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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Ach -- ich habe da einen Bruder auf dem Hofe. Den will ich besuchenI"

"Wohl auf der Brennerei?"

Sie nickte.

"Na, dann sehen wir uns ja wieder. Ich bin der Gutsherr!"

Dabei hob er das Kinn des Mädchens und blickte ihm verliebt ins Auge:
"Also abgemacht! Du setzst dich auf den Bock und fährst mit uns. Solch ein
süßes Kind darf nicht allein durch den finstern Wald gehen!"

Er wandte sich wieder zu seinem Sohne, der einige Schritte weiter un¬
willig stehen geblieben war: "Das Mädel verdiente auf Gummirädern gefahren
zu werden! Hast du denn immer noch kein Auge für solche Schönheit?"

"Wir haben doch jetzt wirklich an Ernsteres zu denken, Papa!"

"Nur Kopfhänger bewegen sich immer in dem gleichen Gedankenkreise.
Anderst du was damit? Besserst du was damit? Solches entzückende kleine
Intermezzo bedeutet für mich eine Erholung. Dadurch werde ich zum Amthaus!"

Er nahm die Wanderung neben seinem Sohne wieder auf. Als sie kehrt
pachten, war die Russin verschwunden.

"Dort läuft sie! Sie bedankt sich für deine väterliche Fürsorge!"

Paul wies auf die Landstraße. Das Mädchen hatte sich eiligst auf den
Weg gemacht und verschwand gerade eben hinter den Tannen.

"Soll man es glauben!" Alexander von der Borke strich sich unmutig den
Bart. "Das nennt man einen Korb! Na -- mag sie laufen!"

Der feine Regen, der jetzt einsetzte, trieb die beiden Herren in den Warte¬
raum, und dort hörten sie vom Stationsvorsteher die Details der letzten Er¬
eignisse.

"Tja -- was kann man gegen elementare Gewalten! Die Wetter müssen
sich entladen!" Der Baron zog den Rauch seiner Zigarette tief in die Lunge.

"Das ist eine bequeme Anschauung! Es sind nicht blinde Elemente, um
die es sich handelt. Alles verläuft nach Gesetzen. Überall Ursache und Wirkung.
Das Wort gilt auch hier."

"Du magst Recht haben -- denn warum mußte ich in Reval auch meine
Zigaretten vergessen! Dieses Kraut hier ist nicht zu rauchen. Na -- Wolff
Joachim hat hoffentlich für Vorrat gesorgt!"

Paul wandte sich ab. Schon auf der Reise hatte er sich vergeblich bemüht,
den Vater zu einer ernsteren Auffassung der Lage umzustimmen. Sein Leicht¬
sinn erschien ihm unnatürlich und gefährlich. Er fühlte sich von dieser Tonart
abgestoßen.

Eine weitere Stunde mochte vergangen sein, da hörte man endlich die Wagen
heranrollen.

Der alte Baron eilte leichtfüßig hinaus und öffnete selbst den Schlag:

"Bist du da. liebe Clementine? Wie freue ich mich, dich zu sehen! Du
siehst ausgezeichnet aus. Ich bewundere das -- bei diesem Klima!"


Grenzboten III 1913 24
Sturm

„Ach — ich habe da einen Bruder auf dem Hofe. Den will ich besuchenI"

„Wohl auf der Brennerei?"

Sie nickte.

„Na, dann sehen wir uns ja wieder. Ich bin der Gutsherr!"

Dabei hob er das Kinn des Mädchens und blickte ihm verliebt ins Auge:
„Also abgemacht! Du setzst dich auf den Bock und fährst mit uns. Solch ein
süßes Kind darf nicht allein durch den finstern Wald gehen!"

Er wandte sich wieder zu seinem Sohne, der einige Schritte weiter un¬
willig stehen geblieben war: „Das Mädel verdiente auf Gummirädern gefahren
zu werden! Hast du denn immer noch kein Auge für solche Schönheit?"

„Wir haben doch jetzt wirklich an Ernsteres zu denken, Papa!"

„Nur Kopfhänger bewegen sich immer in dem gleichen Gedankenkreise.
Anderst du was damit? Besserst du was damit? Solches entzückende kleine
Intermezzo bedeutet für mich eine Erholung. Dadurch werde ich zum Amthaus!"

Er nahm die Wanderung neben seinem Sohne wieder auf. Als sie kehrt
pachten, war die Russin verschwunden.

„Dort läuft sie! Sie bedankt sich für deine väterliche Fürsorge!"

Paul wies auf die Landstraße. Das Mädchen hatte sich eiligst auf den
Weg gemacht und verschwand gerade eben hinter den Tannen.

„Soll man es glauben!" Alexander von der Borke strich sich unmutig den
Bart. „Das nennt man einen Korb! Na — mag sie laufen!"

