Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sturm

Schultern, "das ist Sternburgs Waffenmeister. Gebe Gott, daß seine Helle¬
barden niemals im Ernst gebraucht werden!"

Im letzten Satz zitterte doch ein kleiner Unterton der Sorge. Er allein
erinnerte bei diesem ersten Willkomm an die Aufgabe, die der Gäste
harrte ...

Es war nach dem Mittagessen, als Herr von Wenkendorff die Junker in
seinem Arbeitszimmer um sich versammelte.

Auf dem großen runden Tisch war eine Karte ausgebreitet, die in einem
groben, aber außerordentlich klaren Riß die Lage Sternburgs und seiner weiteren
Nachbarschaft darlegte.

"Meine Herren!" begann der Hausherr. "Zunächst stelle ich Ihnen meinen
lieben Sandberg vor."

Er legte seine Hand herzlich um die Schulter des jungen Försters, der rot
vor Verlegenheit und mit gesenktem Auge neben ihm stand.

"Ich wollte es bei Tisch schon tun. Aber Sandberg hatte sich wieder mal
gedrückt. Dabei hat er gar keine Ursache zu solcher Schüchternheit. Betrachten
Sie die Karte, Baron Wolff. Sie sind Generalstäbler! Ist sie nicht famos?
Das hat der Mensch alles aus sich selbst. Er ist jetzt meine rechte Hand, ein
treuer Knappe und Vasall; lebten wir noch zu des alten Plettenbergs Zeiten,
er hätte längst den Ritterschlag bekommen."

"Es hat also seine Richtigkeit!" dachte Reus von Manteuffel. Ihm kam
in den Sinn, was einst die alte Tio angedeutet hatte, damals, als er sich mit
dem Borküller Vetter auf der Jagd in ihre Hütte verirrte. Jetzt fiel ihm die
Ähnlichkeit zwischen dem Freiherrn und seinem Förster auf: dieselbe breite Stirn,
das gleiche tiefliegende blaue Auge, derselbe gutmütige Zug um den Mund.
Nur blonder war der Förster, und die starken Backenknochen verrieten die chemische
Mutter. Deshalb auch die Rührung des Alten, und dieses Bekenntnis einer
Zuneigung, die beinahe übertrieben erscheinen mußte, hätte es sich wirklich nur
um einen beliebigen Beamten rein chemischer Abkunft gehandelt.

Die Karte gab ein anschauliches Bild von dem Weg, den der Brand der
Revolution genommen hatte. Er war bis auf diesen Tag gekennzeichnet. Als
neuestes Datum hatte Sandberg den Überfall auf das Gut Tariomaa ein-
. getragen. Baron Schledehausens fürstliches Besitztum war nach Mitteilungen
vorüberfahrender Bauern in der Nacht vorher heimgesucht und ausgeraubt
worden, doch ohne daß dem Besitzer und seinen Angehörigen etwas geschehen
war. Da die Banden die telephonische Verbindung zerstört hatten, waren
Einzelheiten noch nicht zu erfahren gewesen. Jedenfalls hatte Sandberg am
frühen Morgen an den Spuren feststellen können, daß sie vom Borküller Pfarr¬
haus geraden Wegs quer durch den meilenweiten Wald gezogen sein mußten.
Die Banden hatten sich also wider Erwarten entfernt und lauerten irgendwo
versteckt auf die Gelegenheit zu einem neuen Vorstoß. Ihren Kundschaftern war
natürlich längst bekannt, daß Dragoner die Gegend durchstreiften. Sie warteten


Sturm

Schultern, „das ist Sternburgs Waffenmeister. Gebe Gott, daß seine Helle¬
barden niemals im Ernst gebraucht werden!"

Im letzten Satz zitterte doch ein kleiner Unterton der Sorge. Er allein
erinnerte bei diesem ersten Willkomm an die Aufgabe, die der Gäste
harrte ...

Es war nach dem Mittagessen, als Herr von Wenkendorff die Junker in
seinem Arbeitszimmer um sich versammelte.

Auf dem großen runden Tisch war eine Karte ausgebreitet, die in einem
groben, aber außerordentlich klaren Riß die Lage Sternburgs und seiner weiteren
Nachbarschaft darlegte.

„Meine Herren!" begann der Hausherr. „Zunächst stelle ich Ihnen meinen
lieben Sandberg vor."

Er legte seine Hand herzlich um die Schulter des jungen Försters, der rot
vor Verlegenheit und mit gesenktem Auge neben ihm stand.

„Ich wollte es bei Tisch schon tun. Aber Sandberg hatte sich wieder mal
gedrückt. Dabei hat er gar keine Ursache zu solcher Schüchternheit. Betrachten
Sie die Karte, Baron Wolff. Sie sind Generalstäbler! Ist sie nicht famos?
Das hat der Mensch alles aus sich selbst. Er ist jetzt meine rechte Hand, ein
treuer Knappe und Vasall; lebten wir noch zu des alten Plettenbergs Zeiten,
er hätte längst den Ritterschlag bekommen."

