Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
"I^'Komms msckine" im zwanzigsten Jahrhundert

erhalten*). Nach seinen Mitteilungen wurde zum Beispiel auf Anregung der ameri¬
kanischen Gesellschaft für Arbeitergesetzgebung probiert, mit Hilfe von psychologischen
Versuchen an Wagenführern der elektrischen Straßenbahn dem Problem einer
Vorbeugung von Straßenbahnunfällen näherzutreten. Es steht ja wohl außer
Frage, daß die gesamte geistige Beschaffenheit der Wagenführer für den glatten
Ablauf des Straßenverkehrs von hoher Bedeutung ist und daß infolgedessen
das Ergreifen des Wagenführerberufs durch verschiedenartige Individuen sür die
Allgemeinheit von Interesse ist. Münsterberg ging bei seinen Versuchen von
der Voraussetzung aus, daß das entscheidende Moment für die Zuverlässigkeit
eines Wagenführers in einer komplizierten Aufmerksamkeits- und Phantasieleistung
gegeben sei, mit deren Hilfe die Einzelobjekte des Straßenbildes, die Fußgänger,
Automobile und Wagen hinsichtlich der Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung
beurteilt werden müssen. Mittels einer Versuchsanordnung, die bei den zu
untersuchenden Wagenführern laut ihrer eigenen Aussage genau denselben
Bewußtseinszustand erzeugte, wie sie ihn bei der Wagenführung in verkehrs¬
reichen Straßen erlebten, wurden' alle Eigentümlichkeiten und Schwächen der
Wagenführer fo deutlich ans Licht gebracht, daß die Beteiligten felbst oft über¬
rascht waren: da gab es Überlangsame und Überschnelle, solche, die anfangs
Vortreffliches leisten aber bald nachlassen, leicht Ablenkbare usw. Da zwischen
Münsterbergs Versuchsergebnissen und den tatsächlichen Leistungen der Wagen¬
führer im Betrieb eine weitgehende Parallelität bestand, glaubt Münsterberg,
obgleich die Exaktheit der Methode noch viel zu wünschen übrig ließ, daß schon
heute die von ihm vorgeschlagene Form einer experimentellen Prüfung genügen
würde, etwa ein Viertel der gegenwärtig angestellten Wagenführer wegen der
Beschaffenheit ihrer psychischen Konstitution als für diesen Beruf nicht geeignet
vom Amte auszuschließen. Der wirtschaftliche Nutzen wäre mit dem Berufs¬
wechsel dieser Leute nicht zu teuer erkauft, insbesondere wenn die Prüfung vor
dem Eintritt in die Berufstätigkeit stattfände.

Ähnliche Versuche wie mit den Wagenführern unternahm Münsterberg mit
Schiffspersonal, um dessen Entschlußfähigkeit zu prüfen; auch hier ergab sich eine
weitgehende Übereinstimmung zwischen den Versuchsergebnissen und den Aus¬
sagen der Prüflinge selbst oder solchen Personen, die zu ihrer Beurteilung
geeignet schienen -- ein Beweis, daß die Methode in ihren Grundzügen
brauchbar war.

Einer eingehenderen Analyse unterwarf Münsterberg die psychischen Leistungen
von berufsmäßigen Telephonistinnen. Auch in diesem Falle wurde Münsterberg
die Anregung aus der Praxis gegeben: eine großstädtische Telephongesellschaft
richtete an Münsterberg die Frage, ob eine experimentelle Prüfung der sich für
den Telephondienst meldenden Damen behufs ihrer Verwendbarkeit möglich sei.



