Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.Aus dem Werdegang der Mathematik gehen, UM zur Wahrheit zu gelangen. Der menschliche Geist ist dazu fähig. Doch Descartes hat auch Positives für die Mathematik geleistet. Betrachten Durch die Zurückführung der Geometrie auf die Lehre von den Zahlen Galilei verdanken wir die Klärung der Begriffe Geschwindigkeit und Be¬ Durch Galileis Bewegungslehre wurde Newton zu den Grundvorstellungen Aus dem Werdegang der Mathematik gehen, UM zur Wahrheit zu gelangen. Der menschliche Geist ist dazu fähig. Doch Descartes hat auch Positives für die Mathematik geleistet. Betrachten Durch die Zurückführung der Geometrie auf die Lehre von den Zahlen Galilei verdanken wir die Klärung der Begriffe Geschwindigkeit und Be¬ Durch Galileis Bewegungslehre wurde Newton zu den Grundvorstellungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326410"/> <fw type="header" place="top"> Aus dem Werdegang der Mathematik</fw><lb/> <p xml:id="ID_1148" prev="#ID_1147"> gehen, UM zur Wahrheit zu gelangen. Der menschliche Geist ist dazu fähig.<lb/> Den besten Beweis für seine Wahrheitsfähigkeit liefert die Mathematik. Aus<lb/> wenigen Axiomen entwickelt sie durch wahre Schlüsse die Fülle ihrer Theoreme.<lb/> Dieser mathematischen Methode muß sich die Philosophie bedienen und aus<lb/> unmittelbar einleuchtenden Prinzipien deduktiv ihre Sätze ableiten. „Omnie<lb/> apuä me matkematice kinnt," sagte Descartes. Damit verschaffte er der<lb/> mathematischen Methode Zutritt in das Gebäude der Philosophie, und man<lb/> kann nicht behaupten, daß es der Philosophie immer zum Heile ausschlug.</p><lb/> <p xml:id="ID_1149"> Doch Descartes hat auch Positives für die Mathematik geleistet. Betrachten<lb/> wir heute die Temperaturkurve an einer Wettersäule, so nehmen wir die klare<lb/> und übersichtliche Orientierung als selbstverständlich hin. Wir finden dort auf<lb/> einer horizontalen Geraden die Zeit abgetragen (Abszisse) und für die einzelnen<lb/> Zeitpunkte die zugehörige Temperatur auf einer vertikalen Geraden nach oben<lb/> oder unten (Ordinate). Die Endpunkte dieser vertikalen Strecken bilden mit¬<lb/> einander verbunden eine Kurve, welche mit einem Blick den Temperaturverlauf<lb/> innerhalb eines jeden Zeitabschnittes erkennen läßt. Descartes hat diesen Be¬<lb/> griff der veränderlichen Größe und der Funktion eingeführt und mit Hilfe seines<lb/> „Koordinatensystems" zur Darstellung gebracht. Wenn auch schon von den<lb/> altägyptischen Baumeistern Koordinaten benutzt wurden, um beispielsweise bestimmte<lb/> Punkte einer Zeichnung festzulegen, so ahnte man damals doch nicht, welches<lb/> wichtige Hilfsmittel für die Geometrie daraus erwachsen konnte. Descartes<lb/> gebührt das Verdienst, es für die Geometrie eingeführt zu haben. Er übertrug<lb/> sie damals in die Sprache der Zahlenlehre und wurde so der Vater der<lb/> analytischen Geometrie.</p><lb/> <p xml:id="ID_1150"> Durch die Zurückführung der Geometrie auf die Lehre von den Zahlen<lb/> fand ein wichtiges mathematisches Problem, das schon die griechischen Mathe¬<lb/> matiker ernstlich beschäftigt hatte, nach und nach seine Lösung, nämlich das<lb/> Tangentenproblem, d. h. an eine Kurve eine gerade Linie zu ziehen, die durch<lb/> ihr „Neigungsverhältnis" gegen die Horizontale ein Maß für das Steigen oder<lb/> Fallen der Kurve an dem Berührungspunkt bildet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1151"> Galilei verdanken wir die Klärung der Begriffe Geschwindigkeit und Be¬<lb/> schleunigung, durch deren Anwendung die Bewegung frei fallender Körper in<lb/> einfachen Gesetzen ausgesprochen werden konnte. Damit legte er den Grund zu<lb/> einer wirklichen Dynamik, und indem er rechnerisch zu Werke ging, griff er auf<lb/> die infinitesimalen Arbeiten des Archimedes zurück und schlug Wege ein, die<lb/> Cavalieri, Fermat u. a. bis auf Newton und Leibniz weiter verfolgten. Mit<lb/> seiner Lehre von den Bewegungserscheinungen der Körper gab Galilei der<lb/> Mathematik Stoff zu neuen und ernsten Arbeiten. Seine Ermittlung der<lb/> Geschwindigkeit nach Richtung und Größe ist mit dem erwähnten Tangenten¬<lb/> problem identisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_1152" next="#ID_1153"> Durch Galileis Bewegungslehre wurde Newton zu den Grundvorstellungen<lb/> einer Fluxionsrechmmg geführt. Leibniz hat sich mehr an das Tangentenproblem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
Aus dem Werdegang der Mathematik
gehen, UM zur Wahrheit zu gelangen. Der menschliche Geist ist dazu fähig.
