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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft der preußischen Anfiedlungspolitik in der Ostmark

die erforderliche Bewegungsfreiheit erhält. Rechtlich ist ja die Stellung der An-
siedlungspräsidenten seit einer Reihe von Jahren im wichtigsten Punkte ganz
außerordentlich gehoben worden, denn während früher das Plenum der An-
siedlungskommisston (bestehend aus den Oberpräsidenten von Posen und West¬
preußen, dem Ansiedlungspräsidenten und einer Anzahl von: Könige aus den
Landwirten der beiden Provinzen ernannten sonstigen Mitgliedern -- die früher
gleichfalls stimmberechtigten Kommissare der verschiedenen beteiligten Minister
haben jetzt nur noch beratende Stimme --) über den Ankauf von Gütern aus
deutscher Hand entschied und der Präsident nur polnische Güter auf eigene Hand
erwerben konnte, ist er jetzt auch zum Erwerb deutscher Güter ohne Anhörung
der Vollversammlung berechtigt. Tatsächlich aber setzt er sich vor jedem Ankauf
mit dem Landrat, dem Oberpräsidenten und dem Ministerialreferenten in Ver¬
bindung, um nicht bei einer dieser Instanzen anzustoßen. Im Endergebnis führt
dies natürlich dazu, daß nur sehr wenige angebotene Güter das allgemeine
Plazet der verschiedenen Amtsstellen erhalten und daß dadurch selbst das an sich
in den letzten Jahren schon sehr beschränkte Angebot von für Besiedlungszwecke
geeigneten einigermaßen preiswerten Gütern nur zum geringen Teile berücksichtigt
werden kann. Nachdem nun am 9. April 1908 nach harten Kämpfen der Grund¬
satz der Enteignung für Ansiedlungszwecke Gesetzesform angenommen hat,
hat die Stellung des Ansiedlungspräsidenten nicht, wie man annehmen sollte,
an Macht gewonnen, sondern die Entscheidungen über vorzunehmende Ent¬
eignungen werden ausschließlich in Berlin getroffen, und von Rücksichten der
allgemeinen Staatspolitik bestimmt. Es ist ja gewiß nicht zu verkennen, daß
diese Entscheidungen grundsätzlicher Natur sind und von weittragender Bedeutung
für die auswärtige Politik (Verhältnis zu Österreich) und die innere parla¬
mentarische Situation (Zentrum) sein können. Trotzdem wäre es wohl richtiger,
die Entscheidung über die Durchführung der Enteignung im einzelnen der Voll¬
versammlung der Ansiedlungskommission zu überlassen, zumal ja gesetzlich das
Höchstmaß der zu enteignenden Fläche auf 70000 Hektar beschränkt ist. Wird der
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten oder der Ministerpräsident
später wegen der durchgeführten Enteignungen zur Rede gestellt, so könnte er
sich immer auf den Beschluß der zur Durchführung des Ansiedlungsgesetzes von
1886 und des zu seiner Ergänzung ergangenen speziellen Enteignungsgesetzes
von 1908 berufenen Kommission stützen, während er. so wie die Sache jetzt
gehandhabt wird, die volle Verantwortung für alle Mißgriffe in der Ausführung
des Enteignungsgesetzes unmittelbar selbst trägt. Die bisher vorgenommene
Enteignung von etwa 1700 Hektar trägt ja nur den Charakter eines Versuches,
der insofern von Wert ist als man die Grundsätze genauer kennen lernen wird,
die das Reichsgericht der Festsetzung des Enteignungspreises zugrunde legen
wird. Voraussichtlich wird man hierbei zu so hohen Preisen gelangen, daß sich
Zunächst eine schon 1908 von einigen Anhängern einer tatkräftigen Bodenpolitik
befürwortete Ergänzung des Enteignungsgesetzes dahin für nötig erweisen wird.


