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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der englischen Aindcranswandcrung

der physisch Leistungsfähige, der geistig Normale, der moralisch Unverdorbene
ist heute für die Kolonien gut genug. Alle brüchigen, anrüchigen Existenzen
bleiben dem Lande erhalten, während ein Strom kräftiger, gut veranlagter
Menschen, Erwachsene und Kinder, alljährlich das Land dauernd verläßt. Eine
Rückkehr erfolgt in erster Linie nur seitens der Deportierten, durch die die Reihen
der "unsmplc>^nid!e8" in England wieder anschwellen. Eine langsame, stetige
Entwertung der einheimischen Bevölkerung muß die unvermeidliche Folge sein.
In Anbetracht dieser Verhältnisse ist für den Arbeitsmarkt in England die
alljährliche Einwanderung von Angehörigen niederstehender Völker des östlichen
Europas nicht unbedenklich. Auf einer Seite ein kosmopolitischer, vor allem
slavischer Strom geringwertiger Bevölkerung mit tiefstehenden Lebensniveau, der
sich in dem Lande breit macht, auf der anderen Seite ein starker Strom ein¬
heimischer Briten, der sich aus dem Lande gedrängt steht.

Offenbar ist im engeren nationalen Sinn eine starke Auswanderung heute
ein Übel, allerdings, wie Shaw sagt, ein notwendiges Übel, solange England
nicht nur an der großen Zahl seiner "unemplo^abies", sondern auch seiner
"unemplo^ca" krankt und unerwünschter Einwanderung nicht einen wirksamen
Hebel entgegensetzt.

Was hier von der Auswanderung im allgemeinen gesagt ist, gilt in gleicher
Weise von der Kinderauswanderung. Indes ist der Nachteil hier einigermaßen
gemildert. Es ist möglich, die rege Auswanderung der Erwachsenen zu ver¬
urteilen und doch für die jugendliche Auswanderung eine Lanze zu brechen.
Sicherlich würde ein großer Teil dieser Kinder in den heimatlichen Verhältnißen
niemals zu wünschenswerten Staatsbürgern heranwachsen. Da, wo Vererbung
und Einfluß des Milieus zum Verderben eines werdenden Menschen zusammen¬
wirken, sind keine guten Früchte zu erwarten. Ein paar Jahre Anstaltserziehung
haben sich in solchen Fällen, wo das Kind hernach in die alte, unheilvolle Um¬
gebung zurückkehrt, als völlig machtlos gegen deren Einfluß erwiesen. Nur die
radikale Loslösung aus solchen Verhältnissen durch Auswanderung vermag dem
späteren Verderben vorzubeugen. Denn im Kampfe gegen das Verhängnis der
Vererbung hat sich bisher Anpassung an gesunde Verhältnisse als die beste Waffe
erwiesen. Hier erfüllt die Auswanderung auch eine nationale Aufgabe: sie
ersetzt einen englischen "loater" durch einen tüchtigen Empirebürger.

Bei Waisen, verlassenen und allen Kindern, die in England als Anstalts¬
oder Kostkinder untergebracht würden, bietet die Auswanderung nach Kanada die
besten Garantien für das Heranwachsen brauchbarer Glieder der menschlichen
Gesellschaft. Denn sicherlich schafft kanadisches Farmleben tüchtigeres Rückgrat,
frischere Arbeitskraft als englische Anstaltsverwöhnung und englisches Kleinleute¬
dasein. Zudem bringt der Kampf ums Dasein drüben weniger Härten und
Bitternisse mit sich als in der Heimat. Auch dort will er gekämpft werden,
aber man steht darin mit der sicheren Zuversicht, daß Mut und Ausdauer zum
Erfolg führen, uicht mit der lähmenden Hoffnungslosigkeit, mit der in Europa


Die Bedeutung der englischen Aindcranswandcrung

der physisch Leistungsfähige, der geistig Normale, der moralisch Unverdorbene
ist heute für die Kolonien gut genug. Alle brüchigen, anrüchigen Existenzen
bleiben dem Lande erhalten, während ein Strom kräftiger, gut veranlagter
Menschen, Erwachsene und Kinder, alljährlich das Land dauernd verläßt. Eine
Rückkehr erfolgt in erster Linie nur seitens der Deportierten, durch die die Reihen
der „unsmplc>^nid!e8" in England wieder anschwellen. Eine langsame, stetige
Entwertung der einheimischen Bevölkerung muß die unvermeidliche Folge sein.
In Anbetracht dieser Verhältnisse ist für den Arbeitsmarkt in England die
alljährliche Einwanderung von Angehörigen niederstehender Völker des östlichen
Europas nicht unbedenklich. Auf einer Seite ein kosmopolitischer, vor allem
slavischer Strom geringwertiger Bevölkerung mit tiefstehenden Lebensniveau, der
sich in dem Lande breit macht, auf der anderen Seite ein starker Strom ein¬
heimischer Briten, der sich aus dem Lande gedrängt steht.

Offenbar ist im engeren nationalen Sinn eine starke Auswanderung heute
ein Übel, allerdings, wie Shaw sagt, ein notwendiges Übel, solange England
nicht nur an der großen Zahl seiner „unemplo^abies", sondern auch seiner
„unemplo^ca" krankt und unerwünschter Einwanderung nicht einen wirksamen
Hebel entgegensetzt.

Was hier von der Auswanderung im allgemeinen gesagt ist, gilt in gleicher
Weise von der Kinderauswanderung. Indes ist der Nachteil hier einigermaßen
gemildert. Es ist möglich, die rege Auswanderung der Erwachsenen zu ver¬
urteilen und doch für die jugendliche Auswanderung eine Lanze zu brechen.
Sicherlich würde ein großer Teil dieser Kinder in den heimatlichen Verhältnißen
niemals zu wünschenswerten Staatsbürgern heranwachsen. Da, wo Vererbung
und Einfluß des Milieus zum Verderben eines werdenden Menschen zusammen¬
wirken, sind keine guten Früchte zu erwarten. Ein paar Jahre Anstaltserziehung
haben sich in solchen Fällen, wo das Kind hernach in die alte, unheilvolle Um¬
gebung zurückkehrt, als völlig machtlos gegen deren Einfluß erwiesen. Nur die
radikale Loslösung aus solchen Verhältnissen durch Auswanderung vermag dem
späteren Verderben vorzubeugen. Denn im Kampfe gegen das Verhängnis der
Vererbung hat sich bisher Anpassung an gesunde Verhältnisse als die beste Waffe
erwiesen. Hier erfüllt die Auswanderung auch eine nationale Aufgabe: sie
ersetzt einen englischen „loater" durch einen tüchtigen Empirebürger.

Bei Waisen, verlassenen und allen Kindern, die in England als Anstalts¬
oder Kostkinder untergebracht würden, bietet die Auswanderung nach Kanada die
besten Garantien für das Heranwachsen brauchbarer Glieder der menschlichen
Gesellschaft. Denn sicherlich schafft kanadisches Farmleben tüchtigeres Rückgrat,
frischere Arbeitskraft als englische Anstaltsverwöhnung und englisches Kleinleute¬
dasein. Zudem bringt der Kampf ums Dasein drüben weniger Härten und
Bitternisse mit sich als in der Heimat. Auch dort will er gekämpft werden,
aber man steht darin mit der sicheren Zuversicht, daß Mut und Ausdauer zum
Erfolg führen, uicht mit der lähmenden Hoffnungslosigkeit, mit der in Europa


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/218>, abgerufen am 28.12.2024.