*) Hugo Münsterberg, "Psychologie und Wirtschaftsleben." Ein Beitrag zur an¬
gewandten Experimental - Psychologie. Verlag von Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1912.
Pr. geh. 2,80 M., geb. 3,50 M.
„I^'Komms msckine" im zwanzigsten Jahrhundert

erhalten*). Nach seinen Mitteilungen wurde zum Beispiel auf Anregung der ameri¬
kanischen Gesellschaft für Arbeitergesetzgebung probiert, mit Hilfe von psychologischen
Versuchen an Wagenführern der elektrischen Straßenbahn dem Problem einer
Vorbeugung von Straßenbahnunfällen näherzutreten. Es steht ja wohl außer
Frage, daß die gesamte geistige Beschaffenheit der Wagenführer für den glatten
Ablauf des Straßenverkehrs von hoher Bedeutung ist und daß infolgedessen
das Ergreifen des Wagenführerberufs durch verschiedenartige Individuen sür die
Allgemeinheit von Interesse ist. Münsterberg ging bei seinen Versuchen von
der Voraussetzung aus, daß das entscheidende Moment für die Zuverlässigkeit
eines Wagenführers in einer komplizierten Aufmerksamkeits- und Phantasieleistung
gegeben sei, mit deren Hilfe die Einzelobjekte des Straßenbildes, die Fußgänger,
Automobile und Wagen hinsichtlich der Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung
beurteilt werden müssen. Mittels einer Versuchsanordnung, die bei den zu
untersuchenden Wagenführern laut ihrer eigenen Aussage genau denselben
Bewußtseinszustand erzeugte, wie sie ihn bei der Wagenführung in verkehrs¬
reichen Straßen erlebten, wurden' alle Eigentümlichkeiten und Schwächen der
Wagenführer fo deutlich ans Licht gebracht, daß die Beteiligten felbst oft über¬
rascht waren: da gab es Überlangsame und Überschnelle, solche, die anfangs
Vortreffliches leisten aber bald nachlassen, leicht Ablenkbare usw. Da zwischen
Münsterbergs Versuchsergebnissen und den tatsächlichen Leistungen der Wagen¬
führer im Betrieb eine weitgehende Parallelität bestand, glaubt Münsterberg,
obgleich die Exaktheit der Methode noch viel zu wünschen übrig ließ, daß schon
heute die von ihm vorgeschlagene Form einer experimentellen Prüfung genügen
würde, etwa ein Viertel der gegenwärtig angestellten Wagenführer wegen der
Beschaffenheit ihrer psychischen Konstitution als für diesen Beruf nicht geeignet
vom Amte auszuschließen. Der wirtschaftliche Nutzen wäre mit dem Berufs¬
wechsel dieser Leute nicht zu teuer erkauft, insbesondere wenn die Prüfung vor
dem Eintritt in die Berufstätigkeit stattfände.

Ähnliche Versuche wie mit den Wagenführern unternahm Münsterberg mit
Schiffspersonal, um dessen Entschlußfähigkeit zu prüfen; auch hier ergab sich eine
weitgehende Übereinstimmung zwischen den Versuchsergebnissen und den Aus¬
sagen der Prüflinge selbst oder solchen Personen, die zu ihrer Beurteilung
geeignet schienen — ein Beweis, daß die Methode in ihren Grundzügen
brauchbar war.

Einer eingehenderen Analyse unterwarf Münsterberg die psychischen Leistungen
von berufsmäßigen Telephonistinnen. Auch in diesem Falle wurde Münsterberg
die Anregung aus der Praxis gegeben: eine großstädtische Telephongesellschaft
richtete an Münsterberg die Frage, ob eine experimentelle Prüfung der sich für
den Telephondienst meldenden Damen behufs ihrer Verwendbarkeit möglich sei.



*) Hugo Münsterberg, „Psychologie und Wirtschaftsleben." Ein Beitrag zur an¬
gewandten Experimental - Psychologie. Verlag von Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1912.
Pr. geh. 2,80 M., geb. 3,50 M.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0184" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326354"/>
          <fw type="header" place="top"> &#x201E;I^'Komms msckine" im zwanzigsten Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_825" prev="#ID_824"> erhalten*). Nach seinen Mitteilungen wurde zum Beispiel auf Anregung der ameri¬<lb/>
kanischen Gesellschaft für Arbeitergesetzgebung probiert, mit Hilfe von psychologischen<lb/>
Versuchen an Wagenführern der elektrischen Straßenbahn dem Problem einer<lb/>
Vorbeugung von Straßenbahnunfällen näherzutreten. Es steht ja wohl außer<lb/>
Frage, daß die gesamte geistige Beschaffenheit der Wagenführer für den glatten<lb/>
Ablauf des Straßenverkehrs von hoher Bedeutung ist und daß infolgedessen<lb/>
das Ergreifen des Wagenführerberufs durch verschiedenartige Individuen sür die<lb/>
Allgemeinheit von Interesse ist. Münsterberg ging bei seinen Versuchen von<lb/>
der Voraussetzung aus, daß das entscheidende Moment für die Zuverlässigkeit<lb/>
eines Wagenführers in einer komplizierten Aufmerksamkeits- und Phantasieleistung<lb/>
gegeben sei, mit deren Hilfe die Einzelobjekte des Straßenbildes, die Fußgänger,<lb/>
Automobile und Wagen hinsichtlich der Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung<lb/>
beurteilt werden müssen. Mittels einer Versuchsanordnung, die bei den zu<lb/>
untersuchenden Wagenführern laut ihrer eigenen Aussage genau denselben<lb/>
Bewußtseinszustand erzeugte, wie sie ihn bei der Wagenführung in verkehrs¬<lb/>
reichen Straßen erlebten, wurden' alle Eigentümlichkeiten und Schwächen der<lb/>
Wagenführer fo deutlich ans Licht gebracht, daß die Beteiligten felbst oft über¬<lb/>
rascht waren: da gab es Überlangsame und Überschnelle, solche, die anfangs<lb/>
Vortreffliches leisten aber bald nachlassen, leicht Ablenkbare usw. Da zwischen<lb/>
Münsterbergs Versuchsergebnissen und den tatsächlichen Leistungen der Wagen¬<lb/>
führer im Betrieb eine weitgehende Parallelität bestand, glaubt Münsterberg,<lb/>
obgleich die Exaktheit der Methode noch viel zu wünschen übrig ließ, daß schon<lb/>
heute die von ihm vorgeschlagene Form einer experimentellen Prüfung genügen<lb/>
würde, etwa ein Viertel der gegenwärtig angestellten Wagenführer wegen der<lb/>
Beschaffenheit ihrer psychischen Konstitution als für diesen Beruf nicht geeignet<lb/>
vom Amte auszuschließen. Der wirtschaftliche Nutzen wäre mit dem Berufs¬<lb/>
wechsel dieser Leute nicht zu teuer erkauft, insbesondere wenn die Prüfung vor<lb/>
dem Eintritt in die Berufstätigkeit stattfände.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_826"> Ähnliche Versuche wie mit den Wagenführern unternahm Münsterberg mit<lb/>
Schiffspersonal, um dessen Entschlußfähigkeit zu prüfen; auch hier ergab sich eine<lb/>
weitgehende Übereinstimmung zwischen den Versuchsergebnissen und den Aus¬<lb/>
sagen der Prüflinge selbst oder solchen Personen, die zu ihrer Beurteilung<lb/>
geeignet schienen &#x2014; ein Beweis, daß die Methode in ihren Grundzügen<lb/>
brauchbar war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_827" next="#ID_828"> Einer eingehenderen Analyse unterwarf Münsterberg die psychischen Leistungen<lb/>
von berufsmäßigen Telephonistinnen. Auch in diesem Falle wurde Münsterberg<lb/>
die Anregung aus der Praxis gegeben: eine großstädtische Telephongesellschaft<lb/>
richtete an Münsterberg die Frage, ob eine experimentelle Prüfung der sich für<lb/>
