Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts in einem 1845 veröffentlichten Aufsatz: "Über nationale Erziehung. Mit *) Er steht im zweiten Bande seines Werkes: "Fragen der Zeit, vom historischen
Standpunkte betrachtet". Stuttgart, Franckh, 1845, S. 277 ff. Hagen war Professor in Heidelberg, " 1810, f 1868. Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts in einem 1845 veröffentlichten Aufsatz: „Über nationale Erziehung. Mit *) Er steht im zweiten Bande seines Werkes: „Fragen der Zeit, vom historischen
Standpunkte betrachtet". Stuttgart, Franckh, 1845, S. 277 ff. Hagen war Professor in Heidelberg, » 1810, f 1868. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0363" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326533"/> <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts</fw><lb/> <p xml:id="ID_1707" prev="#ID_1706" next="#ID_1708"> in einem 1845 veröffentlichten Aufsatz: „Über nationale Erziehung. Mit<lb/> besonderer Rücksicht auf das System Friedrich Fröbels*)." Er schlägt die<lb/> Gründung von freien Vereinen, Erziehungsvereinen vor, wie sie damals im<lb/> Thüringischen und Sächsischen unter Mitwirkung Fröbels da und dort schon ins<lb/> Leben getreten seien. Aber zu diesen Vereinen und den schon überall bestehenden<lb/> „Singvereinen, Gewerbsvereinen, landwirtschaftlichen, literarischen und Lese-<lb/> vereinen" müßten politische treten, die dafür sorgten, daß das in der Schule<lb/> Gelernte weiter entwickelt und für das praktische Leben nutzbar gemacht würde.<lb/> „Diese sind um so notwendiger, weil in der Schule — die Universität aus¬<lb/> genommen — von Politik keine Rede ist, und auch nicht zu sein braucht." Aber<lb/> politische Bildung, „nicht das Räsonieren, nicht die sogenannte Kannegießerei,<lb/> sondern die wirkliche Kenntnis von den Zuständen des Staates im allgemeinen<lb/> und des besonderen, in welchem man lebt", sei jedem vonnöten, der in allen<lb/> Beziehungen wahrer Mensch sein will. Eine genaue Kenntnis der Staatsverfassung<lb/> sei das erste Erfordernis. Hagen schlägt vor, den Anfang mit der Belehrung<lb/> darüber in den allenthalben in Deutschland bestehenden Sonntagsschulen zu<lb/> machen, so daß der junge Mann, wenn er in den politischen Verein tritt, die<lb/> Kenntnis der Verfassung schon mitbringt. In den letzteren sollten vornehmlich<lb/> Geschichte, vorzüglich die des Vaterlandes und der neuesten Zeit, dann die ver¬<lb/> schiedenen Staatsverfassungen, die Gerichtsverfassung, Handel und Gewerbe usw.<lb/> zur Sprache gebracht werden. Die Einrichtung denkt sich Hagen ungefähr so:<lb/> Alle acht Tage etwa hält der Verein eine Sitzung; wenn man will, kann man<lb/> dabei trinken nach altgermanischer Sitte. Hier hält einer oder der andere einen<lb/> Vortrag über einen beliebigen Gegenstand, an den eine allgemeine Erörterung<lb/> sich anschließen kann. Diese bietet zugleich eine gute Übung im freien Sprechen.<lb/> Der politische Verein müßte auch Zeitungen und Bücher für die Mitglieder<lb/> anschaffen; wichtigere kleine Schriften könnten gleich im Verein vorgelesen werden.<lb/> Gut wäre es auch, wenn einer etwa ein Vierteljahr oder ein halbes hindurch<lb/> Vorträge hielte über einen größeren Gegenstand, wie z. B. über Geschichte, über<lb/> die Handelsverhältnisse, die Staatsverfassung verschiedener Länder usw., um den<lb/> Mitgliedern eine zusammenhängende Kenntnis zu verschaffen. Derartige politische<lb/> Vereine seien in England und Nordamerika, auch in der Schweiz, die Vorschule<lb/> für künftige Volksvertreter. Und uns Deutschen, denen man nicht mit Unrecht<lb/> Mangel an politischem Takte vorwerfe, und die ihre lückenhaften politischen<lb/> Kenntnisse in der Hauptsache aus Zeitungen schöpften, seien solche Vereine ganz<lb/> besonders nötig. Durch sie werde das Gefühl der Gemeinsamkeit, das Bewußt¬<lb/> sein, einem größeren Ganzen anzugehören, worauf schon in den (Fröbelschen)<lb/> Kindergärten und auf den Turnplätzen hingearbeitet worden sei, erst recht<lb/> befestigt werden. Dieses Gefühl nicht nur im Kinde, im Jünglinge, sondern</p><lb/> <note xml:id="FID_144" place="foot"> *) Er steht im zweiten Bande seines Werkes: „Fragen der Zeit, vom historischen<lb/> Standpunkte betrachtet". Stuttgart, Franckh, 1845, S. 277 ff. Hagen war Professor in<lb/> Heidelberg, » 1810, f 1868.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0363]
