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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

auch im Manne zu erzeugen und den Menschen zum Mitgliede einer höheren
Gemeinschaft, zum Staatsbürger, zum Patrioten heranzuziehen, müsse das letzte
und höchste Ziel aller Menschenbildung sein.

Politische Vereine, wie sie Hagen im Sinne hatte, haben wir erst seit
wenigen Jahren, in den hie und da gegründeten "Jugendvereinen". In weit
größerem Umfang freilich läßt sich die politische Schulung der Jugend die Partei
angelegen sein, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die bestehende Staats¬
und Gesellschaftsordnung zu beseitigen. In den sozialdemokratischen Jugend¬
vereinen und Rednerschulen werden die Waffen für diesen unedlen und traurigen
Kampf geschmiedet.

Mit den politischen Vereinen hält Karl Hagen die staatsbürgerliche Volks¬
erziehung noch nicht für abgeschlossen. Ihren Schlußstein muß nach seiner Meinung
das Volksfest bilden. Schon Friedrich Ludwig Jahr hatte Volksfeste "mit vater¬
ländischen Vorträgen" gefordert, durch die es "uns endlich auch wieder gelingen
müsse, Staat und Kirche zum Besten des Volks in gemeinschaftliche Wechsel¬
wirkung zu setzen"

Die schon bestehenden Volksfeste könnte man, meint Hagen, recht gut benutzen,
aber sie müßten einen höheren Charakter erhalten. Sie dürften keineswegs bloß
Feste des Behagens sein, auch nicht bloß Feste für einen untergeordneten Teil
der nationalen Tätigkeit, wie z. B. für Landwirtschaft u. tgi., fondern für alle
Klassen, sür alle Richtungen der Kultur, der materiellen wie der geistigen.

Zunächst also würden auf dem Volksfeste die "Gewerbsvereine" die Erzeug¬
nisse ihrer Industrie ausstellen, ebenso die Landwirte die des Landbaues oder
der Viehzucht, die Künstler die Hervorbringungen ihrer Phantasie, die Sing¬
vereine könnten miteinander wetteifern. Auch die Dichter müßten dabei berücksichtigt
werden: lyrische Gedichte oder Epen könnten sie selber vorlesen, Dramen würden
aufgeführt. Dies würde unserer nationalen Dichtkunst einen großen Anstoß
geben, bessere Empfänglichkeit im Volke für nationale Stoffe schaffen und das
lange erhoffte Nationaltheater vorbereiten. Denn das Zusammensein von
Volksmassen weckt in diesen das Gefühl der Gemeinsamkeit, die Liebe zum
nationalen, und die Dichter würden durch stärkere Betonung der volksmäßigen
Richtung, die ihnen bisher gefehlt hat, um allgemeinen Anklang zu finden, nun
wirkliche Volksschauspiele schaffen und große Wirkungen erzeugen.

Die meiste Rücksicht verdiente natürlich das Drama, das Lustspiel wie die
ernste Gattung. Beide aber müßten einen politischen Charakter tragen. Das
Schauspiel hätte seine Stoffe aus der Vergangenheit, aus der Geschichte des
Vaterlandes zu nehmen, das Lustspiel aber müßte sich nur mit der Gegenwart
befassen, und zwar mit ihren politischen wie sozialen und literarischen Zuständen,
kurz, es müßte ein aristophanisches sein. Ein Ausschuß könnte die vorher ein¬
gesandten Stücke prüfen und die zur Ausführung zu bestimmenden auswählen.



*) Jahr, "Deutsches Volkstum". 1817. S. 270.
Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts

auch im Manne zu erzeugen und den Menschen zum Mitgliede einer höheren
Gemeinschaft, zum Staatsbürger, zum Patrioten heranzuziehen, müsse das letzte
und höchste Ziel aller Menschenbildung sein.

Politische Vereine, wie sie Hagen im Sinne hatte, haben wir erst seit
wenigen Jahren, in den hie und da gegründeten „Jugendvereinen". In weit
größerem Umfang freilich läßt sich die politische Schulung der Jugend die Partei
angelegen sein, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die bestehende Staats¬
und Gesellschaftsordnung zu beseitigen. In den sozialdemokratischen Jugend¬
vereinen und Rednerschulen werden die Waffen für diesen unedlen und traurigen
Kampf geschmiedet.

Mit den politischen Vereinen hält Karl Hagen die staatsbürgerliche Volks¬
erziehung noch nicht für abgeschlossen. Ihren Schlußstein muß nach seiner Meinung
das Volksfest bilden. Schon Friedrich Ludwig Jahr hatte Volksfeste „mit vater¬
ländischen Vorträgen" gefordert, durch die es „uns endlich auch wieder gelingen
müsse, Staat und Kirche zum Besten des Volks in gemeinschaftliche Wechsel¬
wirkung zu setzen"

Die schon bestehenden Volksfeste könnte man, meint Hagen, recht gut benutzen,
aber sie müßten einen höheren Charakter erhalten. Sie dürften keineswegs bloß
Feste des Behagens sein, auch nicht bloß Feste für einen untergeordneten Teil
der nationalen Tätigkeit, wie z. B. für Landwirtschaft u. tgi., fondern für alle
Klassen, sür alle Richtungen der Kultur, der materiellen wie der geistigen.