Den besten Beweis für seine Wahrheitsfähigkeit liefert die Mathematik. Aus
wenigen Axiomen entwickelt sie durch wahre Schlüsse die Fülle ihrer Theoreme.
Dieser mathematischen Methode muß sich die Philosophie bedienen und aus
unmittelbar einleuchtenden Prinzipien deduktiv ihre Sätze ableiten. „Omnie
apuä me matkematice kinnt," sagte Descartes. Damit verschaffte er der
mathematischen Methode Zutritt in das Gebäude der Philosophie, und man
kann nicht behaupten, daß es der Philosophie immer zum Heile ausschlug.
Doch Descartes hat auch Positives für die Mathematik geleistet. Betrachten
wir heute die Temperaturkurve an einer Wettersäule, so nehmen wir die klare
und übersichtliche Orientierung als selbstverständlich hin. Wir finden dort auf
einer horizontalen Geraden die Zeit abgetragen (Abszisse) und für die einzelnen
Zeitpunkte die zugehörige Temperatur auf einer vertikalen Geraden nach oben
oder unten (Ordinate). Die Endpunkte dieser vertikalen Strecken bilden mit¬
einander verbunden eine Kurve, welche mit einem Blick den Temperaturverlauf
innerhalb eines jeden Zeitabschnittes erkennen läßt. Descartes hat diesen Be¬
griff der veränderlichen Größe und der Funktion eingeführt und mit Hilfe seines
„Koordinatensystems" zur Darstellung gebracht. Wenn auch schon von den
altägyptischen Baumeistern Koordinaten benutzt wurden, um beispielsweise bestimmte
Punkte einer Zeichnung festzulegen, so ahnte man damals doch nicht, welches
wichtige Hilfsmittel für die Geometrie daraus erwachsen konnte. Descartes
gebührt das Verdienst, es für die Geometrie eingeführt zu haben. Er übertrug
sie damals in die Sprache der Zahlenlehre und wurde so der Vater der
analytischen Geometrie.
Durch die Zurückführung der Geometrie auf die Lehre von den Zahlen
fand ein wichtiges mathematisches Problem, das schon die griechischen Mathe¬
matiker ernstlich beschäftigt hatte, nach und nach seine Lösung, nämlich das
Tangentenproblem, d. h. an eine Kurve eine gerade Linie zu ziehen, die durch
ihr „Neigungsverhältnis" gegen die Horizontale ein Maß für das Steigen oder
Fallen der Kurve an dem Berührungspunkt bildet.
Galilei verdanken wir die Klärung der Begriffe Geschwindigkeit und Be¬
schleunigung, durch deren Anwendung die Bewegung frei fallender Körper in
einfachen Gesetzen ausgesprochen werden konnte. Damit legte er den Grund zu
einer wirklichen Dynamik, und indem er rechnerisch zu Werke ging, griff er auf
die infinitesimalen Arbeiten des Archimedes zurück und schlug Wege ein, die
Cavalieri, Fermat u. a. bis auf Newton und Leibniz weiter verfolgten. Mit
seiner Lehre von den Bewegungserscheinungen der Körper gab Galilei der
Mathematik Stoff zu neuen und ernsten Arbeiten. Seine Ermittlung der
Geschwindigkeit nach Richtung und Größe ist mit dem erwähnten Tangenten¬
problem identisch.
Durch Galileis Bewegungslehre wurde Newton zu den Grundvorstellungen
einer Fluxionsrechmmg geführt. Leibniz hat sich mehr an das Tangentenproblem
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |