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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

"Verrat!" stieß er hervor -- da ging draußen der Höllenlärm los.

"An die Gewehre!" rief Cäsar von Brügge. Im Handumdrehen standen
zwanzig Bewaffnete im Vorsaal bereit und harrten auf Wenkendorffs Kommando.

Draußen war es still geworden.

"Aus dem Garten kamen die Schüsse?" fragte der alte Freiherr seinen Förster.
Doch ehe er noch Antwort geben konnte, donnerten drei Schläge gegen die Haus¬
tür und eine kräftige Stimme rief auf chemisch:

"Der Baron soll kommen! Wir schießen nicht!" Und eine andere Stimme
rief dazwischen: "Ihr habt zuerst geschossen!"

"Ich werde mit den Leuten reden!"

Aber die Junker vertraten dem alten Herrn den Weg und hoben be¬
schwörend die Arme: "Schicken Sie einen von uns, Baron! Sie dürfen sich
nicht in Gefahr bringen!"

Sandberg sagte: "Es ist keine Gefahr! Auf den Herrn schießen sie nicht.
Die kommen wegen der Gefangenen."

Der alte Wenkendorff nahm den Arm seines Försters und ging auf die
Terrasse hinaus. "Bitte bleiben Sie zurück!" wandte er sich zu den Junkern
und schloß die Tür hinter sich.

Als er das Bild sah, in das sich jetzt der alte Hof von Sternburg ver¬
wandelt hatte, blieb er überrascht stehen.

Fackeln knisterten auf und beleuchteten zunächst einen Reiter, der aus weißem
Pferd vor der Rampe hielt. Er hatte einen roten Frack an, wie ihn die
Kavaliere zur Schnitzeljagd tragen, und ein Karabiner hing ihm vom Sattel.
Geschwärzt waren die Gesichter der Fackelträger, die ihm zur Seite standen,
geschwärzt auch die Hunderte von Gestalten, die im weiten Kreise den Hofraum
anfüllten -- in trotziger Haltung und gut bewaffnet.

Der Reiter lüftete in weitem Schwunge seinen Zylinder.

"Herr Baron!" sagte er stolz. "Wir führen gegen Sternburg nichts im
Schilde. Die Leute nennen Sie einen guten Herrn. Wenn Sie unsere For¬
derung erfüllen, ziehen wir ohne einen Schuß ab!"

"Was wollen Sie?"

"Den Schlüssel zum Spritzenhause, zwanzig Gewehre und den Baron
Wolfs Joachim von der Borke!"

"Gebt uns eine halbe Stunde Bedenkzeit!" sagte Herr von Wenkendorff.

"Gut! Aber Sie sollen wissen, daß jeder Widerstand nutzlos wäre. Das
Telephon ist zerschnitten. Hier im Hofe.stehen hundertundzwanzig Mann, ebenso¬
viel im Parke. Ein Wink von mir -- und diese Fackeln fliegen in Ihre
Scheunen!"

Der alte Baron sprach kein Wort weiter, nahm wieder Sandbergs Arm
und ging ins Haus zurück.

An jeder Luke der schweren Fensterläden hatten die Junker Posten gefaßt,
die Gewehre im Anschlag und hatten die Szene genau beobachtet.


Sturm

„Verrat!" stieß er hervor — da ging draußen der Höllenlärm los.

„An die Gewehre!" rief Cäsar von Brügge. Im Handumdrehen standen
zwanzig Bewaffnete im Vorsaal bereit und harrten auf Wenkendorffs Kommando.

Draußen war es still geworden.

„Aus dem Garten kamen die Schüsse?" fragte der alte Freiherr seinen Förster.
Doch ehe er noch Antwort geben konnte, donnerten drei Schläge gegen die Haus¬
tür und eine kräftige Stimme rief auf chemisch:

„Der Baron soll kommen! Wir schießen nicht!" Und eine andere Stimme
rief dazwischen: „Ihr habt zuerst geschossen!"

„Ich werde mit den Leuten reden!"

Aber die Junker vertraten dem alten Herrn den Weg und hoben be¬
schwörend die Arme: „Schicken Sie einen von uns, Baron! Sie dürfen sich
nicht in Gefahr bringen!"

Sandberg sagte: „Es ist keine Gefahr! Auf den Herrn schießen sie nicht.
Die kommen wegen der Gefangenen."

Der alte Wenkendorff nahm den Arm seines Försters und ging auf die
Terrasse hinaus. „Bitte bleiben Sie zurück!" wandte er sich zu den Junkern
und schloß die Tür hinter sich.

Als er das Bild sah, in das sich jetzt der alte Hof von Sternburg ver¬
wandelt hatte, blieb er überrascht stehen.

