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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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freisinnige Rolonialpolitik unter Bismarck

Auf Bismarck wirkte das, was Bambergers sezesstonistischer Gefinnungs-
urid Parteigenosse Theodor Mommsen*) an diesem "die in der Tiefe seiner
Leidenschaft begründete Klarheit und Folgerichtigkeit seines Denkens und Handelns,
seine dem Poltern und Schelten ebenso wie dem Schmollen und Grollen ab¬
sagende und dadurch so überlegene poIite8hö an coeur, die völlige Freiheit
von Bitterkeit und Eigensinn" genannt hat*"), wie ein rotes Tuch. Er sah in
seinem zersetzenden Widerspruch nur eine höhnende Persiflage seiner neuen Politik,
die dadurch dem Fluche der Lächerlichkeit verfalle, und bekämpfte eine Opposition,
die mit ihrem Pessimismus erkältend und diskreditierend wirkte einer Politik
gegenüber, die mit nationaler Begeisterung begonnen worden war***).

Den tieferen Grund der Bambergerschen Opposition, wie wir ihn oben an¬
gegeben haben, konnte er freilich nicht einsehen. Bamberger traute von seinem
Standpunkte aus dem Kanzler in den wirtschaftlichen Fragen der inneren Politik
überhaupt nicht. Er bekämpfte daher die Dampfervorlage, die er für undurch¬
sichtig und unbegründet hielt. Denn er erkannte nur die Bedeutung des deutschen
Verkehrs mit den Vereinigten Staaten an, die er als das naturgemäße Absatz¬
gebiet für überschüssige deutsche Bevölkerung ansah. Einer Monopolisierung der
Auswanderung, die er von der Kolonialpolitik erwartete, widerstrebte er eben¬
falls, ohne den Bismarckschen Äußerungen zu glauben, die dem von vornherein
widersprachen f). Zudem behauptete er. daß der deutsche Export auch mit
fremden Schiffahrtslinien gut gefahren sei und bestritt theoretisch überhaupt- die
Erfolge der Dampfersubventionen, wie er sie praktisch bei anderen Staaten
leugnete. Denn er sah von seinem doktrinären Standpunkt aus in jeder
Staatssubvention nur heillose Verschwendung und gewaltsames Eingreifen in






Dessen Kampf gegen Bismarcks neue nationale Wirtschaftspolitik oder wie er sich
ausdrückte "die Wirtschaftspolitik der neuen Propheten", die er in der berüchtigten Charlotten¬
burger Wahlversammlung vom 24. September 1881 "nicht blos eine Politik der gemeinsten
Interessen, sondern auch des Schwindels" nannte (was ihm das bekannte Satyrspiel vor
Gericht eintrug, vgl. Hartmann, Biogr. Jahrb. IX s1904j, 494 ff., auch Pöhlmann, aus
Altertum und Gegenwart II, München 1911, Seite 340); diesen Kampf hat setzt auch sein
Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, Eduard Meyer (Kleine Schriften, Halle 1910,
Seite 648 f.), unumwunden mit den Worten bedauert: "in ihm hat er gezeigt, daß auch der
größte Theoretiker versagen und in seiner Haltung unsicher werden kann, wenn es auf das
Praktische Handeln und den Willen zur Tat ankommt", eine Beobachtung, die E. Meyer zum
Unterschied von Tat- und Kulturgenies mehrfach fein formuliert hat, vgl. Gesch. d. Aldert. I
2. Aufl. (1907) 173 ff., dazu in seiner Schrift "Zur Theorie und Methodik der Geschichte"
(Halle 1902) und in dem Vortrag über "Humanistische und geschichtliche Bildung" (Berlin 1997),
wo er die Schwere eines mit Verantwortung gefaßten Willensentschlusses der "eminenten"
Persönlichkeit, den scheinbar kleinen Schritt vom Denken zum Handeln und somit die wahre
Größe einer historischen Tat ^ gerade für den Historiker, der das Werdende aus dem Ge¬
wordenen begreift, als schwer erreichbar hinstellt.
**) Mommsen, Reden und Aufsätze, 2. Auflage 1905. Seite 471.
Reden X 183. 278, XII 539, SSO. 683.
1') Vgl. meinen Aufsatz darüber in Heft 1 der Grenzboten von 1913.
13*
freisinnige Rolonialpolitik unter Bismarck