Der feine Regen, der jetzt einsetzte, trieb die beiden Herren in den Warte¬
raum, und dort hörten sie vom Stationsvorsteher die Details der letzten Er¬
eignisse.

„Tja — was kann man gegen elementare Gewalten! Die Wetter müssen
sich entladen!" Der Baron zog den Rauch seiner Zigarette tief in die Lunge.

„Das ist eine bequeme Anschauung! Es sind nicht blinde Elemente, um
die es sich handelt. Alles verläuft nach Gesetzen. Überall Ursache und Wirkung.
Das Wort gilt auch hier."

„Du magst Recht haben — denn warum mußte ich in Reval auch meine
Zigaretten vergessen! Dieses Kraut hier ist nicht zu rauchen. Na — Wolff
Joachim hat hoffentlich für Vorrat gesorgt!"

Paul wandte sich ab. Schon auf der Reise hatte er sich vergeblich bemüht,
den Vater zu einer ernsteren Auffassung der Lage umzustimmen. Sein Leicht¬
sinn erschien ihm unnatürlich und gefährlich. Er fühlte sich von dieser Tonart
abgestoßen.

Eine weitere Stunde mochte vergangen sein, da hörte man endlich die Wagen
heranrollen.

Der alte Baron eilte leichtfüßig hinaus und öffnete selbst den Schlag:

„Bist du da. liebe Clementine? Wie freue ich mich, dich zu sehen! Du
siehst ausgezeichnet aus. Ich bewundere das — bei diesem Klima!"


Grenzboten III 1913 24
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[0381] Sturm „Ach — ich habe da einen Bruder auf dem Hofe. Den will ich besuchenI" „Wohl auf der Brennerei?" Sie nickte. „Na, dann sehen wir uns ja wieder. Ich bin der Gutsherr!" Dabei hob er das Kinn des Mädchens und blickte ihm verliebt ins Auge: „Also abgemacht! Du setzst dich auf den Bock und fährst mit uns. Solch ein süßes Kind darf nicht allein durch den finstern Wald gehen!" Er wandte sich wieder zu seinem Sohne, der einige Schritte weiter un¬ willig stehen geblieben war: „Das Mädel verdiente auf Gummirädern gefahren zu werden! Hast du denn immer noch kein Auge für solche Schönheit?" „Wir haben doch jetzt wirklich an Ernsteres zu denken, Papa!" „Nur Kopfhänger bewegen sich immer in dem gleichen Gedankenkreise. Anderst du was damit? Besserst du was damit? Solches entzückende kleine Intermezzo bedeutet für mich eine Erholung. Dadurch werde ich zum Amthaus!" Er nahm die Wanderung neben seinem Sohne wieder auf. Als sie kehrt pachten, war die Russin verschwunden. „Dort läuft sie! Sie bedankt sich für deine väterliche Fürsorge!" Paul wies auf die Landstraße. Das Mädchen hatte sich eiligst auf den Weg gemacht und verschwand gerade eben hinter den Tannen. „Soll man es glauben!" Alexander von der Borke strich sich unmutig den Bart. „Das nennt man einen Korb! Na — mag sie laufen!" Der feine Regen, der jetzt einsetzte, trieb die beiden Herren in den Warte¬ raum, und dort hörten sie vom Stationsvorsteher die Details der letzten Er¬ eignisse. „Tja — was kann man gegen elementare Gewalten! Die Wetter müssen sich entladen!" Der Baron zog den Rauch seiner Zigarette tief in die Lunge. „Das ist eine bequeme Anschauung! Es sind nicht blinde Elemente, um die es sich handelt. Alles verläuft nach Gesetzen. Überall Ursache und Wirkung. Das Wort gilt auch hier." „Du magst Recht haben — denn warum mußte ich in Reval auch meine Zigaretten vergessen! Dieses Kraut hier ist nicht zu rauchen. Na — Wolff Joachim hat hoffentlich für Vorrat gesorgt!" Paul wandte sich ab. Schon auf der Reise hatte er sich vergeblich bemüht, den Vater zu einer ernsteren Auffassung der Lage umzustimmen. Sein Leicht¬ sinn erschien ihm unnatürlich und gefährlich. Er fühlte sich von dieser Tonart abgestoßen. Eine weitere Stunde mochte vergangen sein, da hörte man endlich die Wagen heranrollen. Der alte Baron eilte leichtfüßig hinaus und öffnete selbst den Schlag: „Bist du da. liebe Clementine? Wie freue ich mich, dich zu sehen! Du siehst ausgezeichnet aus. Ich bewundere das — bei diesem Klima!" Grenzboten III 1913 24

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/381>, abgerufen am 28.12.2024.