte, es komme ihm so vor, als ob, wenn
die umlaufenden Gerüchte wahr seien, die auswärtige Politik Englands, wenn
nicht agressiv, so doch abenteuerlich sei; es sei ein allgemein geglaubtes Gerücht,
daß England unter bestimmten Umständen unter einer Verpflichtung, wenn auch
nicht vertraglicher Art, stehe, eine bedeutende bewaffnete Macht zur Vornahme
von Operationen nach Europa zu entsenden, unterbrach Asquith den Redner
mit den Worten: "Ich möchte sogleich jetzt bemerken, daß dies nicht wahr ist."
Die starke Betonung der innigen Beziehungen zu Frankreich und Rußland, an
denen auch fernerhin festgehalten werden soll, gerade zur Zeit der französischen
Hetzereien gegen Deutschland, kann man doch unmöglich als deutschfreundlich
ansprechen. Die Verneinung der Ausführungen Hugh Cecils seitens Asquiths
hat praktisch keinen Wert, da sie wohl eine Verpflichtung, mit bewaffneter Macht
auf dem Kontinent zu operieren, als unwahr bezeichnet, nicht aber die Absicht
solcher Handlung in Abrede stellt. Asquith konnte ausweichend ja gar nicht
antworten auf Cecils Bemerkungen; das konnte als Bejahung gedeutet werden
-- und dies entsprach zurzeit der englischen Politik nicht, es hätte der Oppo¬
sition willkommenen Stoff zur Agitation für Einführung der allgemeinen Wehr¬
pflicht gegeben, entgegen der Absicht der Regierung. Asquiths Antwort war
aber wohl geeignet, in Frankreich Propaganda für die neue Wehrvorlage zu
machen -- also ein Moment gegen Deutschland. Asquith sagt in seiner Rede
weiter: "Die Mächte -- und ich rechne auch unser Land hinzu -- deren Inter¬
essen durch die Veränderungen im nahen Osten weniger unmittelbar berührt
werden, haben ernstlich zusammengearbeitet, um einen Weg zur Verständigung


Englische Marinepolitik

„Summa, Summarum, die Lage ist durch Mr. Asquits Feststellung nicht im
mindesten geändert. Sie bleibt genau so wie sie vorher war. Die gegenseitigen
Verpflichtungen zwischen Frankreich und uns sind Verpflichtungen gemeinsamen Inter¬
esses; Verpflichtungen, die die stärkste, dauerhafteste, loyalste Gemeinschaft der Welt
bilden." (!) So die englischen Pressestimmen. Der Temps (vom 13. März)
bemerkt, daß in den Jahren 1905, 1908 und 1911 die Mithilfe der vielgenannten
150000 Mann von England Frankreich spontan angeboten worden sei. Was
nun Asquiths Rede über die auswärtige Lage betrifft, die von vielen Seiten
als besonders deutschfreundlich bezeichnet und als entgegenkommend gerühmt
worden ist, so erwähnt sie wohl einige freundliche Facta, die sich aus den
beiderseitigen Interessen Deutschlands und Englands ergeben, aber eine aus¬
gesprochene Deutschfreundlichkeit und dankenswertes, besonderes Entgegenkommen
vermögen wir nicht ohne weiteres herauszulesen. Asquith führt unter anderem
aus: „Die Rolle der britischen Regierung in allen diesen Angelegenheiten ist
von Anfang an bis jetzt gewesen, zum Frieden und zur Verständigung beizu¬
tragen, und wird es auch ferner bleiben. Die politische Gruppierung der
Mächte ist unverändert geblieben. Weder zu Frankreich noch zu Rußland sind
unsere Beziehungen weniger herzlich oder weniger innig, als sie es vorher
waren. Wir halten an diesen Freundschaften fest und werden daran festhalten."
Als nach Asquith Hugh Cecil bemerkte, es komme ihm so vor, als ob, wenn
die umlaufenden Gerüchte wahr seien, die auswärtige Politik Englands, wenn
nicht agressiv, so doch abenteuerlich sei; es sei ein allgemein geglaubtes Gerücht,
daß England unter bestimmten Umständen unter einer Verpflichtung, wenn auch
nicht vertraglicher Art, stehe, eine bedeutende bewaffnete Macht zur Vornahme
von Operationen nach Europa zu entsenden, unterbrach Asquith den Redner
mit den Worten: „Ich möchte sogleich jetzt bemerken, daß dies nicht wahr ist."
Die starke Betonung der innigen Beziehungen zu Frankreich und Rußland, an
denen auch fernerhin festgehalten werden soll, gerade zur Zeit der französischen
Hetzereien gegen Deutschland, kann man doch unmöglich als deutschfreundlich
ansprechen. Die Verneinung der Ausführungen Hugh Cecils seitens Asquiths
hat praktisch keinen Wert, da sie wohl eine Verpflichtung, mit bewaffneter Macht
auf dem Kontinent zu operieren, als unwahr bezeichnet, nicht aber die Absicht
solcher Handlung in Abrede stellt. Asquith konnte ausweichend ja gar nicht
antworten auf Cecils Bemerkungen; das konnte als Bejahung gedeutet werden
— und dies entsprach zurzeit der englischen Politik nicht, es hätte der Oppo¬
sition willkommenen Stoff zur Agitation für Einführung der allgemeinen Wehr¬
pflicht gegeben, entgegen der Absicht der Regierung. Asquiths Antwort war
aber wohl geeignet, in Frankreich Propaganda für die neue Wehrvorlage zu
machen — also ein Moment gegen Deutschland. Asquith sagt in seiner Rede
weiter: „Die Mächte — und ich rechne auch unser Land hinzu — deren Inter¬
essen durch die Veränderungen im nahen Osten weniger unmittelbar berührt
werden, haben ernstlich zusammengearbeitet, um einen Weg zur Verständigung