den Telephondienst meldenden Damen behufs ihrer Verwendbarkeit möglich sei.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_68" place="foot"> *) Hugo Münsterberg, &#x201E;Psychologie und Wirtschaftsleben." Ein Beitrag zur an¬<lb/>
gewandten Experimental - Psychologie. Verlag von Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1912.<lb/>
Pr. geh. 2,80 M., geb. 3,50 M.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0184] „I^'Komms msckine" im zwanzigsten Jahrhundert erhalten*). Nach seinen Mitteilungen wurde zum Beispiel auf Anregung der ameri¬ kanischen Gesellschaft für Arbeitergesetzgebung probiert, mit Hilfe von psychologischen Versuchen an Wagenführern der elektrischen Straßenbahn dem Problem einer Vorbeugung von Straßenbahnunfällen näherzutreten. Es steht ja wohl außer Frage, daß die gesamte geistige Beschaffenheit der Wagenführer für den glatten Ablauf des Straßenverkehrs von hoher Bedeutung ist und daß infolgedessen das Ergreifen des Wagenführerberufs durch verschiedenartige Individuen sür die Allgemeinheit von Interesse ist. Münsterberg ging bei seinen Versuchen von der Voraussetzung aus, daß das entscheidende Moment für die Zuverlässigkeit eines Wagenführers in einer komplizierten Aufmerksamkeits- und Phantasieleistung gegeben sei, mit deren Hilfe die Einzelobjekte des Straßenbildes, die Fußgänger, Automobile und Wagen hinsichtlich der Geschwindigkeit ihrer Fortbewegung beurteilt werden müssen. Mittels einer Versuchsanordnung, die bei den zu untersuchenden Wagenführern laut ihrer eigenen Aussage genau denselben Bewußtseinszustand erzeugte, wie sie ihn bei der Wagenführung in verkehrs¬ reichen Straßen erlebten, wurden' alle Eigentümlichkeiten und Schwächen der Wagenführer fo deutlich ans Licht gebracht, daß die Beteiligten felbst oft über¬ rascht waren: da gab es Überlangsame und Überschnelle, solche, die anfangs Vortreffliches leisten aber bald nachlassen, leicht Ablenkbare usw. Da zwischen Münsterbergs Versuchsergebnissen und den tatsächlichen Leistungen der Wagen¬ führer im Betrieb eine weitgehende Parallelität bestand, glaubt Münsterberg, obgleich die Exaktheit der Methode noch viel zu wünschen übrig ließ, daß schon heute die von ihm vorgeschlagene Form einer experimentellen Prüfung genügen würde, etwa ein Viertel der gegenwärtig angestellten Wagenführer wegen der Beschaffenheit ihrer psychischen Konstitution als für diesen Beruf nicht geeignet vom Amte auszuschließen. Der wirtschaftliche Nutzen wäre mit dem Berufs¬ wechsel dieser Leute nicht zu teuer erkauft, insbesondere wenn die Prüfung vor dem Eintritt in die Berufstätigkeit stattfände. Ähnliche Versuche wie mit den Wagenführern unternahm Münsterberg mit Schiffspersonal, um dessen Entschlußfähigkeit zu prüfen; auch hier ergab sich eine weitgehende Übereinstimmung zwischen den Versuchsergebnissen und den Aus¬ sagen der Prüflinge selbst oder solchen Personen, die zu ihrer Beurteilung geeignet schienen — ein Beweis, daß die Methode in ihren Grundzügen brauchbar war. Einer eingehenderen Analyse unterwarf Münsterberg die psychischen Leistungen von berufsmäßigen Telephonistinnen. Auch in diesem Falle wurde Münsterberg die Anregung aus der Praxis gegeben: eine großstädtische Telephongesellschaft richtete an Münsterberg die Frage, ob eine experimentelle Prüfung der sich für den Telephondienst meldenden Damen behufs ihrer Verwendbarkeit möglich sei. *) Hugo Münsterberg, „Psychologie und Wirtschaftsleben." Ein Beitrag zur an¬ gewandten Experimental - Psychologie. Verlag von Johann Ambrosius Barth, Leipzig 1912. Pr. geh. 2,80 M., geb. 3,50 M.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/184
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/184>, abgerufen am 28.12.2024.