Zur Geschichte des staatsbürgerlichen Unterrichts
in einem 1845 veröffentlichten Aufsatz: „Über nationale Erziehung. Mit
besonderer Rücksicht auf das System Friedrich Fröbels*)." Er schlägt die
Gründung von freien Vereinen, Erziehungsvereinen vor, wie sie damals im
Thüringischen und Sächsischen unter Mitwirkung Fröbels da und dort schon ins
Leben getreten seien. Aber zu diesen Vereinen und den schon überall bestehenden
„Singvereinen, Gewerbsvereinen, landwirtschaftlichen, literarischen und Lese-
vereinen" müßten politische treten, die dafür sorgten, daß das in der Schule
Gelernte weiter entwickelt und für das praktische Leben nutzbar gemacht würde.
„Diese sind um so notwendiger, weil in der Schule — die Universität aus¬
genommen — von Politik keine Rede ist, und auch nicht zu sein braucht." Aber
politische Bildung, „nicht das Räsonieren, nicht die sogenannte Kannegießerei,
sondern die wirkliche Kenntnis von den Zuständen des Staates im allgemeinen
und des besonderen, in welchem man lebt", sei jedem vonnöten, der in allen
Beziehungen wahrer Mensch sein will. Eine genaue Kenntnis der Staatsverfassung
sei das erste Erfordernis. Hagen schlägt vor, den Anfang mit der Belehrung
darüber in den allenthalben in Deutschland bestehenden Sonntagsschulen zu
machen, so daß der junge Mann, wenn er in den politischen Verein tritt, die
Kenntnis der Verfassung schon mitbringt. In den letzteren sollten vornehmlich
Geschichte, vorzüglich die des Vaterlandes und der neuesten Zeit, dann die ver¬
schiedenen Staatsverfassungen, die Gerichtsverfassung, Handel und Gewerbe usw.
zur Sprache gebracht werden. Die Einrichtung denkt sich Hagen ungefähr so:
Alle acht Tage etwa hält der Verein eine Sitzung; wenn man will, kann man
dabei trinken nach altgermanischer Sitte. Hier hält einer oder der andere einen
Vortrag über einen beliebigen Gegenstand, an den eine allgemeine Erörterung
sich anschließen kann. Diese bietet zugleich eine gute Übung im freien Sprechen.
Der politische Verein müßte auch Zeitungen und Bücher für die Mitglieder
anschaffen; wichtigere kleine Schriften könnten gleich im Verein vorgelesen werden.
Gut wäre es auch, wenn einer etwa ein Vierteljahr oder ein halbes hindurch
Vorträge hielte über einen größeren Gegenstand, wie z. B. über Geschichte, über
die Handelsverhältnisse, die Staatsverfassung verschiedener Länder usw., um den
Mitgliedern eine zusammenhängende Kenntnis zu verschaffen. Derartige politische
Vereine seien in England und Nordamerika, auch in der Schweiz, die Vorschule
für künftige Volksvertreter. Und uns Deutschen, denen man nicht mit Unrecht
Mangel an politischem Takte vorwerfe, und die ihre lückenhaften politischen
Kenntnisse in der Hauptsache aus Zeitungen schöpften, seien solche Vereine ganz
besonders nötig. Durch sie werde das Gefühl der Gemeinsamkeit, das Bewußt¬
sein, einem größeren Ganzen anzugehören, worauf schon in den (Fröbelschen)
Kindergärten und auf den Turnplätzen hingearbeitet worden sei, erst recht
befestigt werden. Dieses Gefühl nicht nur im Kinde, im Jünglinge, sondern
*) Er steht im zweiten Bande seines Werkes: „Fragen der Zeit, vom historischen
Standpunkte betrachtet". Stuttgart, Franckh, 1845, S. 277 ff. Hagen war Professor in
Heidelberg, » 1810, f 1868.
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