Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.?turn Alex von Rosen war von Dorpat herübergeeilt, eigentlich mehr, um etwas Der letzte seines Stammes, überließ er das väterliche Gut einem Onkel Auch jetzt sprach man von diesen Dingen. Alex von Rosen äußerte sich Hans von Burkhard stimmte nicht in das Lachen der anderen ein: "Die "Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen!" unterbrach Edles die etwas "Wir konnten sie nicht verhindern. Trotz unserer vielgerühmten europäischen ?turn Alex von Rosen war von Dorpat herübergeeilt, eigentlich mehr, um etwas Der letzte seines Stammes, überließ er das väterliche Gut einem Onkel Auch jetzt sprach man von diesen Dingen. Alex von Rosen äußerte sich Hans von Burkhard stimmte nicht in das Lachen der anderen ein: „Die „Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen!" unterbrach Edles die etwas „Wir konnten sie nicht verhindern. Trotz unserer vielgerühmten europäischen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0193" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326363"/> <fw type="header" place="top"> ?turn</fw><lb/> <p xml:id="ID_893"> Alex von Rosen war von Dorpat herübergeeilt, eigentlich mehr, um etwas<lb/> zu erleben, als weil er bedrohten Besitz zu schützen hätte. Der Zweig der<lb/> Familie, dem er angehörte, war längst städtisch geworden und besaß keine Güter<lb/> mehr. Kleiner als seine Standesgenossen und lebhafter als sie, wußte der junge<lb/> Schriftsteller viele kuriose Geschichten aus seiner Studentenzeit zu erzählen und<lb/> die Gesellschaft aufs spannendste zu unterhalten. Im krassen Gegensatz zu ihm<lb/> saß Hans von Burkhard schweigsam in seinem Stuhl. Er war Nationalökonom<lb/> und ging den Problemen, die die baltische Revolution heraufbeschworen hatte,<lb/> mit der Sonde der Wissenschaft zu Leibe.</p><lb/> <p xml:id="ID_894"> Der letzte seines Stammes, überließ er das väterliche Gut einem Onkel<lb/> zur Bewirtschaftung, in der stillen Absicht, nach dessen Tode auf seinem Besitz<lb/> die Umwandlungen vorzunehmen, von denen er die Lösung der sozialen Fragen<lb/> erhoffte.</p><lb/> <p xml:id="ID_895"> Auch jetzt sprach man von diesen Dingen. Alex von Rosen äußerte sich<lb/> mißtrauisch über die Weltverbesserer: „In Berlin verkehrte ich viel in einem<lb/> Kreis solcher Käuze. Es war so eine Art radikaler Vodenreformer, die jeden<lb/> Grundbesitz verstaatlicht wissen wollten. Sie spritzten Gift und Galle gegen die<lb/> Hausbesitzer — Hausagrarier nannten sie sie —. Na — drei davon haben<lb/> reich geheiratet. Und das erste, was sie taten, war, daß sie ihre Kapitalien in<lb/> Mietshäusern anlegten."</p><lb/> <p xml:id="ID_896"> Hans von Burkhard stimmte nicht in das Lachen der anderen ein: „Die<lb/> Leute haben wohl erkannt, daß der einzelne, meinetwegen auch ein Verein,<lb/> praktisch so gut wie nichts erreicht, wie notwendig und wünschenswert seine<lb/> Experimente auch sein mögen. Der Staat selber muß reformieren. Nur mit<lb/> der Allgemeinheit findet der einzelne das Glück, was er sucht. ..."</p><lb/> <p xml:id="ID_897"> „Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen!" unterbrach Edles die etwas<lb/> dozierenden Ausführungen des hageren Gelehrten. „Erklären Sie es uns an Hand<lb/> der baltischen Zustände. Hätten wir diese Revolution durch irgendeine Ma߬<lb/> nahme verhindern können?"