„Es hat also seine Richtigkeit!" dachte Reus von Manteuffel. Ihm kam
in den Sinn, was einst die alte Tio angedeutet hatte, damals, als er sich mit
dem Borküller Vetter auf der Jagd in ihre Hütte verirrte. Jetzt fiel ihm die
Ähnlichkeit zwischen dem Freiherrn und seinem Förster auf: dieselbe breite Stirn,
das gleiche tiefliegende blaue Auge, derselbe gutmütige Zug um den Mund.
Nur blonder war der Förster, und die starken Backenknochen verrieten die chemische
Mutter. Deshalb auch die Rührung des Alten, und dieses Bekenntnis einer
Zuneigung, die beinahe übertrieben erscheinen mußte, hätte es sich wirklich nur
um einen beliebigen Beamten rein chemischer Abkunft gehandelt.

Die Karte gab ein anschauliches Bild von dem Weg, den der Brand der
Revolution genommen hatte. Er war bis auf diesen Tag gekennzeichnet. Als
neuestes Datum hatte Sandberg den Überfall auf das Gut Tariomaa ein-
. getragen. Baron Schledehausens fürstliches Besitztum war nach Mitteilungen
vorüberfahrender Bauern in der Nacht vorher heimgesucht und ausgeraubt
worden, doch ohne daß dem Besitzer und seinen Angehörigen etwas geschehen
war. Da die Banden die telephonische Verbindung zerstört hatten, waren
Einzelheiten noch nicht zu erfahren gewesen. Jedenfalls hatte Sandberg am
frühen Morgen an den Spuren feststellen können, daß sie vom Borküller Pfarr¬
haus geraden Wegs quer durch den meilenweiten Wald gezogen sein mußten.
Die Banden hatten sich also wider Erwarten entfernt und lauerten irgendwo
versteckt auf die Gelegenheit zu einem neuen Vorstoß. Ihren Kundschaftern war
natürlich längst bekannt, daß Dragoner die Gegend durchstreiften. Sie warteten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0191" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326361"/>
          <fw type="header" place="top"> Sturm</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_873" prev="#ID_872"> Schultern, &#x201E;das ist Sternburgs Waffenmeister. Gebe Gott, daß seine Helle¬<lb/>
barden niemals im Ernst gebraucht werden!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_874"> Im letzten Satz zitterte doch ein kleiner Unterton der Sorge. Er allein<lb/>
erinnerte bei diesem ersten Willkomm an die Aufgabe, die der Gäste<lb/>
harrte ...</p><lb/>
          <p xml:id="ID_875"> Es war nach dem Mittagessen, als Herr von Wenkendorff die Junker in<lb/>
seinem Arbeitszimmer um sich versammelte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_876"> Auf dem großen runden Tisch war eine Karte ausgebreitet, die in einem<lb/>
groben, aber außerordentlich klaren Riß die Lage Sternburgs und seiner weiteren<lb/>
Nachbarschaft darlegte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_877"> &#x201E;Meine Herren!" begann der Hausherr. &#x201E;Zunächst stelle ich Ihnen meinen<lb/>
lieben Sandberg vor."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_878"> Er legte seine Hand herzlich um die Schulter des jungen Försters, der rot<lb/>
vor Verlegenheit und mit gesenktem Auge neben ihm stand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_879"> &#x201E;Ich wollte es bei Tisch schon tun. Aber Sandberg hatte sich wieder mal<lb/>
gedrückt. Dabei hat er gar keine Ursache zu solcher Schüchternheit. Betrachten<lb/>
Sie die Karte, Baron Wolff. Sie sind Generalstäbler! Ist sie nicht famos?<lb/>
Das hat der Mensch alles aus sich selbst. Er ist jetzt meine rechte Hand, ein<lb/>
treuer Knappe und Vasall; lebten wir noch zu des alten Plettenbergs Zeiten,<lb/>
er hätte längst den Ritterschlag bekommen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_880"> &#x201E;Es hat also seine Richtigkeit!" dachte Reus von Manteuffel. Ihm kam<lb/>
in den Sinn, was einst die alte Tio angedeutet hatte, damals, als er sich mit<lb/>
dem Borküller Vetter auf der Jagd in ihre Hütte verirrte. Jetzt fiel ihm die<lb/>
Ähnlichkeit zwischen dem Freiherrn und seinem Förster auf: dieselbe breite Stirn,<lb/>
das gleiche tiefliegende blaue Auge, derselbe gutmütige Zug um den Mund.<lb/>
Nur blonder war der Förster, und die starken Backenknochen verrieten die chemische<lb/>
Mutter. Deshalb auch die Rührung des Alten, und dieses Bekenntnis einer<lb/>
Zuneigung, die beinahe übertrieben erscheinen mußte, hätte es sich wirklich nur<lb/>
