Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Amerikanische Diplomaten Schulen nicht zu beseitigen. Ihre Wurzeln liegen tief im politischen Orga¬ Vor dem spanisch-amerikanischen Kriege haben die Amerikaner der Diplo¬ Amerikanische Diplomaten Schulen nicht zu beseitigen. Ihre Wurzeln liegen tief im politischen Orga¬ Vor dem spanisch-amerikanischen Kriege haben die Amerikaner der Diplo¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0350" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326520"/> <fw type="header" place="top"> Amerikanische Diplomaten</fw><lb/> <p xml:id="ID_1673" prev="#ID_1672"> Schulen nicht zu beseitigen. Ihre Wurzeln liegen tief im politischen Orga¬<lb/> nismus, in dem das ganze nationale Leben der Amerikaner durchdringenden<lb/> Parteiwesen mit seinem schlimmsten Auswuchs, dem Beuteprinzip.</p><lb/> <p xml:id="ID_1674" next="#ID_1675"> Vor dem spanisch-amerikanischen Kriege haben die Amerikaner der Diplo¬<lb/> matie als Beruf fast gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Vor 1898 haben sie<lb/> an den großen Problemen der internationalen Politik nur geringen Anteil<lb/> gehabt. Die Vereinigten Staaten sind geographisch von den großen Militär¬<lb/> mächten isoliert, sie haben keine feindlichen Invasionen, keine ernsten Gebiets¬<lb/> streitigkeiten zu befürchten. Für die früheren englischen Kolonien, die sich 1776<lb/> freimachten und als Republik konstituierten, war diese Isolierung ein unschätz¬<lb/> barer Segen. Das junge Gemeinwesen war dadurch aller Kriegssorgen und<lb/> Kriegslasten enthoben und konnte sich ungestört dem inneren Ausbau, der Kon¬<lb/> solidierung seines Staatswesens, den Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung<lb/> widmen. Es konnte alle seine Kräfte auf diese Aufgaben konzentrieren; Mili¬<lb/> tarismus und Imperialismus, die Sorge um ein stehendes Heer und um inter¬<lb/> nationales „Prestige" griffen nicht störend und Opfer heischend in die innere<lb/> Entwicklung ein. Dieser gesegnete Zustand halte naturgemäß zur Folge, daß<lb/> die nordamerikanische Union sich um Vorbildung und Eignung ihrer diplo¬<lb/> matischen Vertreter im Auslande wenig kümmerte. Unterstützt wurde diese<lb/> Gleichgültigkeit durch einen hervorstechenden republikanischen Wesenszug. Der<lb/> Nordamerikaner wechselt leicht seinen Beruf, ergreift leichten Herzens irgendeine<lb/> Beschäftigung, wenn diese auch seinem Entwicklungsgange fernliegt. Mutig und<lb/> tatkräftig versucht er auf einem anderen Wege vorwärtszukommen, wenn der<lb/> zuvor eingeschlagene nicht rasch genug zum Ziele führt. Diese vielseitige<lb/> Brauchbarkeit, diese Beweglichkeit des Entschlusses ist ein Kennzeichen des<lb/> Republikaners. Für das Vorwärtskommen des einzelnen ist diese Eigenschaft<lb/> in hohem Grade nützlich; weniger ersprießlich ist sie für den Staatsdienst. Es<lb/> ist die schwache Seite des republikanischen Staatswesens, daß der Grundsatz<lb/> „sveryboä^ i8 fit lor ever^tKinZ" (jeder eignet sich für alles) allzu unbe¬<lb/> denklich auch auf die öffentlichen Ämter ausgedehnt wird. In den Republiken<lb/> verkennt man vielfach die Schwierigkeiten des Regierens und Verwalters; man<lb/> meint dort, jeder mit einiger Bildung und Intelligenz ausgestattete Mann sei<lb/> imstande, die Routine und das Wesen eines öffentlichen Amtes mit Leichtigkeit<lb/> zu erfassen und zu meistern. Speziell in Amerika werden die schlimmen Folgen<lb/> dieser Auffassung noch verschärft durch die demokratische Abneigung gegen lange<lb/> Amtsdauer, durch das Streben der beiden großen politischen ^Parteien, ihre<lb/> Gewalt durch Vergebung von Ämtern zu befestigen, die Dienste der Partei¬<lb/> freunde zu belohnen und ihre Gegner aus den Ämtern zu verdrängen. Die<lb/> unausbleibliche Folge dieser Praxis (im politischen Jargon der Amerikaner<lb/> „spoil8 System", Beutesystem, genannt) ist, daß der Amtsberuf drüben an<lb/> größeren Schäden krankt, als in europäischen Ländern. Die Stellung der Re-<lb/> gierungsbeamten ist weniger sicher, ihre Vorbildung ist im allgemeinen geringer.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0350]
Amerikanische Diplomaten
Schulen nicht zu beseitigen. Ihre Wurzeln liegen tief im politischen Orga¬
nismus, in dem das ganze nationale Leben der Amerikaner durchdringenden
Parteiwesen mit seinem schlimmsten Auswuchs, dem Beuteprinzip.
