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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Sturm

Symptome davon sehen wir schon in Australien, wo das vorbeugende Verfahren
in der Staats- und Wirtschaftspolitik einen bisher nirgends gekannten Zustand
sozialer Zufriedenheit geschaffen hat. Soweit sind wir noch lange nicht. Wir
brauchen, scheint es, noch den Kampf der Arme. Unser Land ist auf der Stufen¬
leiter der Läuterung noch nicht im Reiche des Geistes angelangt. Noch immer
steckt uns das Rittertum in den Gliedern. Wie weit der Verstand auch mit
seinen Forderungen vorauseilt -- ich gebe zu, die Gegenwart hat ihre Schön?
heit. Schön ist der Gedanke, das Schwert für unser Erbe zu ziehen, schön war
der Anblick dieser zwanzig Reiter, die vorhin vom Hofe sprengten, schön auch
Fräulein Evis junge Begeisterung. -- -- --"

Die Tür ging auf, und -- ein neuer Beleg für die Worte des Redners
-- Wolff Joachims kühne Gestalt erschien auf der Schwelle.

"Das ganze Haus ist wie ausgestorben!" rief er lachend. "Onkel Wenken-
dorff sitzt unten im Lehnstuhl und macht einen Nicker, die Mägde haben keine
Ahnung, wo ihr steckt. Jetzt hättet ihr leicht ausgeraubt werden können trotz
eures ganzen Selbstschutzes."

Er ging händeschüttelnd von einem zum anderen und sprengte das enge
Zimmer fast mit der stürmischen Frische seines Temperaments.

Edda war aufgestanden und ans Fenster getreten: "Er hat mich begrüßt
wie die anderen auch!" dachte sie schmerzerfüllt.

So stand sie noch, als es schon längst im Zimmer leer geworden war.
Im Korridor verhallte das Stimmengewirr, aber der sonore Kommandoton des
einen klang durch den Fußboden hinauf zu der Einsamen und brachte ihr zu
zum Bewußtsein, wie anders alles gekommen war. als sie es sich gedacht hatte.
Es schien ihr jetzt, als sei sie dem Geliebten am Morgen vor dem Telephon¬
gespräch näher gewesen als eben, da seine Hand sich freundlich zwar, aber ach
fo flüchtig um die ihre geschlossen hatte.

(Fortsetzung folgt)




Sturm

Symptome davon sehen wir schon in Australien, wo das vorbeugende Verfahren
in der Staats- und Wirtschaftspolitik einen bisher nirgends gekannten Zustand
sozialer Zufriedenheit geschaffen hat. Soweit sind wir noch lange nicht. Wir
brauchen, scheint es, noch den Kampf der Arme. Unser Land ist auf der Stufen¬
leiter der Läuterung noch nicht im Reiche des Geistes angelangt. Noch immer
steckt uns das Rittertum in den Gliedern. Wie weit der Verstand auch mit
seinen Forderungen vorauseilt — ich gebe zu, die Gegenwart hat ihre Schön?
heit. Schön ist der Gedanke, das Schwert für unser Erbe zu ziehen, schön war
der Anblick dieser zwanzig Reiter, die vorhin vom Hofe sprengten, schön auch
Fräulein Evis junge Begeisterung. — — —"

Die Tür ging auf, und — ein neuer Beleg für die Worte des Redners
— Wolff Joachims kühne Gestalt erschien auf der Schwelle.

„Das ganze Haus ist wie ausgestorben!" rief er lachend. „Onkel Wenken-
dorff sitzt unten im Lehnstuhl und macht einen Nicker, die Mägde haben keine
Ahnung, wo ihr steckt. Jetzt hättet ihr leicht ausgeraubt werden können trotz
eures ganzen Selbstschutzes."

Er ging händeschüttelnd von einem zum anderen und sprengte das enge
Zimmer fast mit der stürmischen Frische seines Temperaments.

Edda war aufgestanden und ans Fenster getreten: „Er hat mich begrüßt
wie die anderen auch!" dachte sie schmerzerfüllt.

So stand sie noch, als es schon längst im Zimmer leer geworden war.
Im Korridor verhallte das Stimmengewirr, aber der sonore Kommandoton des
einen klang durch den Fußboden hinauf zu der Einsamen und brachte ihr zu
zum Bewußtsein, wie anders alles gekommen war. als sie es sich gedacht hatte.
Es schien ihr jetzt, als sei sie dem Geliebten am Morgen vor dem Telephon¬
gespräch näher gewesen als eben, da seine Hand sich freundlich zwar, aber ach
fo flüchtig um die ihre geschlossen hatte.

(Fortsetzung folgt)




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[0194] Sturm Symptome davon sehen wir schon in Australien, wo das vorbeugende Verfahren in der Staats- und Wirtschaftspolitik einen bisher nirgends gekannten Zustand sozialer Zufriedenheit geschaffen hat. Soweit sind wir noch lange nicht. Wir brauchen, scheint es, noch den Kampf der Arme. Unser Land ist auf der Stufen¬ leiter der Läuterung noch nicht im Reiche des Geistes angelangt. Noch immer steckt uns das Rittertum in den Gliedern. Wie weit der Verstand auch mit seinen Forderungen vorauseilt — ich gebe zu, die Gegenwart hat ihre Schön? heit. Schön ist der Gedanke, das Schwert für unser Erbe zu ziehen, schön war der Anblick dieser zwanzig Reiter, die vorhin vom Hofe sprengten, schön auch Fräulein Evis junge Begeisterung. — — —" Die Tür ging auf, und — ein neuer Beleg für die Worte des Redners — Wolff Joachims kühne Gestalt erschien auf der Schwelle. „Das ganze Haus ist wie ausgestorben!" rief er lachend. „Onkel Wenken- dorff sitzt unten im Lehnstuhl und macht einen Nicker, die Mägde haben keine Ahnung, wo ihr steckt. Jetzt hättet ihr leicht ausgeraubt werden können trotz eures ganzen Selbstschutzes." Er ging händeschüttelnd von einem zum anderen und sprengte das enge Zimmer fast mit der stürmischen Frische seines Temperaments. Edda war aufgestanden und ans Fenster getreten: „Er hat mich begrüßt wie die anderen auch!" dachte sie schmerzerfüllt. So stand sie noch, als es schon längst im Zimmer leer geworden war. Im Korridor verhallte das Stimmengewirr, aber der sonore Kommandoton des einen klang durch den Fußboden hinauf zu der Einsamen und brachte ihr zu zum Bewußtsein, wie anders alles gekommen war. als sie es sich gedacht hatte. Es schien ihr jetzt, als sei sie dem Geliebten am Morgen vor dem Telephon¬ gespräch näher gewesen als eben, da seine Hand sich freundlich zwar, aber ach fo flüchtig um die ihre geschlossen hatte. (Fortsetzung folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/194>, abgerufen am 19.10.2024.