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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Er führte galant die erstarrte Hand seiner Gattin an die Lippen und hob
die eingemummte Gestalt mit dem leidenden Ausdruck fürsorglich aus dem Wagen.
"Es geht dir nicht gut? O -- wie ich das bedauere! In Reval wirst du
dich erholen. .

Die Baronin nickte nur mit schmerzlich verzogenem Gesicht und stützte sich
hinfällig auf den Arm ihres Mannes.

"An allem ist die Brennerei schuld!" schrie die Gräfin Emerenzia ihrem
Schwager entgegen. "Wenn ich dir doch mein Geld nicht gegeben hätte!"

"Oh -- ma LliLi e -- dein Temperament hat immer noch das jugendliche
Feuer? -- Und Mara auf dem Bock? Was für eine seltsame Uniform tragen
jetzt die Bortuller Leute! Ah! -- psräon -- ein Gast! Sehr angenehm! --
Und hier ist ja das ganze Pastorat! Tag ihr Kinderchen. Frau Pastor darf
ich die Gelegenheit wahrnehmen und meine Gratulation zu Füßen legen . . .?"

In seiner leichten weltmännischen Art erledigte Baron Alexander die viel¬
fache Begrüßung. Mit keinem Zug seines Gesichts verriet er, wie unbehaglich
er sich bei dieser Szene fühlte. Er äußerte lebhaft sein Bedauern, daß die Situation
dem Zusammensein ein so rasches Ende machte:

"Maddis meint, es sei angebracht, sofort aufzubrechen..."

"Fahre nur, Alexander! Ich weiß schon -- ich weiß schon!"

Die Baronin schob seine Hand gekränkt zurück.

"Aber Teuerste -- unter dem Zwang der Stunde reiße ich mich . . . ."

"Laß nur, Alexander -- ich kenne dich! Grüße Wolff Joachim, lieber Paul,
und hoffentlich sehen wir uns bald. . . ."

"Am liebsten führe ich mit euch zurück!" sagte Mara unschlüssig zu ihrem
Bruder. "Ich habe dir so viel zu erzählen!"

Die Gräfin Schildberg war über die Idee empört:

"Um Gottes Willen, Mädchen! was fällt dir ein? Ich wenigstens habe
in Reval keine Zeit, bei Mama zu sitzen." Auch der Maler nahm Stellung
dagegen: "Und unsere Pläne?" fragte er, nach Maras Hand greifend.

"Ich bleibe ja," sagte das junge Mädchen, unmutig errötend, "aber bis zum
Wagen kann ich doch wohl mitgehen!"

Draußen hängte sie sich in des Bruders Arm: "Du hast dich gewundert,
eben? Es ist auch eine merkwürdige Geschichte. Aber keine Angst! Sie nimmt
ein harmloses Ende. Ich schreibe dir alles!"

Paul sah ihr voller Wärme ins Auge: "Du bist anders geworden. Wenn
das nichts mit dem kuriosen Heiligen da drinnen zu tun hat, dann freue ich
mich. Für den wärst du zu schade."

Mara lachte freimütig: "Es war ein Intermezzo -- Gottlob nur ein
komisches! Es lebe unser Baltenland!"

'-^ /Sie winkte dem Wagen nach, bis er im Dämmer des Waldes untertauchte.

uG .^Umere Pläne!" dachte sie verächtlich. "Meine sind es nicht mehr! Er
ist Berta Mngsrhases" würdiger Vetter. Selbst das Bauernmädchen vorhin auf


Sturm

Er führte galant die erstarrte Hand seiner Gattin an die Lippen und hob
die eingemummte Gestalt mit dem leidenden Ausdruck fürsorglich aus dem Wagen.
„Es geht dir nicht gut? O — wie ich das bedauere! In Reval wirst du
dich erholen. .

Die Baronin nickte nur mit schmerzlich verzogenem Gesicht und stützte sich
hinfällig auf den Arm ihres Mannes.

„An allem ist die Brennerei schuld!" schrie die Gräfin Emerenzia ihrem
Schwager entgegen. „Wenn ich dir doch mein Geld nicht gegeben hätte!"

„Oh — ma LliLi e — dein Temperament hat immer noch das jugendliche
Feuer? — Und Mara auf dem Bock? Was für eine seltsame Uniform tragen
jetzt die Bortuller Leute! Ah! — psräon — ein Gast! Sehr angenehm! —
Und hier ist ja das ganze Pastorat! Tag ihr Kinderchen. Frau Pastor darf
ich die Gelegenheit wahrnehmen und meine Gratulation zu Füßen legen . . .?"

In seiner leichten weltmännischen Art erledigte Baron Alexander die viel¬
fache Begrüßung. Mit keinem Zug seines Gesichts verriet er, wie unbehaglich
er sich bei dieser Szene fühlte. Er äußerte lebhaft sein Bedauern, daß die Situation
dem Zusammensein ein so rasches Ende machte:

„Maddis meint, es sei angebracht, sofort aufzubrechen..."

„Fahre nur, Alexander! Ich weiß schon — ich weiß schon!"

Die Baronin schob seine Hand gekränkt zurück.

