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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Das trifft sich ausgezeichnet!" sagte er am Apparat. "Ihr könnt Mama
noch begrüßen und fahrt dann mit demselben Wagen zurück! ^- Unsinn -- so
schlimm ist es gar nicht. Vielleicht gibt es mal wieder einen Streik. nervöse Damen
sind eben in der Stadt am besten aufgehoben. Also -- Ihr wartet!"

"Papa kommt auch!" berichtete er am Wagenschlag. "Und nun flott --
daß sie in Charlottenhof nicht Langeweile kriegen!"




"O dieses mörderische Klima!"

Baron Alexander von der Borke hüllte sich fröstelnd in seinen Pelz: "Um
diese Zeit könnte ich in meinem Beausoleil in der Sonne sitzen! Weshalb ist
unser braver Ahne nicht gen Süden geritten? Statt mit den Ehlen hätte er
sich lieber mit den Sarazenen raufen sollen! Dann residierten wir jetzt in Pa¬
lermo oder Genua -- ein paar vergnügte Marchese -- und haderten uns den
Teufel um dieses flache graue Land und seine Bauernrevolten!"

Paul von der Borke ging mit dem Vater vor dem Stationsgebäude von
Charlottenhof auf und ab. Bisweilen blieb er stehen und atmete tief.

"So kräftig ist die Luft da unten doch nicht. Tannenduft und Erdgeruch!
Da begreift man die Sage vom Riesen Amthaus! Man wird ein ganz anderer
hier --"

Baron Alexander lachte: "Hör' einer den Schwärmer! Vor ein paar
Wochen galt dir Borküll weniger als der simpelste Taschenkrebs. Dabei stand
es damals fest und sicher und ließ uns bei keinem Quartalswechsel im Stich.
Jetzt, wo uns der Boden hier unter den Füßen schwankt, gibt es dir auf einmal
Riesenkräfte!"

Er griff nach Pauls Arm: "Sieh doch das hübsche Kind dort in der Tür!
Wie kommt das Gesicht hierher?"

Ein Bauernmädchen stand auf der Treppe des Hauses und blickte aus
dunklen Augen ängstlich und unschuldig unter seinem graukarierten Umschlage¬
tuch hervor.

"Jede Wette -- das ist keine Eseln!" Der Baron machte wie von
ungefähr Halt bei dem Mädchen und fragte auf chemisch: "Wohin des Weges,
Kleine?"

Sie schüttelte den Kopf und gab ihm die russische Antwort: "Ich verstehe
nicht!"

"Eine Russin also! Warten Sie auf jemand?"

"Ich will nach Borküll und weiß den Weg nicht!"

"Wir wollen auch hin, das trifft sich gut! Wenn Sie noch eine Weile
warten, dann können Sie mit uns fahren. Zu wem wollen Sie denn auf
Borküll?"

Der Baron versteckte sein Interesse an den Reizen der Russin unter einem
teilnahmsvollen väterlichen Ton.


Sturm

„Das trifft sich ausgezeichnet!" sagte er am Apparat. „Ihr könnt Mama
noch begrüßen und fahrt dann mit demselben Wagen zurück! ^- Unsinn — so
schlimm ist es gar nicht. Vielleicht gibt es mal wieder einen Streik. nervöse Damen
sind eben in der Stadt am besten aufgehoben. Also — Ihr wartet!"

„Papa kommt auch!" berichtete er am Wagenschlag. „Und nun flott —
daß sie in Charlottenhof nicht Langeweile kriegen!"




„O dieses mörderische Klima!"

Baron Alexander von der Borke hüllte sich fröstelnd in seinen Pelz: „Um
diese Zeit könnte ich in meinem Beausoleil in der Sonne sitzen! Weshalb ist
unser braver Ahne nicht gen Süden geritten? Statt mit den Ehlen hätte er
sich lieber mit den Sarazenen raufen sollen! Dann residierten wir jetzt in Pa¬
lermo oder Genua — ein paar vergnügte Marchese — und haderten uns den
Teufel um dieses flache graue Land und seine Bauernrevolten!"

Paul von der Borke ging mit dem Vater vor dem Stationsgebäude von
Charlottenhof auf und ab. Bisweilen blieb er stehen und atmete tief.

„So kräftig ist die Luft da unten doch nicht. Tannenduft und Erdgeruch!
Da begreift man die Sage vom Riesen Amthaus! Man wird ein ganz anderer
hier —"

Baron Alexander lachte: „Hör' einer den Schwärmer! Vor ein paar
Wochen galt dir Borküll weniger als der simpelste Taschenkrebs. Dabei stand
es damals fest und sicher und ließ uns bei keinem Quartalswechsel im Stich.
Jetzt, wo uns der Boden hier unter den Füßen schwankt, gibt es dir auf einmal
Riesenkräfte!"

Er griff nach Pauls Arm: „Sieh doch das hübsche Kind dort in der Tür!
Wie kommt das Gesicht hierher?"

Ein Bauernmädchen stand auf der Treppe des Hauses und blickte aus
dunklen Augen ängstlich und unschuldig unter seinem graukarierten Umschlage¬
tuch hervor.

„Jede Wette — das ist keine Eseln!" Der Baron machte wie von
ungefähr Halt bei dem Mädchen und fragte auf chemisch: „Wohin des Weges,
Kleine?"

Sie schüttelte den Kopf und gab ihm die russische Antwort: „Ich verstehe
nicht!"

„Eine Russin also! Warten Sie auf jemand?"

„Ich will nach Borküll und weiß den Weg nicht!"

„Wir wollen auch hin, das trifft sich gut! Wenn Sie noch eine Weile
warten, dann können Sie mit uns fahren. Zu wem wollen Sie denn auf
Borküll?"

Der Baron versteckte sein Interesse an den Reizen der Russin unter einem
teilnahmsvollen väterlichen Ton.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/380>, abgerufen am 28.12.2024.