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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Freisinnige Aolonialpolitik unter Bismarck

gesunde wirtschaftliche Bewegungen und befürchtete vor allem die Verstaatlichung
der deutschen Reederei*). In kolonialpolitischer Beziehung war er oppositionell,
weil ihm immer noch die Samoavorlage im Kopfe spukte. Er sprach darum
immer wieder von "nebelhaften" Kolonialprojekten, wobei ihm die durch schwindel¬
hafte Anlage mißglückte Unternehmung des Marquis de Raus in Neu°Jrland vor¬
schwebte. Er verwarf auch die Postdampfervorlage in Bausch und Bogen, weil
er sie mit faulen Gründungen in Verbindung brachte, wodurch er beinahe die
geheime Errichtung des Hamburger Handels- und Plantagenunternehmens der
Südseeinseln aufgedeckt und vereitelt hätte. Auch hierin hatte er den Beifall
feines großen Parteifreundes Mommsen, der an seinem Grabe meinte**): aller¬
dings ist es ihm nicht gelungen, "dem gesunden (!) Menschenverstand gleichfalls
zu seinem Recht zu verhelfen"; vielmehr habe er, dem das Kredit und Debet
des kolonialen Gründertums (!) im Auslande klar geworden sei, vergeblich
gegen den "Mut der Unwissenheit und seine politische Ausnutzung" gestritten,
vergeblich auch den größten aller staatlichen Opportunisten rechtzeitig ge¬
warnt!

Betrachten wir diese Warnungen, die Bismarck von einem weltgeschicht¬
lichen Schritte abhalten sollten! Am 23. Juni 1884 richteten sie sich gegen
"Nasenstüber", die die Flaggenhissungen in den Kolonien dem Reiche bringen
würden: wenn nicht zu Bismarcks Zeiten, so doch später, sobald sein persönlicher
Einfluß drohende Gefahren nicht mehr beschwören könne und die realen Macht¬
mittel zu ihrer Verhinderung fehlen würden. Fürchtete doch Bamberger, Eng¬
land freue sich über Deutschlands Kolonialpläne, die es in Verwicklungen bringen
und leichter angreifbar machen würden. Bismarck aber hatte nicht den Mut
dieser Bankerotterklärung auf überseeische Unternehmungen, zudem besorgte er
bei Deutschlands Bündnisfähigkeit keine Gefahren für den Frieden***). Tatsächlich
ließ sich auch mit solcher Ängstlichkeit keine große Politik verfolgen. Mit Recht
betont Bismarcks kolonialpolitischer Paladin Heinrich von Kusserowf), "daß
wir in den Jahren 1384/85 überhaupt keine Kolonien erwerben konnten, ohne
hierbei auf den Einspruch oder einen durch die Nachbarschaft irgendeiner
Kolonie begründeten sogenannten geborenen oder geographischen Anspruch zu
stoßen". Wenn aber Bamberger den Kanzler warnen zu müssen glaubte, die
Ehre des Reiches nicht nach den Inspirationen eines jeden abenteuernden
Deutschen zu engagieren, so durfte Bismarck darin mit Recht eine Geringschätzung
seiner Urteilsfähigkeit und Sachkunde sehen, da es doch klar war, daß er sich
nicht "mit der ganzen Schwerfälligkeit der deutschen Nasse" für jeden her¬
gelaufenen Lump festgelegt haben konnte ff).







*) Reden X 1S3 ff.
a, a, O, 472.
Reden X 194 ff., 214,
1') Deutsche Koümicilzeitung 1899, Seite 404.
si) Reden X 210.
Freisinnige Aolonialpolitik unter Bismarck

gesunde wirtschaftliche Bewegungen und befürchtete vor allem die Verstaatlichung
der deutschen Reederei*). In kolonialpolitischer Beziehung war er oppositionell,
weil ihm immer noch die Samoavorlage im Kopfe spukte. Er sprach darum
immer wieder von „nebelhaften" Kolonialprojekten, wobei ihm die durch schwindel¬
hafte Anlage mißglückte Unternehmung des Marquis de Raus in Neu°Jrland vor¬
schwebte. Er verwarf auch die Postdampfervorlage in Bausch und Bogen, weil
er sie mit faulen Gründungen in Verbindung brachte, wodurch er beinahe die
geheime Errichtung des Hamburger Handels- und Plantagenunternehmens der
Südseeinseln aufgedeckt und vereitelt hätte. Auch hierin hatte er den Beifall
feines großen Parteifreundes Mommsen, der an seinem Grabe meinte**): aller¬
dings ist es ihm nicht gelungen, „dem gesunden (!) Menschenverstand gleichfalls
zu seinem Recht zu verhelfen"; vielmehr habe er, dem das Kredit und Debet
des kolonialen Gründertums (!) im Auslande klar geworden sei, vergeblich
gegen den „Mut der Unwissenheit und seine politische Ausnutzung" gestritten,
vergeblich auch den größten aller staatlichen Opportunisten rechtzeitig ge¬
warnt!