Zunächst also würden auf dem Volksfeste die „Gewerbsvereine" die Erzeug¬
nisse ihrer Industrie ausstellen, ebenso die Landwirte die des Landbaues oder
der Viehzucht, die Künstler die Hervorbringungen ihrer Phantasie, die Sing¬
vereine könnten miteinander wetteifern. Auch die Dichter müßten dabei berücksichtigt
werden: lyrische Gedichte oder Epen könnten sie selber vorlesen, Dramen würden
aufgeführt. Dies würde unserer nationalen Dichtkunst einen großen Anstoß
geben, bessere Empfänglichkeit im Volke für nationale Stoffe schaffen und das
lange erhoffte Nationaltheater vorbereiten. Denn das Zusammensein von
Volksmassen weckt in diesen das Gefühl der Gemeinsamkeit, die Liebe zum
nationalen, und die Dichter würden durch stärkere Betonung der volksmäßigen
Richtung, die ihnen bisher gefehlt hat, um allgemeinen Anklang zu finden, nun
wirkliche Volksschauspiele schaffen und große Wirkungen erzeugen.

Die meiste Rücksicht verdiente natürlich das Drama, das Lustspiel wie die
ernste Gattung. Beide aber müßten einen politischen Charakter tragen. Das
Schauspiel hätte seine Stoffe aus der Vergangenheit, aus der Geschichte des
Vaterlandes zu nehmen, das Lustspiel aber müßte sich nur mit der Gegenwart
befassen, und zwar mit ihren politischen wie sozialen und literarischen Zuständen,
kurz, es müßte ein aristophanisches sein. Ein Ausschuß könnte die vorher ein¬
gesandten Stücke prüfen und die zur Ausführung zu bestimmenden auswählen.



*) Jahr, „Deutsches Volkstum". 1817. S. 270.
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[0364] Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts auch im Manne zu erzeugen und den Menschen zum Mitgliede einer höheren Gemeinschaft, zum Staatsbürger, zum Patrioten heranzuziehen, müsse das letzte und höchste Ziel aller Menschenbildung sein. Politische Vereine, wie sie Hagen im Sinne hatte, haben wir erst seit wenigen Jahren, in den hie und da gegründeten „Jugendvereinen". In weit größerem Umfang freilich läßt sich die politische Schulung der Jugend die Partei angelegen sein, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die bestehende Staats¬ und Gesellschaftsordnung zu beseitigen. In den sozialdemokratischen Jugend¬ vereinen und Rednerschulen werden die Waffen für diesen unedlen und traurigen Kampf geschmiedet. Mit den politischen Vereinen hält Karl Hagen die staatsbürgerliche Volks¬ erziehung noch nicht für abgeschlossen. Ihren Schlußstein muß nach seiner Meinung das Volksfest bilden. Schon Friedrich Ludwig Jahr hatte Volksfeste „mit vater¬ ländischen Vorträgen" gefordert, durch die es „uns endlich auch wieder gelingen müsse, Staat und Kirche zum Besten des Volks in gemeinschaftliche Wechsel¬ wirkung zu setzen" Die schon bestehenden Volksfeste könnte man, meint Hagen, recht gut benutzen, aber sie müßten einen höheren Charakter erhalten. Sie dürften keineswegs bloß Feste des Behagens sein, auch nicht bloß Feste für einen untergeordneten Teil der nationalen Tätigkeit, wie z. B. für Landwirtschaft u. tgi., fondern für alle Klassen, sür alle Richtungen der Kultur, der materiellen wie der geistigen. Zunächst also würden auf dem Volksfeste die „Gewerbsvereine" die Erzeug¬ nisse ihrer Industrie ausstellen, ebenso die Landwirte die des Landbaues oder der Viehzucht, die Künstler die Hervorbringungen ihrer Phantasie, die Sing¬ vereine könnten miteinander wetteifern. Auch die Dichter müßten dabei berücksichtigt werden: lyrische Gedichte oder Epen könnten sie selber vorlesen, Dramen würden aufgeführt. Dies würde unserer nationalen Dichtkunst einen großen Anstoß geben, bessere Empfänglichkeit im Volke für nationale Stoffe schaffen und das lange erhoffte Nationaltheater vorbereiten. Denn das Zusammensein von Volksmassen weckt in diesen das Gefühl der Gemeinsamkeit, die Liebe zum nationalen, und die Dichter würden durch stärkere Betonung der volksmäßigen Richtung, die ihnen bisher gefehlt hat, um allgemeinen Anklang zu finden, nun wirkliche Volksschauspiele schaffen und große Wirkungen erzeugen. Die meiste Rücksicht verdiente natürlich das Drama, das Lustspiel wie die ernste Gattung. Beide aber müßten einen politischen Charakter tragen. Das Schauspiel hätte seine Stoffe aus der Vergangenheit, aus der Geschichte des Vaterlandes zu nehmen, das Lustspiel aber müßte sich nur mit der Gegenwart befassen, und zwar mit ihren politischen wie sozialen und literarischen Zuständen, kurz, es müßte ein aristophanisches sein. Ein Ausschuß könnte die vorher ein¬ gesandten Stücke prüfen und die zur Ausführung zu bestimmenden auswählen. *) Jahr, „Deutsches Volkstum". 1817. S. 270.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/364>, abgerufen am 19.10.2024.