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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Aus dem Werdegang der Mathematik

zuschrieb, ist bekannt. Nur geometrisch Gebildeten stand der Zutritt zu seiner
Akademie offen.

Die eigentliche Blütezeit der griechischen Mathematik setzte um das Jahr
300 v. Chr. in Alexandria ein und hatte die "Elemente" Euklids zur Grund¬
lage. Ein reges geistiges Leben herrschte damals in dieser Stadt. Mündlicher
Unterricht und mündlicher Verkehr trugen sehr zur Förderung des mathematischen
Wissens bei. Ob Archimedes in Alexandria studiert hat oder durch seinen
Freund Koror mit den alexandrinischen Mathematikern in Verbindung getreten
ist, wissen wir nicht. Jedenfalls verstand er es, sich als Techniker das mathe¬
matische Wissen der damaligen Zeit zunutze zu machen. Er beherrschte den
neuen Stoff vollständig und vermochte es, Betrachtungen und Überlegungen an¬
zustellen, die so weit über die damalige Zeit hinausgriffen, daß er bei den
Alexandrinern nicht immer auf volles Verständnis rechnen konnte. Aus einem
1906 in Konstantinopel entdeckten Palimpsest geht hervor, daß Archimedes sich
bei der Jnhaltsberechnung von Flächen und Körpern und bei Aufgaben aus
der Mechanik Methoden bediente, wie heute die Integralrechnung, indem er z. B.
ein Parabelsegment oder ein Dreieck als "Summe von Strecken" betrachtete.
Das ist dasselbe, als wenn die Integralrechnung eine Fläche als die Summe
unendlich vieler, unendlich schmaler Streifen ansieht und behandelt. In einer
Schrift über die Kugel und den Zylinder beweist er mit seiner neuen Methode,
daß die Kugel einem Kegel gleich ist, der die Oberfläche der Kugel zur Grund¬
fläche, ihren Halbmesser zur Höhe hat. Der Wichtigkeit seiner infinitesimalen
Betrachtungsweise war er sich wohl bewußt. Als Grabmal wünschte er sich
eine einem Zylinder eingeschriebene Kugel.

Neben Euklid und Archimedes zeichnete sich besonders Apollonius von Perge
aus, der sich in erster Linie mit den Kegelschnitten beschäftigte. Dann kam eine
lange Zeit ohne wesentliche Fortschritte der Mathematik. Erst mit dem Beginn
der Renaissance trat eine Wendung ein.

Bis dahin waren Algebra, Geometrie, die ersten Versuche der Integral¬
rechnung und Mechanik innig miteinander verschmolzen. In der Renaissancezeit
trennten sich die einzelnen Disziplinen mehr und mehr. Die Algebra mit ihrem
Symbolismus löste sich von der Geometrie los und machte schnell Fortschritte.
Die überaus klare Sprache, deren sie sich bediente, und die große Ersparnis an
Gedankenarbeit begünstigten dies sehr. In dieser Periode, die bis ans Ende
des siebzehnten Jahrhunderts reicht, wurde auch die Trigonometrie weiter aus¬
gebildet, die analytische Geometrie begründet; ferner erschienen die Logarithmen
auf der Bildflüche, und die Dynamik entstand. Den Abschluß bildete die Weiter¬
führung der Differential- und Integralrechnung durch Newton und Leibniz und
die Entdeckung der Gravitation. Kurz, es war eine Zeit reich an Neuerungen.
Descartes und Galilei waren die kühnsten Neuerer.

LoZito erZo sum. Das Dasein des Geistes ist für Descartes die erste
und gewisseste aller Erkenntnisse. Von solchen Erkenntnissen müssen wir aus-


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Aus dem Werdegang der Mathematik

zuschrieb, ist bekannt. Nur geometrisch Gebildeten stand der Zutritt zu seiner
Akademie offen.

Die eigentliche Blütezeit der griechischen Mathematik setzte um das Jahr
300 v. Chr. in Alexandria ein und hatte die „Elemente" Euklids zur Grund¬
lage. Ein reges geistiges Leben herrschte damals in dieser Stadt. Mündlicher
Unterricht und mündlicher Verkehr trugen sehr zur Förderung des mathematischen
Wissens bei. Ob Archimedes in Alexandria studiert hat oder durch seinen
Freund Koror mit den alexandrinischen Mathematikern in Verbindung getreten
ist, wissen wir nicht. Jedenfalls verstand er es, sich als Techniker das mathe¬
matische Wissen der damaligen Zeit zunutze zu machen. Er beherrschte den
neuen Stoff vollständig und vermochte es, Betrachtungen und Überlegungen an¬
zustellen, die so weit über die damalige Zeit hinausgriffen, daß er bei den
Alexandrinern nicht immer auf volles Verständnis rechnen konnte. Aus einem
1906 in Konstantinopel entdeckten Palimpsest geht hervor, daß Archimedes sich
bei der Jnhaltsberechnung von Flächen und Körpern und bei Aufgaben aus
der Mechanik Methoden bediente, wie heute die Integralrechnung, indem er z. B.
ein Parabelsegment oder ein Dreieck als „Summe von Strecken" betrachtete.
Das ist dasselbe, als wenn die Integralrechnung eine Fläche als die Summe
unendlich vieler, unendlich schmaler Streifen ansieht und behandelt. In einer
Schrift über die Kugel und den Zylinder beweist er mit seiner neuen Methode,
daß die Kugel einem Kegel gleich ist, der die Oberfläche der Kugel zur Grund¬
fläche, ihren Halbmesser zur Höhe hat. Der Wichtigkeit seiner infinitesimalen
Betrachtungsweise war er sich wohl bewußt. Als Grabmal wünschte er sich
eine einem Zylinder eingeschriebene Kugel.

