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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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froh sein, wenn ich die Fuhre los bin I" dachte er schmunzelnd. Dann zählte
er nach, wieviel Personen fortzuschaffen waren und gab Maddis die Order, drei
Kutschen anspannen zu lassen.

"Das muß ich schon selber machen, JungherrI" jammerte der Alte, "Kein
Knecht läßt sich sehen. Und nu is auch noch der Fritz fortgeräumt. Haben
Versammlung, Leute. Was weiß ich wo! Hab'auch hinkommen sollen. Ganzen
langen Wisch hab' ich in Tasche."

"Zeig her!" Wolff Joachim las das Flugblatt durch, truitte es zusammen
und warf es zu Boden: , Ihr Esllano!" höhnte er. "Ihr Blut!"

Maddis sagie: "Stimmt sich doch was -- Ehlen waren erst hier. Deutsche
kamen später!'

"Na -- und wer hat für das Land geblutet?"

Madois wiegte den Kopf hin und her: "Estenblut floß so gut wie
Teutsche Blut!"

"Maddis!" rief jetzt der Baron und stellte sich breitspurig vor den Alten
hin, mit dem Arm zum Hof hinausweiseno: "Geh auch hin zu den Mord¬
brennern! Los -- geh!"

Maddis zog sich verlegen an den Fingern, daß die Gelenke knackten: "Ach --
Jungherr! Alte Maddis ist zu alt. Hat die Welt so lange gestanden -- will
sie gar nicht anders haben. Bin treuer Knecht von Borküll! Werd schon an¬
spannen!"

Jetzt trieb Wolff Joachim selbst zur Eile. Auch gegen Maras Abreise hatte
er auf einmal nichts mehr einzuwenden: "Ihr müßt euch, so gut es geht, mit zwei
Wagen behelfen, und Pastor Tannebaum muß den einen kutschieren. Ich lasse
ihn dann später von Charlottenhof abholen!"

"Weshalb?" fragte Mara erstaunt.

"Frage nicht lange! Jedenfalls kann ich keinen Mann entbehren!"

Mit einem halben Dutzend Schachteln kam die Gräfin Schildberg bereits
die Treppe herunter.

"Für soviel Bagage ist kein Platz im Wagen. Neun Pastorsleute und ihr
vier? Wie wollen wir die unterbringen?"

"Das sind ja dreizehn Menschen -- dann fahre ich unter keinen Umständen!'
Die dicke Dame ließ ihre Schachteln und Pakete zur Erde nieder und hob
beschwörend die Arme: "Gerade dreizehn!"

"Aber Maddis ist doch auch ein Mensch!"

"Domestiken zählen doch nicht!"

"Der Maler zählt doch erst recht nicht!" spottete Wolff Joachim.

Da ließ sich des Pastors hohe Stimme vernehmen, der in die Tür getreten
war: "Ich verlasse meine Gemeinde auf keinen Fall! Wenn ich aber einen
Wagen kriegen könnte, der mich nach Dorf Sternburg zu Doktor Schlosser bringt,
dann will ich schon selbst kutschieren. Der Vetter meiner Frau fährt ebensogut
wie ich. . . oder so schlecht," setzte er lächelnd hinzu.


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froh sein, wenn ich die Fuhre los bin I" dachte er schmunzelnd. Dann zählte
er nach, wieviel Personen fortzuschaffen waren und gab Maddis die Order, drei
Kutschen anspannen zu lassen.

„Das muß ich schon selber machen, JungherrI" jammerte der Alte, „Kein
Knecht läßt sich sehen. Und nu is auch noch der Fritz fortgeräumt. Haben
Versammlung, Leute. Was weiß ich wo! Hab'auch hinkommen sollen. Ganzen
langen Wisch hab' ich in Tasche."

„Zeig her!" Wolff Joachim las das Flugblatt durch, truitte es zusammen
und warf es zu Boden: , Ihr Esllano!" höhnte er. „Ihr Blut!"

Maddis sagie: „Stimmt sich doch was — Ehlen waren erst hier. Deutsche
kamen später!'

„Na — und wer hat für das Land geblutet?"

Madois wiegte den Kopf hin und her: „Estenblut floß so gut wie
Teutsche Blut!"

„Maddis!" rief jetzt der Baron und stellte sich breitspurig vor den Alten
hin, mit dem Arm zum Hof hinausweiseno: „Geh auch hin zu den Mord¬
brennern! Los — geh!"

Maddis zog sich verlegen an den Fingern, daß die Gelenke knackten: „Ach —
Jungherr! Alte Maddis ist zu alt. Hat die Welt so lange gestanden — will
sie gar nicht anders haben. Bin treuer Knecht von Borküll! Werd schon an¬
spannen!"

Jetzt trieb Wolff Joachim selbst zur Eile. Auch gegen Maras Abreise hatte
er auf einmal nichts mehr einzuwenden: „Ihr müßt euch, so gut es geht, mit zwei
Wagen behelfen, und Pastor Tannebaum muß den einen kutschieren. Ich lasse
ihn dann später von Charlottenhof abholen!"

„Weshalb?" fragte Mara erstaunt.

„Frage nicht lange! Jedenfalls kann ich keinen Mann entbehren!"

Mit einem halben Dutzend Schachteln kam die Gräfin Schildberg bereits
die Treppe herunter.

„Für soviel Bagage ist kein Platz im Wagen. Neun Pastorsleute und ihr
vier? Wie wollen wir die unterbringen?"

„Das sind ja dreizehn Menschen — dann fahre ich unter keinen Umständen!'
Die dicke Dame ließ ihre Schachteln und Pakete zur Erde nieder und hob
beschwörend die Arme: „Gerade dreizehn!"

„Aber Maddis ist doch auch ein Mensch!"

„Domestiken zählen doch nicht!"

„Der Maler zählt doch erst recht nicht!" spottete Wolff Joachim.

Da ließ sich des Pastors hohe Stimme vernehmen, der in die Tür getreten
war: „Ich verlasse meine Gemeinde auf keinen Fall! Wenn ich aber einen
Wagen kriegen könnte, der mich nach Dorf Sternburg zu Doktor Schlosser bringt,
dann will ich schon selbst kutschieren. Der Vetter meiner Frau fährt ebensogut
wie ich. . . oder so schlecht," setzte er lächelnd hinzu.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/378>, abgerufen am 27.12.2024.