</p><lb/> <p xml:id="ID_898" next="#ID_899"> „Wir konnten sie nicht verhindern. Trotz unserer vielgerühmten europäischen<lb/> Bildung, trotz der Fortschritte der Technik, trotz der fabelhaften Entwicklung<lb/> unseres Zeitungswesens, der Eisenbahn, des Telephons, leben die verschiedenen<lb/> Stände in festgeschlossener Isolierung. Keiner hat so viel Weisheit, sich von<lb/> den hundertfältiger Erfahrungen der Geschichte belehren zu lassen, drohende<lb/> Konflikte vorauszusehen, ihnen vorzubeugen, freiwillig auf einen Teil der ererbten<lb/> Rechte zu verzichten und dafür neue Werte einzutauschen. Es scheint das ein Rudi-<lb/> ment unserer biologischen Entwicklung zu sein: früher hat die Natur zur Ver¬<lb/> besserung der Arten den blutigen Kampf notwendig gehabt. Jeder Einbruch in<lb/> fremde Rechtssphären wurde von der Zeit des Höhlenmenschen bis zu uns<lb/> hinauf, die wir den russisch-japanischen Krieg erlebt haben, durch brachiale<lb/> Gewalt verhindert oder erzwungen. In einer fernen Zukunft sind es nur geistige<lb/> Werte und Waffen, durch die der Wettkampf der Rassen entschieden wird:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0193]
?turn
Alex von Rosen war von Dorpat herübergeeilt, eigentlich mehr, um etwas
zu erleben, als weil er bedrohten Besitz zu schützen hätte. Der Zweig der
Familie, dem er angehörte, war längst städtisch geworden und besaß keine Güter
mehr. Kleiner als seine Standesgenossen und lebhafter als sie, wußte der junge
Schriftsteller viele kuriose Geschichten aus seiner Studentenzeit zu erzählen und
die Gesellschaft aufs spannendste zu unterhalten. Im krassen Gegensatz zu ihm
saß Hans von Burkhard schweigsam in seinem Stuhl. Er war Nationalökonom
und ging den Problemen, die die baltische Revolution heraufbeschworen hatte,
mit der Sonde der Wissenschaft zu Leibe.
Der letzte seines Stammes, überließ er das väterliche Gut einem Onkel
zur Bewirtschaftung, in der stillen Absicht, nach dessen Tode auf seinem Besitz
die Umwandlungen vorzunehmen, von denen er die Lösung der sozialen Fragen
erhoffte.
Auch jetzt sprach man von diesen Dingen. Alex von Rosen äußerte sich
mißtrauisch über die Weltverbesserer: „In Berlin verkehrte ich viel in einem
Kreis solcher Käuze. Es war so eine Art radikaler Vodenreformer, die jeden
Grundbesitz verstaatlicht wissen wollten. Sie spritzten Gift und Galle gegen die
Hausbesitzer — Hausagrarier nannten sie sie —. Na — drei davon haben
reich geheiratet. Und das erste, was sie taten, war, daß sie ihre Kapitalien in
Mietshäusern anlegten."
Hans von Burkhard stimmte nicht in das Lachen der anderen ein: „Die
Leute haben wohl erkannt, daß der einzelne, meinetwegen auch ein Verein,
praktisch so gut wie nichts erreicht, wie notwendig und wünschenswert seine
Experimente auch sein mögen. Der Staat selber muß reformieren. Nur mit
der Allgemeinheit findet der einzelne das Glück, was er sucht. ..."
„Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen!" unterbrach Edles die etwas
dozierenden Ausführungen des hageren Gelehrten. „Erklären Sie es uns an Hand
der baltischen Zustände. Hätten wir diese Revolution durch irgendeine Ma߬
nahme verhindern können?"
„Wir konnten sie nicht verhindern. Trotz unserer vielgerühmten europäischen
Bildung, trotz der Fortschritte der Technik, trotz der fabelhaften Entwicklung
unseres Zeitungswesens, der Eisenbahn, des Telephons, leben die verschiedenen
Stände in festgeschlossener Isolierung. Keiner hat so viel Weisheit, sich von
den hundertfältiger Erfahrungen der Geschichte belehren zu lassen, drohende
Konflikte vorauszusehen, ihnen vorzubeugen, freiwillig auf einen Teil der ererbten
Rechte zu verzichten und dafür neue Werte einzutauschen. Es scheint das ein Rudi-
ment unserer biologischen Entwicklung zu sein: früher hat die Natur zur Ver¬
besserung der Arten den blutigen Kampf notwendig gehabt. Jeder Einbruch in
fremde Rechtssphären wurde von der Zeit des Höhlenmenschen bis zu uns
hinauf, die wir den russisch-japanischen Krieg erlebt haben, durch brachiale
Gewalt verhindert oder erzwungen. In einer fernen Zukunft sind es nur geistige
Werte und Waffen, durch die der Wettkampf der Rassen entschieden wird:
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