Neben Euklid und Archimedes zeichnete sich besonders Apollonius von Perge
aus, der sich in erster Linie mit den Kegelschnitten beschäftigte. Dann kam eine
lange Zeit ohne wesentliche Fortschritte der Mathematik. Erst mit dem Beginn
der Renaissance trat eine Wendung ein.

Bis dahin waren Algebra, Geometrie, die ersten Versuche der Integral¬
rechnung und Mechanik innig miteinander verschmolzen. In der Renaissancezeit
trennten sich die einzelnen Disziplinen mehr und mehr. Die Algebra mit ihrem
Symbolismus löste sich von der Geometrie los und machte schnell Fortschritte.
Die überaus klare Sprache, deren sie sich bediente, und die große Ersparnis an
Gedankenarbeit begünstigten dies sehr. In dieser Periode, die bis ans Ende
des siebzehnten Jahrhunderts reicht, wurde auch die Trigonometrie weiter aus¬
gebildet, die analytische Geometrie begründet; ferner erschienen die Logarithmen
auf der Bildflüche, und die Dynamik entstand. Den Abschluß bildete die Weiter¬
führung der Differential- und Integralrechnung durch Newton und Leibniz und
die Entdeckung der Gravitation. Kurz, es war eine Zeit reich an Neuerungen.
Descartes und Galilei waren die kühnsten Neuerer.

LoZito erZo sum. Das Dasein des Geistes ist für Descartes die erste
und gewisseste aller Erkenntnisse. Von solchen Erkenntnissen müssen wir aus-


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[0239] Aus dem Werdegang der Mathematik zuschrieb, ist bekannt. Nur geometrisch Gebildeten stand der Zutritt zu seiner Akademie offen. Die eigentliche Blütezeit der griechischen Mathematik setzte um das Jahr 300 v. Chr. in Alexandria ein und hatte die „Elemente" Euklids zur Grund¬ lage. Ein reges geistiges Leben herrschte damals in dieser Stadt. Mündlicher Unterricht und mündlicher Verkehr trugen sehr zur Förderung des mathematischen Wissens bei. Ob Archimedes in Alexandria studiert hat oder durch seinen Freund Koror mit den alexandrinischen Mathematikern in Verbindung getreten ist, wissen wir nicht. Jedenfalls verstand er es, sich als Techniker das mathe¬ matische Wissen der damaligen Zeit zunutze zu machen. Er beherrschte den neuen Stoff vollständig und vermochte es, Betrachtungen und Überlegungen an¬ zustellen, die so weit über die damalige Zeit hinausgriffen, daß er bei den Alexandrinern nicht immer auf volles Verständnis rechnen konnte. Aus einem 1906 in Konstantinopel entdeckten Palimpsest geht hervor, daß Archimedes sich bei der Jnhaltsberechnung von Flächen und Körpern und bei Aufgaben aus der Mechanik Methoden bediente, wie heute die Integralrechnung, indem er z. B. ein Parabelsegment oder ein Dreieck als „Summe von Strecken" betrachtete. Das ist dasselbe, als wenn die Integralrechnung eine Fläche als die Summe unendlich vieler, unendlich schmaler Streifen ansieht und behandelt. In einer Schrift über die Kugel und den Zylinder beweist er mit seiner neuen Methode, daß die Kugel einem Kegel gleich ist, der die Oberfläche der Kugel zur Grund¬ fläche, ihren Halbmesser zur Höhe hat. Der Wichtigkeit seiner infinitesimalen Betrachtungsweise war er sich wohl bewußt. Als Grabmal wünschte er sich eine einem Zylinder eingeschriebene Kugel. Neben Euklid und Archimedes zeichnete sich besonders Apollonius von Perge aus, der sich in erster Linie mit den Kegelschnitten beschäftigte. Dann kam eine lange Zeit ohne wesentliche Fortschritte der Mathematik. Erst mit dem Beginn der Renaissance trat eine Wendung ein. Bis dahin waren Algebra, Geometrie, die ersten Versuche der Integral¬ rechnung und Mechanik innig miteinander verschmolzen. In der Renaissancezeit trennten sich die einzelnen Disziplinen mehr und mehr. Die Algebra mit ihrem Symbolismus löste sich von der Geometrie los und machte schnell Fortschritte. Die überaus klare Sprache, deren sie sich bediente, und die große Ersparnis an Gedankenarbeit begünstigten dies sehr. In dieser Periode, die bis ans Ende des siebzehnten Jahrhunderts reicht, wurde auch die Trigonometrie weiter aus¬ gebildet, die analytische Geometrie begründet; ferner erschienen die Logarithmen auf der Bildflüche, und die Dynamik entstand. Den Abschluß bildete die Weiter¬ führung der Differential- und Integralrechnung durch Newton und Leibniz und die Entdeckung der Gravitation. Kurz, es war eine Zeit reich an Neuerungen. Descartes und Galilei waren die kühnsten Neuerer. LoZito erZo sum. Das Dasein des Geistes ist für Descartes die erste und gewisseste aller Erkenntnisse. Von solchen Erkenntnissen müssen wir aus- 15*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/239>, abgerufen am 28.12.2024.