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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Ich werde kutschieren!" rief Mara aus dem Fenster.

In dem einen Wagen wurde Frau Pastor Tannebaum mit ihren Kindern
verladen. Die kleineren darunter schrien und heulten, als sie die Angst ihrer
Mutter sahen, und nur Maras Versprechen, daß sie mit demselben Wagen fahren
würde, beruhigte sie.

"Ihr braucht euch bloß umzudrehen und durch die Scheibe zu gucken, dann
könnt ihr mich auf dem Bock sehen."

Leblos, fast wie eine Tote, lehnte die Baronin Klementine im anderen
Wagen und ließ sich apathisch von der Jungfer die Kissen unter den Rücken
schieben. Gräfin Schildberg aber zählte besorgt und umständlich die Anzahl der
Pakete auf dem Polster des Rücksitzes.

"Wo bleibt jetzt der Maler?" rief Wolff Joachim ungeduldig.

Barrys wütendes Gebell kündigte ihn an. Im Rahmen der Haustür
erschien eine seltsame Gestalt. War Madelung auf einmal dick geworden? Der
Lodenmantel spannte sich ihm um die plötzlich breit gewordene Brust. Auf seinem
Rücken dentelee sich die Pelerine über einem strotzenden Rucksack. Im linken
Arm trug er ein altes Uhrgehäuse, und der rechte schleppte die um eine große
Pappschachtel vermehrten Malgeräte.

Nur sein Gesicht war unverändert. Groß und ruhig blickten seine wasser¬
blauen Augen und mit sanftem Lächeln sah er zu Mara hinauf.

"Um Gepäck zu sparen, habe ich mir gleich zwei Anzüge angezogen," sagte er.

"Das nennen Sie Gepäck sparen? Der Kram bleibt gefälligst hier. Sie
sind ja aufgedonnert für drei! So können Sie unmöglich mitkonnneu!"

Wolff Joachim nahm dem Maler ein Stück nach dem anderen aus der
Hand. Aber die Pappschachtel gab Madelung nicht her. Wie ein Löwe kämpfte
er darum.

"Ich will Ihnen das Zeug gern schicken -- zum Donnerwetter!" fluchte
der Baron.

"Dann gehe ich eben zu Fuß!"

Aber Mara begütigte: "Hier ist ja noch Platz für die Schachtel!" und
zwängte sich auf ihrem Sitz zusammen. Wirklich gelang es, Madelung mit
diesem Rest seines Handgepäcks neben Mara auf dem Bock unterzubringen.

"Drei Kreuze mache ich hinter ihm her!" dachte Wolff Joachim. Dann
trat er noch einmal zur Mutter an den Wagenschlag: "Adieu. Mamachen.
Bald bist du in Neval. Da hast du Ruhe!"

Sie öffnete die Augen und nickte ihrem Sohne erschöpft zu. "Gott schütze
dich, lieber Junge," hauchte sie und ihre abgezehrte" Hände strichen zitternd
über seine Wange.

Schon zogen die Pferde an, da trat der Koch aus der Tür und meldete:
"Der Herr Baron Paul ist am Telephon!"

"Einen Augenblick noch!" Wolff Joachim rannte erfreut ins Haus.


Sturm

„Ich werde kutschieren!" rief Mara aus dem Fenster.

In dem einen Wagen wurde Frau Pastor Tannebaum mit ihren Kindern
verladen. Die kleineren darunter schrien und heulten, als sie die Angst ihrer
Mutter sahen, und nur Maras Versprechen, daß sie mit demselben Wagen fahren
würde, beruhigte sie.

„Ihr braucht euch bloß umzudrehen und durch die Scheibe zu gucken, dann
könnt ihr mich auf dem Bock sehen."

Leblos, fast wie eine Tote, lehnte die Baronin Klementine im anderen
Wagen und ließ sich apathisch von der Jungfer die Kissen unter den Rücken
schieben. Gräfin Schildberg aber zählte besorgt und umständlich die Anzahl der
Pakete auf dem Polster des Rücksitzes.

„Wo bleibt jetzt der Maler?" rief Wolff Joachim ungeduldig.

Barrys wütendes Gebell kündigte ihn an. Im Rahmen der Haustür
erschien eine seltsame Gestalt. War Madelung auf einmal dick geworden? Der
Lodenmantel spannte sich ihm um die plötzlich breit gewordene Brust. Auf seinem
Rücken dentelee sich die Pelerine über einem strotzenden Rucksack. Im linken
Arm trug er ein altes Uhrgehäuse, und der rechte schleppte die um eine große
Pappschachtel vermehrten Malgeräte.

Nur sein Gesicht war unverändert. Groß und ruhig blickten seine wasser¬
blauen Augen und mit sanftem Lächeln sah er zu Mara hinauf.