Fackeln knisterten auf und beleuchteten zunächst einen Reiter, der aus weißem
Pferd vor der Rampe hielt. Er hatte einen roten Frack an, wie ihn die
Kavaliere zur Schnitzeljagd tragen, und ein Karabiner hing ihm vom Sattel.
Geschwärzt waren die Gesichter der Fackelträger, die ihm zur Seite standen,
geschwärzt auch die Hunderte von Gestalten, die im weiten Kreise den Hofraum
anfüllten — in trotziger Haltung und gut bewaffnet.

Der Reiter lüftete in weitem Schwunge seinen Zylinder.

„Herr Baron!" sagte er stolz. „Wir führen gegen Sternburg nichts im
Schilde. Die Leute nennen Sie einen guten Herrn. Wenn Sie unsere For¬
derung erfüllen, ziehen wir ohne einen Schuß ab!"

„Was wollen Sie?"

„Den Schlüssel zum Spritzenhause, zwanzig Gewehre und den Baron
Wolfs Joachim von der Borke!"

„Gebt uns eine halbe Stunde Bedenkzeit!" sagte Herr von Wenkendorff.

„Gut! Aber Sie sollen wissen, daß jeder Widerstand nutzlos wäre. Das
Telephon ist zerschnitten. Hier im Hofe.stehen hundertundzwanzig Mann, ebenso¬
viel im Parke. Ein Wink von mir — und diese Fackeln fliegen in Ihre
Scheunen!"

Der alte Baron sprach kein Wort weiter, nahm wieder Sandbergs Arm
und ging ins Haus zurück.

An jeder Luke der schweren Fensterläden hatten die Junker Posten gefaßt,
die Gewehre im Anschlag und hatten die Szene genau beobachtet.


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[0283] Sturm „Verrat!" stieß er hervor — da ging draußen der Höllenlärm los. „An die Gewehre!" rief Cäsar von Brügge. Im Handumdrehen standen zwanzig Bewaffnete im Vorsaal bereit und harrten auf Wenkendorffs Kommando. Draußen war es still geworden. „Aus dem Garten kamen die Schüsse?" fragte der alte Freiherr seinen Förster. Doch ehe er noch Antwort geben konnte, donnerten drei Schläge gegen die Haus¬ tür und eine kräftige Stimme rief auf chemisch: „Der Baron soll kommen! Wir schießen nicht!" Und eine andere Stimme rief dazwischen: „Ihr habt zuerst geschossen!" „Ich werde mit den Leuten reden!" Aber die Junker vertraten dem alten Herrn den Weg und hoben be¬ schwörend die Arme: „Schicken Sie einen von uns, Baron! Sie dürfen sich nicht in Gefahr bringen!" Sandberg sagte: „Es ist keine Gefahr! Auf den Herrn schießen sie nicht. Die kommen wegen der Gefangenen." Der alte Wenkendorff nahm den Arm seines Försters und ging auf die Terrasse hinaus. „Bitte bleiben Sie zurück!" wandte er sich zu den Junkern und schloß die Tür hinter sich. Als er das Bild sah, in das sich jetzt der alte Hof von Sternburg ver¬ wandelt hatte, blieb er überrascht stehen. Fackeln knisterten auf und beleuchteten zunächst einen Reiter, der aus weißem Pferd vor der Rampe hielt. Er hatte einen roten Frack an, wie ihn die Kavaliere zur Schnitzeljagd tragen, und ein Karabiner hing ihm vom Sattel. Geschwärzt waren die Gesichter der Fackelträger, die ihm zur Seite standen, geschwärzt auch die Hunderte von Gestalten, die im weiten Kreise den Hofraum anfüllten — in trotziger Haltung und gut bewaffnet. Der Reiter lüftete in weitem Schwunge seinen Zylinder. „Herr Baron!" sagte er stolz. „Wir führen gegen Sternburg nichts im Schilde. Die Leute nennen Sie einen guten Herrn. Wenn Sie unsere For¬ derung erfüllen, ziehen wir ohne einen Schuß ab!" „Was wollen Sie?" „Den Schlüssel zum Spritzenhause, zwanzig Gewehre und den Baron Wolfs Joachim von der Borke!" „Gebt uns eine halbe Stunde Bedenkzeit!" sagte Herr von Wenkendorff. „Gut! Aber Sie sollen wissen, daß jeder Widerstand nutzlos wäre. Das Telephon ist zerschnitten. Hier im Hofe.stehen hundertundzwanzig Mann, ebenso¬ viel im Parke. Ein Wink von mir — und diese Fackeln fliegen in Ihre Scheunen!" Der alte Baron sprach kein Wort weiter, nahm wieder Sandbergs Arm und ging ins Haus zurück. An jeder Luke der schweren Fensterläden hatten die Junker Posten gefaßt, die Gewehre im Anschlag und hatten die Szene genau beobachtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/283>, abgerufen am 28.12.2024.