Auf Bismarck wirkte das, was Bambergers sezesstonistischer Gefinnungs-
urid Parteigenosse Theodor Mommsen*) an diesem „die in der Tiefe seiner
Leidenschaft begründete Klarheit und Folgerichtigkeit seines Denkens und Handelns,
seine dem Poltern und Schelten ebenso wie dem Schmollen und Grollen ab¬
sagende und dadurch so überlegene poIite8hö an coeur, die völlige Freiheit
von Bitterkeit und Eigensinn" genannt hat*"), wie ein rotes Tuch. Er sah in
seinem zersetzenden Widerspruch nur eine höhnende Persiflage seiner neuen Politik,
die dadurch dem Fluche der Lächerlichkeit verfalle, und bekämpfte eine Opposition,
die mit ihrem Pessimismus erkältend und diskreditierend wirkte einer Politik
gegenüber, die mit nationaler Begeisterung begonnen worden war***).

Den tieferen Grund der Bambergerschen Opposition, wie wir ihn oben an¬
gegeben haben, konnte er freilich nicht einsehen. Bamberger traute von seinem
Standpunkte aus dem Kanzler in den wirtschaftlichen Fragen der inneren Politik
überhaupt nicht. Er bekämpfte daher die Dampfervorlage, die er für undurch¬
sichtig und unbegründet hielt. Denn er erkannte nur die Bedeutung des deutschen
Verkehrs mit den Vereinigten Staaten an, die er als das naturgemäße Absatz¬
gebiet für überschüssige deutsche Bevölkerung ansah. Einer Monopolisierung der
Auswanderung, die er von der Kolonialpolitik erwartete, widerstrebte er eben¬
falls, ohne den Bismarckschen Äußerungen zu glauben, die dem von vornherein
widersprachen f). Zudem behauptete er. daß der deutsche Export auch mit
fremden Schiffahrtslinien gut gefahren sei und bestritt theoretisch überhaupt- die
Erfolge der Dampfersubventionen, wie er sie praktisch bei anderen Staaten
leugnete. Denn er sah von seinem doktrinären Standpunkt aus in jeder
Staatssubvention nur heillose Verschwendung und gewaltsames Eingreifen in