„Um Gepäck zu sparen, habe ich mir gleich zwei Anzüge angezogen," sagte er.

„Das nennen Sie Gepäck sparen? Der Kram bleibt gefälligst hier. Sie
sind ja aufgedonnert für drei! So können Sie unmöglich mitkonnneu!"

Wolff Joachim nahm dem Maler ein Stück nach dem anderen aus der
Hand. Aber die Pappschachtel gab Madelung nicht her. Wie ein Löwe kämpfte
er darum.

„Ich will Ihnen das Zeug gern schicken — zum Donnerwetter!" fluchte
der Baron.

„Dann gehe ich eben zu Fuß!"

Aber Mara begütigte: „Hier ist ja noch Platz für die Schachtel!" und
zwängte sich auf ihrem Sitz zusammen. Wirklich gelang es, Madelung mit
diesem Rest seines Handgepäcks neben Mara auf dem Bock unterzubringen.

„Drei Kreuze mache ich hinter ihm her!" dachte Wolff Joachim. Dann
trat er noch einmal zur Mutter an den Wagenschlag: „Adieu. Mamachen.
Bald bist du in Neval. Da hast du Ruhe!"

Sie öffnete die Augen und nickte ihrem Sohne erschöpft zu. „Gott schütze
dich, lieber Junge," hauchte sie und ihre abgezehrte» Hände strichen zitternd
über seine Wange.

Schon zogen die Pferde an, da trat der Koch aus der Tür und meldete:
"Der Herr Baron Paul ist am Telephon!"

„Einen Augenblick noch!" Wolff Joachim rannte erfreut ins Haus.


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[0379] Sturm „Ich werde kutschieren!" rief Mara aus dem Fenster. In dem einen Wagen wurde Frau Pastor Tannebaum mit ihren Kindern verladen. Die kleineren darunter schrien und heulten, als sie die Angst ihrer Mutter sahen, und nur Maras Versprechen, daß sie mit demselben Wagen fahren würde, beruhigte sie. „Ihr braucht euch bloß umzudrehen und durch die Scheibe zu gucken, dann könnt ihr mich auf dem Bock sehen." Leblos, fast wie eine Tote, lehnte die Baronin Klementine im anderen Wagen und ließ sich apathisch von der Jungfer die Kissen unter den Rücken schieben. Gräfin Schildberg aber zählte besorgt und umständlich die Anzahl der Pakete auf dem Polster des Rücksitzes. „Wo bleibt jetzt der Maler?" rief Wolff Joachim ungeduldig. Barrys wütendes Gebell kündigte ihn an. Im Rahmen der Haustür erschien eine seltsame Gestalt. War Madelung auf einmal dick geworden? Der Lodenmantel spannte sich ihm um die plötzlich breit gewordene Brust. Auf seinem Rücken dentelee sich die Pelerine über einem strotzenden Rucksack. Im linken Arm trug er ein altes Uhrgehäuse, und der rechte schleppte die um eine große Pappschachtel vermehrten Malgeräte. Nur sein Gesicht war unverändert. Groß und ruhig blickten seine wasser¬ blauen Augen und mit sanftem Lächeln sah er zu Mara hinauf. „Um Gepäck zu sparen, habe ich mir gleich zwei Anzüge angezogen," sagte er. „Das nennen Sie Gepäck sparen? Der Kram bleibt gefälligst hier. Sie sind ja aufgedonnert für drei! So können Sie unmöglich mitkonnneu!" Wolff Joachim nahm dem Maler ein Stück nach dem anderen aus der Hand. Aber die Pappschachtel gab Madelung nicht her. Wie ein Löwe kämpfte er darum. „Ich will Ihnen das Zeug gern schicken — zum Donnerwetter!" fluchte der Baron. „Dann gehe ich eben zu Fuß!" Aber Mara begütigte: „Hier ist ja noch Platz für die Schachtel!" und zwängte sich auf ihrem Sitz zusammen. Wirklich gelang es, Madelung mit diesem Rest seines Handgepäcks neben Mara auf dem Bock unterzubringen. „Drei Kreuze mache ich hinter ihm her!" dachte Wolff Joachim. Dann trat er noch einmal zur Mutter an den Wagenschlag: „Adieu. Mamachen. Bald bist du in Neval. Da hast du Ruhe!" Sie öffnete die Augen und nickte ihrem Sohne erschöpft zu. „Gott schütze dich, lieber Junge," hauchte sie und ihre abgezehrte» Hände strichen zitternd über seine Wange. Schon zogen die Pferde an, da trat der Koch aus der Tür und meldete: "Der Herr Baron Paul ist am Telephon!" „Einen Augenblick noch!" Wolff Joachim rannte erfreut ins Haus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/379>, abgerufen am 19.10.2024.