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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Jetzt drängten sie sich um den Gutsherrn und forderten stürmisch: "wir
schießen sie zusammen!"

Nur Sandberg schwieg.

"Ruhe!" gebot Wenkendorff. "Ruhe, meine Herren!"

Er sah sich um im Kreis und überlegte lange, sichtlich mit sich kämpfend.
Da fiel sein Blick auf seine Töchter, die mit todesbleichen Gesichtern dastanden.
Edda mußte von Edles gestützt werden, eine so fürchterliche Schwäche hatte sie
übermannt: "Vater!" brach Edles los. "Evi ist fort!"

Da ging ein eisiger Schrecken durch die kampfbereite Schar, und ein Schrei
löste sich von Sandbergs Lippen. Seine Augen sahen starr nach dem Gewehr¬
ständer. Er griff sich ans Herz:

"Sie ist mit meinem Gewehr fort! Sie war es, die den ersten Schuß tat.
Es war ein Schrotschuß. Ich habe es am Knall erkannt!"

Er stürzte auf die Tür los, aber sein Herr riß ihn zurück: "Dageblieben,
Sandberg! Es hilft nichts! Sollen zwanzig Menschen um ein törichtes Kind
niedergemetzelt werden? Wenn sie überhaupt in Gefahr ist -- du würdest sie
nicht retten! Jedenfalls müssen wir unsere Entschlüsse ohne Rücksicht auf sie
fassen. Hier fragt es sich: sollen wir die Forderung der Bande erfüllen oder
nicht. Ist es für die gemeinsame Sache wichtiger, daß wir uns opfern, oder
daß wir mit der Bande paktieren. So weit ist es gekommen, daß selbst einige
von meinen Leuten sich zu den Aufwieglern geschlagen und uns an sie verraten
haben. Meine Herren, ob wir uns wehren oder nicht, und wie die Sache auch
ausgehen mag, das bedeutet an sich schon eine Niederlage. Mächtiger als Treue
und Dank für gerechte Behandlung war die Stimme des Blutes. Die Scharte
können wir nur auf anderem Felde auswetzen.

Meine Herren -- ich bin mir bewußt,- daß Ihnen meine Bitte durchaus
wider die Natur geht. Ich würde sie auch gewiß nicht stellen, wenn Wolff
Joachim noch hier wäre. Er ist zur rechten Zeit fortgeritten. Ihn hätten wir
niemals preisgegeben. Meine Herren, Sie kamen nach Sternburg, lauter Helden,
bereit, Ihr junges Leben für unser Deutschtum zu opfern. Jetzt bitte ich Sie:
tun Sie es nicht! Und, wenn mir in dieser Stunde die Begründung auch unmög¬
lich ist, glauben Sie mir: Sie nützen unserer Sache mehr, wenn Sie jetzt die
Gewehre aus der Hand legen."

Gepreßt und schwer waren die Worte dem Alten von den Lippen gekommen.
Cäsar von Brügge war der erste, der seinen Wunsch erfüllte.

"Ein neues Port Arthur!" sagte er, finster dreinblickend und stellte sein
Gewehr fort. Nur zögernd folgten ihm die andern.

Edles und Edda waren zu Sandberg getreten, mit Tränen in den Augen:

"Was glauben Sie? Wo mag sie stecken? Ist sie gefangen? Hat man
ihr was getan? Liegt sie irgendwo verwundet -- tot?"

Sandberg stürmte die Stufen hinauf und spähte durch das Fenster des
Treppenabsatzes in den Hof.


Sturm

Jetzt drängten sie sich um den Gutsherrn und forderten stürmisch: „wir
schießen sie zusammen!"

Nur Sandberg schwieg.

„Ruhe!" gebot Wenkendorff. „Ruhe, meine Herren!"

Er sah sich um im Kreis und überlegte lange, sichtlich mit sich kämpfend.
Da fiel sein Blick auf seine Töchter, die mit todesbleichen Gesichtern dastanden.
Edda mußte von Edles gestützt werden, eine so fürchterliche Schwäche hatte sie
übermannt: „Vater!" brach Edles los. „Evi ist fort!"

Da ging ein eisiger Schrecken durch die kampfbereite Schar, und ein Schrei
löste sich von Sandbergs Lippen. Seine Augen sahen starr nach dem Gewehr¬
ständer. Er griff sich ans Herz:

„Sie ist mit meinem Gewehr fort! Sie war es, die den ersten Schuß tat.
Es war ein Schrotschuß. Ich habe es am Knall erkannt!"

Er stürzte auf die Tür los, aber sein Herr riß ihn zurück: „Dageblieben,
Sandberg! Es hilft nichts! Sollen zwanzig Menschen um ein törichtes Kind
niedergemetzelt werden? Wenn sie überhaupt in Gefahr ist — du würdest sie
nicht retten! Jedenfalls müssen wir unsere Entschlüsse ohne Rücksicht auf sie
fassen. Hier fragt es sich: sollen wir die Forderung der Bande erfüllen oder
nicht. Ist es für die gemeinsame Sache wichtiger, daß wir uns opfern, oder
daß wir mit der Bande paktieren. So weit ist es gekommen, daß selbst einige
von meinen Leuten sich zu den Aufwieglern geschlagen und uns an sie verraten
haben. Meine Herren, ob wir uns wehren oder nicht, und wie die Sache auch
ausgehen mag, das bedeutet an sich schon eine Niederlage. Mächtiger als Treue
und Dank für gerechte Behandlung war die Stimme des Blutes. Die Scharte
können wir nur auf anderem Felde auswetzen.