Die Zukunft der preußischen Anfiedlungspolitik in der Ostmark

die erforderliche Bewegungsfreiheit erhält. Rechtlich ist ja die Stellung der An-
siedlungspräsidenten seit einer Reihe von Jahren im wichtigsten Punkte ganz
außerordentlich gehoben worden, denn während früher das Plenum der An-
siedlungskommisston (bestehend aus den Oberpräsidenten von Posen und West¬
preußen, dem Ansiedlungspräsidenten und einer Anzahl von: Könige aus den
Landwirten der beiden Provinzen ernannten sonstigen Mitgliedern — die früher
gleichfalls stimmberechtigten Kommissare der verschiedenen beteiligten Minister
haben jetzt nur noch beratende Stimme —) über den Ankauf von Gütern aus
deutscher Hand entschied und der Präsident nur polnische Güter auf eigene Hand
erwerben konnte, ist er jetzt auch zum Erwerb deutscher Güter ohne Anhörung
der Vollversammlung berechtigt. Tatsächlich aber setzt er sich vor jedem Ankauf
mit dem Landrat, dem Oberpräsidenten und dem Ministerialreferenten in Ver¬
bindung, um nicht bei einer dieser Instanzen anzustoßen. Im Endergebnis führt
dies natürlich dazu, daß nur sehr wenige angebotene Güter das allgemeine
Plazet der verschiedenen Amtsstellen erhalten und daß dadurch selbst das an sich
in den letzten Jahren schon sehr beschränkte Angebot von für Besiedlungszwecke
geeigneten einigermaßen preiswerten Gütern nur zum geringen Teile berücksichtigt
werden kann. Nachdem nun am 9. April 1908 nach harten Kämpfen der Grund¬
satz der Enteignung für Ansiedlungszwecke Gesetzesform angenommen hat,
hat die Stellung des Ansiedlungspräsidenten nicht, wie man annehmen sollte,
an Macht gewonnen, sondern die Entscheidungen über vorzunehmende Ent¬
eignungen werden ausschließlich in Berlin getroffen, und von Rücksichten der
allgemeinen Staatspolitik bestimmt. Es ist ja gewiß nicht zu verkennen, daß
diese Entscheidungen grundsätzlicher Natur sind und von weittragender Bedeutung
für die auswärtige Politik (Verhältnis zu Österreich) und die innere parla¬
mentarische Situation (Zentrum) sein können. Trotzdem wäre es wohl richtiger,
die Entscheidung über die Durchführung der Enteignung im einzelnen der Voll¬
versammlung der Ansiedlungskommission zu überlassen, zumal ja gesetzlich das
Höchstmaß der zu enteignenden Fläche auf 70000 Hektar beschränkt ist. Wird der
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten oder der Ministerpräsident
später wegen der durchgeführten Enteignungen zur Rede gestellt, so könnte er
sich immer auf den Beschluß der zur Durchführung des Ansiedlungsgesetzes von
1886 und des zu seiner Ergänzung ergangenen speziellen Enteignungsgesetzes
von 1908 berufenen Kommission stützen, während er. so wie die Sache jetzt
gehandhabt wird, die volle Verantwortung für alle Mißgriffe in der Ausführung
des Enteignungsgesetzes unmittelbar selbst trägt. Die bisher vorgenommene
Enteignung von etwa 1700 Hektar trägt ja nur den Charakter eines Versuches,
der insofern von Wert ist als man die Grundsätze genauer kennen lernen wird,
die das Reichsgericht der Festsetzung des Enteignungspreises zugrunde legen
wird. Voraussichtlich wird man hierbei zu so hohen Preisen gelangen, daß sich
Zunächst eine schon 1908 von einigen Anhängern einer tatkräftigen Bodenpolitik
befürwortete Ergänzung des Enteignungsgesetzes dahin für nötig erweisen wird.


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[0371] Die Zukunft der preußischen Anfiedlungspolitik in der Ostmark die erforderliche Bewegungsfreiheit erhält. Rechtlich ist ja die Stellung der An- siedlungspräsidenten seit einer Reihe von Jahren im wichtigsten Punkte ganz außerordentlich gehoben worden, denn während früher das Plenum der An- siedlungskommisston (bestehend aus den Oberpräsidenten von Posen und West¬ preußen, dem Ansiedlungspräsidenten und einer Anzahl von: Könige aus den Landwirten der beiden Provinzen ernannten sonstigen Mitgliedern — die früher gleichfalls stimmberechtigten Kommissare der verschiedenen beteiligten Minister haben jetzt nur noch beratende Stimme —) über den Ankauf von Gütern aus deutscher Hand entschied und der Präsident nur polnische Güter auf eigene Hand erwerben konnte, ist er jetzt auch zum Erwerb deutscher Güter ohne Anhörung der Vollversammlung berechtigt. Tatsächlich aber setzt er sich vor jedem Ankauf mit dem Landrat, dem Oberpräsidenten und dem Ministerialreferenten in Ver¬ bindung, um nicht bei einer dieser Instanzen anzustoßen. Im Endergebnis führt dies natürlich dazu, daß nur sehr wenige angebotene Güter das allgemeine Plazet der verschiedenen Amtsstellen erhalten und daß dadurch selbst das an sich in den letzten Jahren schon sehr beschränkte Angebot von für Besiedlungszwecke geeigneten einigermaßen preiswerten Gütern nur zum geringen Teile berücksichtigt werden kann. Nachdem nun am 9. April 1908 nach harten Kämpfen der Grund¬ satz der Enteignung für Ansiedlungszwecke Gesetzesform angenommen hat, hat die Stellung des Ansiedlungspräsidenten nicht, wie man annehmen sollte, an Macht gewonnen, sondern die Entscheidungen über vorzunehmende Ent¬ eignungen werden ausschließlich in Berlin getroffen, und von Rücksichten der allgemeinen Staatspolitik bestimmt. Es ist ja gewiß nicht zu verkennen, daß diese Entscheidungen grundsätzlicher Natur sind und von weittragender Bedeutung für die auswärtige Politik (Verhältnis zu Österreich) und die innere parla¬ mentarische Situation (Zentrum) sein können. Trotzdem wäre es wohl richtiger, die Entscheidung über die Durchführung der Enteignung im einzelnen der Voll¬ versammlung der Ansiedlungskommission zu überlassen, zumal ja gesetzlich das Höchstmaß der zu enteignenden Fläche auf 70000 Hektar beschränkt ist. Wird der Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten oder der Ministerpräsident später wegen der durchgeführten Enteignungen zur Rede gestellt, so könnte er sich immer auf den Beschluß der zur Durchführung des Ansiedlungsgesetzes von 1886 und des zu seiner Ergänzung ergangenen speziellen Enteignungsgesetzes von 1908 berufenen Kommission stützen, während er. so wie die Sache jetzt gehandhabt wird, die volle Verantwortung für alle Mißgriffe in der Ausführung des Enteignungsgesetzes unmittelbar selbst trägt. Die bisher vorgenommene Enteignung von etwa 1700 Hektar trägt ja nur den Charakter eines Versuches, der insofern von Wert ist als man die Grundsätze genauer kennen lernen wird, die das Reichsgericht der Festsetzung des Enteignungspreises zugrunde legen wird. Voraussichtlich wird man hierbei zu so hohen Preisen gelangen, daß sich Zunächst eine schon 1908 von einigen Anhängern einer tatkräftigen Bodenpolitik befürwortete Ergänzung des Enteignungsgesetzes dahin für nötig erweisen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/371>, abgerufen am 20.10.2024.