Vor dem spanisch-amerikanischen Kriege haben die Amerikaner der Diplo¬
matie als Beruf fast gar keine Aufmerksamkeit geschenkt. Vor 1898 haben sie
an den großen Problemen der internationalen Politik nur geringen Anteil
gehabt. Die Vereinigten Staaten sind geographisch von den großen Militär¬
mächten isoliert, sie haben keine feindlichen Invasionen, keine ernsten Gebiets¬
streitigkeiten zu befürchten. Für die früheren englischen Kolonien, die sich 1776
freimachten und als Republik konstituierten, war diese Isolierung ein unschätz¬
barer Segen. Das junge Gemeinwesen war dadurch aller Kriegssorgen und
Kriegslasten enthoben und konnte sich ungestört dem inneren Ausbau, der Kon¬
solidierung seines Staatswesens, den Fragen der Gesetzgebung und Verwaltung
widmen. Es konnte alle seine Kräfte auf diese Aufgaben konzentrieren; Mili¬
tarismus und Imperialismus, die Sorge um ein stehendes Heer und um inter¬
nationales „Prestige" griffen nicht störend und Opfer heischend in die innere
Entwicklung ein. Dieser gesegnete Zustand halte naturgemäß zur Folge, daß
die nordamerikanische Union sich um Vorbildung und Eignung ihrer diplo¬
matischen Vertreter im Auslande wenig kümmerte. Unterstützt wurde diese
Gleichgültigkeit durch einen hervorstechenden republikanischen Wesenszug. Der
Nordamerikaner wechselt leicht seinen Beruf, ergreift leichten Herzens irgendeine
Beschäftigung, wenn diese auch seinem Entwicklungsgange fernliegt. Mutig und
tatkräftig versucht er auf einem anderen Wege vorwärtszukommen, wenn der
zuvor eingeschlagene nicht rasch genug zum Ziele führt. Diese vielseitige
Brauchbarkeit, diese Beweglichkeit des Entschlusses ist ein Kennzeichen des
Republikaners. Für das Vorwärtskommen des einzelnen ist diese Eigenschaft
in hohem Grade nützlich; weniger ersprießlich ist sie für den Staatsdienst. Es
ist die schwache Seite des republikanischen Staatswesens, daß der Grundsatz
„sveryboä^ i8 fit lor ever^tKinZ" (jeder eignet sich für alles) allzu unbe¬
denklich auch auf die öffentlichen Ämter ausgedehnt wird. In den Republiken
verkennt man vielfach die Schwierigkeiten des Regierens und Verwalters; man
meint dort, jeder mit einiger Bildung und Intelligenz ausgestattete Mann sei
imstande, die Routine und das Wesen eines öffentlichen Amtes mit Leichtigkeit
zu erfassen und zu meistern. Speziell in Amerika werden die schlimmen Folgen
dieser Auffassung noch verschärft durch die demokratische Abneigung gegen lange
Amtsdauer, durch das Streben der beiden großen politischen ^Parteien, ihre
Gewalt durch Vergebung von Ämtern zu befestigen, die Dienste der Partei¬
freunde zu belohnen und ihre Gegner aus den Ämtern zu verdrängen. Die
unausbleibliche Folge dieser Praxis (im politischen Jargon der Amerikaner
„spoil8 System", Beutesystem, genannt) ist, daß der Amtsberuf drüben an
größeren Schäden krankt, als in europäischen Ländern. Die Stellung der Re-
gierungsbeamten ist weniger sicher, ihre Vorbildung ist im allgemeinen geringer.
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