„Aber Teuerste — unter dem Zwang der Stunde reiße ich mich . . . ."

„Laß nur, Alexander — ich kenne dich! Grüße Wolff Joachim, lieber Paul,
und hoffentlich sehen wir uns bald. . . ."

„Am liebsten führe ich mit euch zurück!" sagte Mara unschlüssig zu ihrem
Bruder. „Ich habe dir so viel zu erzählen!"

Die Gräfin Schildberg war über die Idee empört:

„Um Gottes Willen, Mädchen! was fällt dir ein? Ich wenigstens habe
in Reval keine Zeit, bei Mama zu sitzen." Auch der Maler nahm Stellung
dagegen: „Und unsere Pläne?" fragte er, nach Maras Hand greifend.

„Ich bleibe ja," sagte das junge Mädchen, unmutig errötend, „aber bis zum
Wagen kann ich doch wohl mitgehen!"

Draußen hängte sie sich in des Bruders Arm: „Du hast dich gewundert,
eben? Es ist auch eine merkwürdige Geschichte. Aber keine Angst! Sie nimmt
ein harmloses Ende. Ich schreibe dir alles!"

Paul sah ihr voller Wärme ins Auge: „Du bist anders geworden. Wenn
das nichts mit dem kuriosen Heiligen da drinnen zu tun hat, dann freue ich
mich. Für den wärst du zu schade."

Mara lachte freimütig: „Es war ein Intermezzo — Gottlob nur ein
komisches! Es lebe unser Baltenland!"

'-^ /Sie winkte dem Wagen nach, bis er im Dämmer des Waldes untertauchte.

uG .^Umere Pläne!" dachte sie verächtlich. „Meine sind es nicht mehr! Er
ist Berta Mngsrhases" würdiger Vetter. Selbst das Bauernmädchen vorhin auf


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[0382] Sturm Er führte galant die erstarrte Hand seiner Gattin an die Lippen und hob die eingemummte Gestalt mit dem leidenden Ausdruck fürsorglich aus dem Wagen. „Es geht dir nicht gut? O — wie ich das bedauere! In Reval wirst du dich erholen. . Die Baronin nickte nur mit schmerzlich verzogenem Gesicht und stützte sich hinfällig auf den Arm ihres Mannes. „An allem ist die Brennerei schuld!" schrie die Gräfin Emerenzia ihrem Schwager entgegen. „Wenn ich dir doch mein Geld nicht gegeben hätte!" „Oh — ma LliLi e — dein Temperament hat immer noch das jugendliche Feuer? — Und Mara auf dem Bock? Was für eine seltsame Uniform tragen jetzt die Bortuller Leute! Ah! — psräon — ein Gast! Sehr angenehm! — Und hier ist ja das ganze Pastorat! Tag ihr Kinderchen. Frau Pastor darf ich die Gelegenheit wahrnehmen und meine Gratulation zu Füßen legen . . .?" In seiner leichten weltmännischen Art erledigte Baron Alexander die viel¬ fache Begrüßung. Mit keinem Zug seines Gesichts verriet er, wie unbehaglich er sich bei dieser Szene fühlte. Er äußerte lebhaft sein Bedauern, daß die Situation dem Zusammensein ein so rasches Ende machte: „Maddis meint, es sei angebracht, sofort aufzubrechen..." „Fahre nur, Alexander! Ich weiß schon — ich weiß schon!" Die Baronin schob seine Hand gekränkt zurück. „Aber Teuerste — unter dem Zwang der Stunde reiße ich mich . . . ." „Laß nur, Alexander — ich kenne dich! Grüße Wolff Joachim, lieber Paul, und hoffentlich sehen wir uns bald. . . ." „Am liebsten führe ich mit euch zurück!" sagte Mara unschlüssig zu ihrem Bruder. „Ich habe dir so viel zu erzählen!" Die Gräfin Schildberg war über die Idee empört: „Um Gottes Willen, Mädchen! was fällt dir ein? Ich wenigstens habe in Reval keine Zeit, bei Mama zu sitzen." Auch der Maler nahm Stellung dagegen: „Und unsere Pläne?" fragte er, nach Maras Hand greifend. „Ich bleibe ja," sagte das junge Mädchen, unmutig errötend, „aber bis zum Wagen kann ich doch wohl mitgehen!" Draußen hängte sie sich in des Bruders Arm: „Du hast dich gewundert, eben? Es ist auch eine merkwürdige Geschichte. Aber keine Angst! Sie nimmt ein harmloses Ende. Ich schreibe dir alles!" Paul sah ihr voller Wärme ins Auge: „Du bist anders geworden. Wenn das nichts mit dem kuriosen Heiligen da drinnen zu tun hat, dann freue ich mich. Für den wärst du zu schade." Mara lachte freimütig: „Es war ein Intermezzo — Gottlob nur ein komisches! Es lebe unser Baltenland!" '-^ /Sie winkte dem Wagen nach, bis er im Dämmer des Waldes untertauchte. uG .^Umere Pläne!" dachte sie verächtlich. „Meine sind es nicht mehr! Er ist Berta Mngsrhases" würdiger Vetter. Selbst das Bauernmädchen vorhin auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/382>, abgerufen am 20.10.2024.