Betrachten wir diese Warnungen, die Bismarck von einem weltgeschicht¬
lichen Schritte abhalten sollten! Am 23. Juni 1884 richteten sie sich gegen
„Nasenstüber", die die Flaggenhissungen in den Kolonien dem Reiche bringen
würden: wenn nicht zu Bismarcks Zeiten, so doch später, sobald sein persönlicher
Einfluß drohende Gefahren nicht mehr beschwören könne und die realen Macht¬
mittel zu ihrer Verhinderung fehlen würden. Fürchtete doch Bamberger, Eng¬
land freue sich über Deutschlands Kolonialpläne, die es in Verwicklungen bringen
und leichter angreifbar machen würden. Bismarck aber hatte nicht den Mut
dieser Bankerotterklärung auf überseeische Unternehmungen, zudem besorgte er
bei Deutschlands Bündnisfähigkeit keine Gefahren für den Frieden***). Tatsächlich
ließ sich auch mit solcher Ängstlichkeit keine große Politik verfolgen. Mit Recht
betont Bismarcks kolonialpolitischer Paladin Heinrich von Kusserowf), „daß
wir in den Jahren 1384/85 überhaupt keine Kolonien erwerben konnten, ohne
hierbei auf den Einspruch oder einen durch die Nachbarschaft irgendeiner
Kolonie begründeten sogenannten geborenen oder geographischen Anspruch zu
stoßen". Wenn aber Bamberger den Kanzler warnen zu müssen glaubte, die
Ehre des Reiches nicht nach den Inspirationen eines jeden abenteuernden
Deutschen zu engagieren, so durfte Bismarck darin mit Recht eine Geringschätzung
seiner Urteilsfähigkeit und Sachkunde sehen, da es doch klar war, daß er sich
nicht „mit der ganzen Schwerfälligkeit der deutschen Nasse" für jeden her¬
gelaufenen Lump festgelegt haben konnte ff).







*) Reden X 1S3 ff.
a, a, O, 472.
Reden X 194 ff., 214,
1') Deutsche Koümicilzeitung 1899, Seite 404.
si) Reden X 210.
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[0208] Freisinnige Aolonialpolitik unter Bismarck gesunde wirtschaftliche Bewegungen und befürchtete vor allem die Verstaatlichung der deutschen Reederei*). In kolonialpolitischer Beziehung war er oppositionell, weil ihm immer noch die Samoavorlage im Kopfe spukte. Er sprach darum immer wieder von „nebelhaften" Kolonialprojekten, wobei ihm die durch schwindel¬ hafte Anlage mißglückte Unternehmung des Marquis de Raus in Neu°Jrland vor¬ schwebte. Er verwarf auch die Postdampfervorlage in Bausch und Bogen, weil er sie mit faulen Gründungen in Verbindung brachte, wodurch er beinahe die geheime Errichtung des Hamburger Handels- und Plantagenunternehmens der Südseeinseln aufgedeckt und vereitelt hätte. Auch hierin hatte er den Beifall feines großen Parteifreundes Mommsen, der an seinem Grabe meinte**): aller¬ dings ist es ihm nicht gelungen, „dem gesunden (!) Menschenverstand gleichfalls zu seinem Recht zu verhelfen"; vielmehr habe er, dem das Kredit und Debet des kolonialen Gründertums (!) im Auslande klar geworden sei, vergeblich gegen den „Mut der Unwissenheit und seine politische Ausnutzung" gestritten, vergeblich auch den größten aller staatlichen Opportunisten rechtzeitig ge¬ warnt! Betrachten wir diese Warnungen, die Bismarck von einem weltgeschicht¬ lichen Schritte abhalten sollten! Am 23. Juni 1884 richteten sie sich gegen „Nasenstüber", die die Flaggenhissungen in den Kolonien dem Reiche bringen würden: wenn nicht zu Bismarcks Zeiten, so doch später, sobald sein persönlicher Einfluß drohende Gefahren nicht mehr beschwören könne und die realen Macht¬ mittel zu ihrer Verhinderung fehlen würden. Fürchtete doch Bamberger, Eng¬ land freue sich über Deutschlands Kolonialpläne, die es in Verwicklungen bringen und leichter angreifbar machen würden. Bismarck aber hatte nicht den Mut dieser Bankerotterklärung auf überseeische Unternehmungen, zudem besorgte er bei Deutschlands Bündnisfähigkeit keine Gefahren für den Frieden***). Tatsächlich ließ sich auch mit solcher Ängstlichkeit keine große Politik verfolgen. Mit Recht betont Bismarcks kolonialpolitischer Paladin Heinrich von Kusserowf), „daß wir in den Jahren 1384/85 überhaupt keine Kolonien erwerben konnten, ohne hierbei auf den Einspruch oder einen durch die Nachbarschaft irgendeiner Kolonie begründeten sogenannten geborenen oder geographischen Anspruch zu stoßen". Wenn aber Bamberger den Kanzler warnen zu müssen glaubte, die Ehre des Reiches nicht nach den Inspirationen eines jeden abenteuernden Deutschen zu engagieren, so durfte Bismarck darin mit Recht eine Geringschätzung seiner Urteilsfähigkeit und Sachkunde sehen, da es doch klar war, daß er sich nicht „mit der ganzen Schwerfälligkeit der deutschen Nasse" für jeden her¬ gelaufenen Lump festgelegt haben konnte ff). *) Reden X 1S3 ff. a, a, O, 472. Reden X 194 ff., 214, 1') Deutsche Koümicilzeitung 1899, Seite 404. si) Reden X 210.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/208>, abgerufen am 28.12.2024.