Dessen Kampf gegen Bismarcks neue nationale Wirtschaftspolitik oder wie er sich
ausdrückte „die Wirtschaftspolitik der neuen Propheten", die er in der berüchtigten Charlotten¬
burger Wahlversammlung vom 24. September 1881 „nicht blos eine Politik der gemeinsten
Interessen, sondern auch des Schwindels" nannte (was ihm das bekannte Satyrspiel vor
Gericht eintrug, vgl. Hartmann, Biogr. Jahrb. IX s1904j, 494 ff., auch Pöhlmann, aus
Altertum und Gegenwart II, München 1911, Seite 340); diesen Kampf hat setzt auch sein
Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, Eduard Meyer (Kleine Schriften, Halle 1910,
Seite 648 f.), unumwunden mit den Worten bedauert: „in ihm hat er gezeigt, daß auch der
größte Theoretiker versagen und in seiner Haltung unsicher werden kann, wenn es auf das
Praktische Handeln und den Willen zur Tat ankommt", eine Beobachtung, die E. Meyer zum
Unterschied von Tat- und Kulturgenies mehrfach fein formuliert hat, vgl. Gesch. d. Aldert. I
2. Aufl. (1907) 173 ff., dazu in seiner Schrift „Zur Theorie und Methodik der Geschichte"
(Halle 1902) und in dem Vortrag über „Humanistische und geschichtliche Bildung" (Berlin 1997),
wo er die Schwere eines mit Verantwortung gefaßten Willensentschlusses der „eminenten"
Persönlichkeit, den scheinbar kleinen Schritt vom Denken zum Handeln und somit die wahre
Größe einer historischen Tat ^ gerade für den Historiker, der das Werdende aus dem Ge¬
wordenen begreift, als schwer erreichbar hinstellt.
**) Mommsen, Reden und Aufsätze, 2. Auflage 1905. Seite 471.
Reden X 183. 278, XII 539, SSO. 683.
1') Vgl. meinen Aufsatz darüber in Heft 1 der Grenzboten von 1913.
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[0207] freisinnige Rolonialpolitik unter Bismarck Auf Bismarck wirkte das, was Bambergers sezesstonistischer Gefinnungs- urid Parteigenosse Theodor Mommsen*) an diesem „die in der Tiefe seiner Leidenschaft begründete Klarheit und Folgerichtigkeit seines Denkens und Handelns, seine dem Poltern und Schelten ebenso wie dem Schmollen und Grollen ab¬ sagende und dadurch so überlegene poIite8hö an coeur, die völlige Freiheit von Bitterkeit und Eigensinn" genannt hat*"), wie ein rotes Tuch. Er sah in seinem zersetzenden Widerspruch nur eine höhnende Persiflage seiner neuen Politik, die dadurch dem Fluche der Lächerlichkeit verfalle, und bekämpfte eine Opposition, die mit ihrem Pessimismus erkältend und diskreditierend wirkte einer Politik gegenüber, die mit nationaler Begeisterung begonnen worden war***). Den tieferen Grund der Bambergerschen Opposition, wie wir ihn oben an¬ gegeben haben, konnte er freilich nicht einsehen. Bamberger traute von seinem Standpunkte aus dem Kanzler in den wirtschaftlichen Fragen der inneren Politik überhaupt nicht. Er bekämpfte daher die Dampfervorlage, die er für undurch¬ sichtig und unbegründet hielt. Denn er erkannte nur die Bedeutung des deutschen Verkehrs mit den Vereinigten Staaten an, die er als das naturgemäße Absatz¬ gebiet für überschüssige deutsche Bevölkerung ansah. Einer Monopolisierung der Auswanderung, die er von der Kolonialpolitik erwartete, widerstrebte er eben¬ falls, ohne den Bismarckschen Äußerungen zu glauben, die dem von vornherein widersprachen f). Zudem behauptete er. daß der deutsche Export auch mit fremden Schiffahrtslinien gut gefahren sei und bestritt theoretisch überhaupt- die Erfolge der Dampfersubventionen, wie er sie praktisch bei anderen Staaten leugnete. Denn er sah von seinem doktrinären Standpunkt aus in jeder Staatssubvention nur heillose Verschwendung und gewaltsames Eingreifen in Dessen Kampf gegen Bismarcks neue nationale Wirtschaftspolitik oder wie er sich ausdrückte „die Wirtschaftspolitik der neuen Propheten", die er in der berüchtigten Charlotten¬ burger Wahlversammlung vom 24. September 1881 „nicht blos eine Politik der gemeinsten Interessen, sondern auch des Schwindels" nannte (was ihm das bekannte Satyrspiel vor Gericht eintrug, vgl. Hartmann, Biogr. Jahrb. IX s1904j, 494 ff., auch Pöhlmann, aus Altertum und Gegenwart II, München 1911, Seite 340); diesen Kampf hat setzt auch sein Nachfolger auf dem Berliner Lehrstuhl, Eduard Meyer (Kleine Schriften, Halle 1910, Seite 648 f.), unumwunden mit den Worten bedauert: „in ihm hat er gezeigt, daß auch der größte Theoretiker versagen und in seiner Haltung unsicher werden kann, wenn es auf das Praktische Handeln und den Willen zur Tat ankommt", eine Beobachtung, die E. Meyer zum Unterschied von Tat- und Kulturgenies mehrfach fein formuliert hat, vgl. Gesch. d. Aldert. I 2. Aufl. (1907) 173 ff., dazu in seiner Schrift „Zur Theorie und Methodik der Geschichte" (Halle 1902) und in dem Vortrag über „Humanistische und geschichtliche Bildung" (Berlin 1997), wo er die Schwere eines mit Verantwortung gefaßten Willensentschlusses der „eminenten" Persönlichkeit, den scheinbar kleinen Schritt vom Denken zum Handeln und somit die wahre Größe einer historischen Tat ^ gerade für den Historiker, der das Werdende aus dem Ge¬ wordenen begreift, als schwer erreichbar hinstellt. **) Mommsen, Reden und Aufsätze, 2. Auflage 1905. Seite 471. Reden X 183. 278, XII 539, SSO. 683. 1') Vgl. meinen Aufsatz darüber in Heft 1 der Grenzboten von 1913. 13*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/207>, abgerufen am 28.12.2024.