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[0406] Englische Marinepolitik „Summa, Summarum, die Lage ist durch Mr. Asquits Feststellung nicht im mindesten geändert. Sie bleibt genau so wie sie vorher war. Die gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Frankreich und uns sind Verpflichtungen gemeinsamen Inter¬ esses; Verpflichtungen, die die stärkste, dauerhafteste, loyalste Gemeinschaft der Welt bilden." (!) So die englischen Pressestimmen. Der Temps (vom 13. März) bemerkt, daß in den Jahren 1905, 1908 und 1911 die Mithilfe der vielgenannten 150000 Mann von England Frankreich spontan angeboten worden sei. Was nun Asquiths Rede über die auswärtige Lage betrifft, die von vielen Seiten als besonders deutschfreundlich bezeichnet und als entgegenkommend gerühmt worden ist, so erwähnt sie wohl einige freundliche Facta, die sich aus den beiderseitigen Interessen Deutschlands und Englands ergeben, aber eine aus¬ gesprochene Deutschfreundlichkeit und dankenswertes, besonderes Entgegenkommen vermögen wir nicht ohne weiteres herauszulesen. Asquith führt unter anderem aus: „Die Rolle der britischen Regierung in allen diesen Angelegenheiten ist von Anfang an bis jetzt gewesen, zum Frieden und zur Verständigung beizu¬ tragen, und wird es auch ferner bleiben. Die politische Gruppierung der Mächte ist unverändert geblieben. Weder zu Frankreich noch zu Rußland sind unsere Beziehungen weniger herzlich oder weniger innig, als sie es vorher waren. Wir halten an diesen Freundschaften fest und werden daran festhalten." Als nach Asquith Hugh Cecil bemerkte, es komme ihm so vor, als ob, wenn die umlaufenden Gerüchte wahr seien, die auswärtige Politik Englands, wenn nicht agressiv, so doch abenteuerlich sei; es sei ein allgemein geglaubtes Gerücht, daß England unter bestimmten Umständen unter einer Verpflichtung, wenn auch nicht vertraglicher Art, stehe, eine bedeutende bewaffnete Macht zur Vornahme von Operationen nach Europa zu entsenden, unterbrach Asquith den Redner mit den Worten: „Ich möchte sogleich jetzt bemerken, daß dies nicht wahr ist." Die starke Betonung der innigen Beziehungen zu Frankreich und Rußland, an denen auch fernerhin festgehalten werden soll, gerade zur Zeit der französischen Hetzereien gegen Deutschland, kann man doch unmöglich als deutschfreundlich ansprechen. Die Verneinung der Ausführungen Hugh Cecils seitens Asquiths hat praktisch keinen Wert, da sie wohl eine Verpflichtung, mit bewaffneter Macht auf dem Kontinent zu operieren, als unwahr bezeichnet, nicht aber die Absicht solcher Handlung in Abrede stellt. Asquith konnte ausweichend ja gar nicht antworten auf Cecils Bemerkungen; das konnte als Bejahung gedeutet werden — und dies entsprach zurzeit der englischen Politik nicht, es hätte der Oppo¬ sition willkommenen Stoff zur Agitation für Einführung der allgemeinen Wehr¬ pflicht gegeben, entgegen der Absicht der Regierung. Asquiths Antwort war aber wohl geeignet, in Frankreich Propaganda für die neue Wehrvorlage zu machen — also ein Moment gegen Deutschland. Asquith sagt in seiner Rede weiter: „Die Mächte — und ich rechne auch unser Land hinzu — deren Inter¬ essen durch die Veränderungen im nahen Osten weniger unmittelbar berührt werden, haben ernstlich zusammengearbeitet, um einen Weg zur Verständigung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/406>, abgerufen am 19.10.2024.