Meine Herren — ich bin mir bewußt,- daß Ihnen meine Bitte durchaus
wider die Natur geht. Ich würde sie auch gewiß nicht stellen, wenn Wolff
Joachim noch hier wäre. Er ist zur rechten Zeit fortgeritten. Ihn hätten wir
niemals preisgegeben. Meine Herren, Sie kamen nach Sternburg, lauter Helden,
bereit, Ihr junges Leben für unser Deutschtum zu opfern. Jetzt bitte ich Sie:
tun Sie es nicht! Und, wenn mir in dieser Stunde die Begründung auch unmög¬
lich ist, glauben Sie mir: Sie nützen unserer Sache mehr, wenn Sie jetzt die
Gewehre aus der Hand legen."

Gepreßt und schwer waren die Worte dem Alten von den Lippen gekommen.
Cäsar von Brügge war der erste, der seinen Wunsch erfüllte.

„Ein neues Port Arthur!" sagte er, finster dreinblickend und stellte sein
Gewehr fort. Nur zögernd folgten ihm die andern.

Edles und Edda waren zu Sandberg getreten, mit Tränen in den Augen:

„Was glauben Sie? Wo mag sie stecken? Ist sie gefangen? Hat man
ihr was getan? Liegt sie irgendwo verwundet — tot?"

Sandberg stürmte die Stufen hinauf und spähte durch das Fenster des
Treppenabsatzes in den Hof.


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[0284] Sturm Jetzt drängten sie sich um den Gutsherrn und forderten stürmisch: „wir schießen sie zusammen!" Nur Sandberg schwieg. „Ruhe!" gebot Wenkendorff. „Ruhe, meine Herren!" Er sah sich um im Kreis und überlegte lange, sichtlich mit sich kämpfend. Da fiel sein Blick auf seine Töchter, die mit todesbleichen Gesichtern dastanden. Edda mußte von Edles gestützt werden, eine so fürchterliche Schwäche hatte sie übermannt: „Vater!" brach Edles los. „Evi ist fort!" Da ging ein eisiger Schrecken durch die kampfbereite Schar, und ein Schrei löste sich von Sandbergs Lippen. Seine Augen sahen starr nach dem Gewehr¬ ständer. Er griff sich ans Herz: „Sie ist mit meinem Gewehr fort! Sie war es, die den ersten Schuß tat. Es war ein Schrotschuß. Ich habe es am Knall erkannt!" Er stürzte auf die Tür los, aber sein Herr riß ihn zurück: „Dageblieben, Sandberg! Es hilft nichts! Sollen zwanzig Menschen um ein törichtes Kind niedergemetzelt werden? Wenn sie überhaupt in Gefahr ist — du würdest sie nicht retten! Jedenfalls müssen wir unsere Entschlüsse ohne Rücksicht auf sie fassen. Hier fragt es sich: sollen wir die Forderung der Bande erfüllen oder nicht. Ist es für die gemeinsame Sache wichtiger, daß wir uns opfern, oder daß wir mit der Bande paktieren. So weit ist es gekommen, daß selbst einige von meinen Leuten sich zu den Aufwieglern geschlagen und uns an sie verraten haben. Meine Herren, ob wir uns wehren oder nicht, und wie die Sache auch ausgehen mag, das bedeutet an sich schon eine Niederlage. Mächtiger als Treue und Dank für gerechte Behandlung war die Stimme des Blutes. Die Scharte können wir nur auf anderem Felde auswetzen. Meine Herren — ich bin mir bewußt,- daß Ihnen meine Bitte durchaus wider die Natur geht. Ich würde sie auch gewiß nicht stellen, wenn Wolff Joachim noch hier wäre. Er ist zur rechten Zeit fortgeritten. Ihn hätten wir niemals preisgegeben. Meine Herren, Sie kamen nach Sternburg, lauter Helden, bereit, Ihr junges Leben für unser Deutschtum zu opfern. Jetzt bitte ich Sie: tun Sie es nicht! Und, wenn mir in dieser Stunde die Begründung auch unmög¬ lich ist, glauben Sie mir: Sie nützen unserer Sache mehr, wenn Sie jetzt die Gewehre aus der Hand legen." Gepreßt und schwer waren die Worte dem Alten von den Lippen gekommen. Cäsar von Brügge war der erste, der seinen Wunsch erfüllte. „Ein neues Port Arthur!" sagte er, finster dreinblickend und stellte sein Gewehr fort. Nur zögernd folgten ihm die andern. Edles und Edda waren zu Sandberg getreten, mit Tränen in den Augen: „Was glauben Sie? Wo mag sie stecken? Ist sie gefangen? Hat man ihr was getan? Liegt sie irgendwo verwundet — tot?" Sandberg stürmte die Stufen hinauf und spähte durch das Fenster des Treppenabsatzes in den Hof.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/284>, abgerufen am 28.12.2024.