um einen beliebigen Beamten rein chemischer Abkunft gehandelt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_881" next="#ID_882"> Die Karte gab ein anschauliches Bild von dem Weg, den der Brand der<lb/>
Revolution genommen hatte. Er war bis auf diesen Tag gekennzeichnet. Als<lb/>
neuestes Datum hatte Sandberg den Überfall auf das Gut Tariomaa ein-<lb/>
. getragen. Baron Schledehausens fürstliches Besitztum war nach Mitteilungen<lb/>
vorüberfahrender Bauern in der Nacht vorher heimgesucht und ausgeraubt<lb/>
worden, doch ohne daß dem Besitzer und seinen Angehörigen etwas geschehen<lb/>
war. Da die Banden die telephonische Verbindung zerstört hatten, waren<lb/>
Einzelheiten noch nicht zu erfahren gewesen. Jedenfalls hatte Sandberg am<lb/>
frühen Morgen an den Spuren feststellen können, daß sie vom Borküller Pfarr¬<lb/>
haus geraden Wegs quer durch den meilenweiten Wald gezogen sein mußten.<lb/>
Die Banden hatten sich also wider Erwarten entfernt und lauerten irgendwo<lb/>
versteckt auf die Gelegenheit zu einem neuen Vorstoß. Ihren Kundschaftern war<lb/>
natürlich längst bekannt, daß Dragoner die Gegend durchstreiften. Sie warteten</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0191] Sturm Schultern, „das ist Sternburgs Waffenmeister. Gebe Gott, daß seine Helle¬ barden niemals im Ernst gebraucht werden!" Im letzten Satz zitterte doch ein kleiner Unterton der Sorge. Er allein erinnerte bei diesem ersten Willkomm an die Aufgabe, die der Gäste harrte ... Es war nach dem Mittagessen, als Herr von Wenkendorff die Junker in seinem Arbeitszimmer um sich versammelte. Auf dem großen runden Tisch war eine Karte ausgebreitet, die in einem groben, aber außerordentlich klaren Riß die Lage Sternburgs und seiner weiteren Nachbarschaft darlegte. „Meine Herren!" begann der Hausherr. „Zunächst stelle ich Ihnen meinen lieben Sandberg vor." Er legte seine Hand herzlich um die Schulter des jungen Försters, der rot vor Verlegenheit und mit gesenktem Auge neben ihm stand. „Ich wollte es bei Tisch schon tun. Aber Sandberg hatte sich wieder mal gedrückt. Dabei hat er gar keine Ursache zu solcher Schüchternheit. Betrachten Sie die Karte, Baron Wolff. Sie sind Generalstäbler! Ist sie nicht famos? Das hat der Mensch alles aus sich selbst. Er ist jetzt meine rechte Hand, ein treuer Knappe und Vasall; lebten wir noch zu des alten Plettenbergs Zeiten, er hätte längst den Ritterschlag bekommen." „Es hat also seine Richtigkeit!" dachte Reus von Manteuffel. Ihm kam in den Sinn, was einst die alte Tio angedeutet hatte, damals, als er sich mit dem Borküller Vetter auf der Jagd in ihre Hütte verirrte. Jetzt fiel ihm die Ähnlichkeit zwischen dem Freiherrn und seinem Förster auf: dieselbe breite Stirn, das gleiche tiefliegende blaue Auge, derselbe gutmütige Zug um den Mund. Nur blonder war der Förster, und die starken Backenknochen verrieten die chemische Mutter. Deshalb auch die Rührung des Alten, und dieses Bekenntnis einer Zuneigung, die beinahe übertrieben erscheinen mußte, hätte es sich wirklich nur um einen beliebigen Beamten rein chemischer Abkunft gehandelt. Die Karte gab ein anschauliches Bild von dem Weg, den der Brand der Revolution genommen hatte. Er war bis auf diesen Tag gekennzeichnet. Als neuestes Datum hatte Sandberg den Überfall auf das Gut Tariomaa ein- . getragen. Baron Schledehausens fürstliches Besitztum war nach Mitteilungen vorüberfahrender Bauern in der Nacht vorher heimgesucht und ausgeraubt worden, doch ohne daß dem Besitzer und seinen Angehörigen etwas geschehen war. Da die Banden die telephonische Verbindung zerstört hatten, waren Einzelheiten noch nicht zu erfahren gewesen. Jedenfalls hatte Sandberg am frühen Morgen an den Spuren feststellen können, daß sie vom Borküller Pfarr¬ haus geraden Wegs quer durch den meilenweiten Wald gezogen sein mußten. Die Banden hatten sich also wider Erwarten entfernt und lauerten irgendwo versteckt auf die Gelegenheit zu einem neuen Vorstoß. Ihren Kundschaftern war natürlich längst bekannt, daß Dragoner die Gegend durchstreiften. Sie warteten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/191
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/191>, abgerufen am 28.12.2024.