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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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"tVKomme maekine" im zwanzigsten Jahrhundert

Von besonderer Bedeutung sind die moralischen Erfolge, von denen be¬
richtet wird: das Einvernehmen zwischen Arbeiterschaft und Leitung wird wesent¬
lich gehoben, der Arbeiter wird sich bewußt, daß er mit Hilfe der wissenschaft¬
lichen Betriebsleitung in den Stand gesetzt wird, ohne stärker zu ermüden als
unter den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen, eine höherstehende, inter¬
essantere und einträglichere Arbeit zu leisten. Es liegt nicht im Wesen des
Systems ein stumpfsinniges Arbeiten zu fördern, im Gegenteil, wenn auch der
Arbeiter nicht willkürlich am System Änderungen vornehmen darf, so soll er
doch immer ermuntert werden, Verbesserungen der Methoden und Werkzeuge
vorzuschlagen, so daß seine Initiative nichr angeregt wird, als wenn er völlig
nach eigenem Ermessen schafft und dem Banne der Gewohnheit verfällt.

Nach den Angaben Taylors arbeiten gegenwärtig in den Vereinigten
Staaten wenigstens fünfzigtausend Arbeiter nach dem System der wissenschaft¬
lichen Betriebsleitung und erhalten täglich 30 bis 100 Prozent höhere Löhne
als gleichartige Arbeiter unter gewöhnlichen Arbeitsverhältnissen. Die Pro¬
duktion hat sich pro Mann und Maschine durchschnittlich verdoppelt, die Be¬
triebe gedeihen, Aufstände sind nicht vorgekommen.




Neben dieser großen Bewegung der wissenschaftlichen Betriebsführung gibt
es noch eine andere, die umfassende Berufsberatung anstrebt. Diese Bewegung
ist vom Bostoner Professor Parsons eingeleitet worden, der 1308 in Boston
ein kleines Bureau eröffnete, das die Aufgabe hatte, Bostoner Knaben und
Mädchen nach Abschluß der Schulzeit bezüglich einer geeigneten Berufswahl
unentgeltlich zu beraten.

Zunächst fand das wirtschaftliche und hygienische Moment vorwiegend
Berücksichtigung, obgleich die psychologische Analyse, die der individuellen Be¬
ratung den eigentlichen Wert verleihen sollte, in erster Reihe ins Auge gefaßt
war. Der Grund für das Zurücktreten des psychologischen Momentes lag im
Mangel an geeigneten psychologischen Untersuchungsmethzden. Es liegt auf der
Hand, daß sich das psychologische Problem aus zwei Komponenten zusammen¬
setzt: einerseits müssen die individuellen psychischen Anlagen, anderseits die
Erfordernisse, die die verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten an die psychische
Beschaffenheit der sie ausübenden Persönlichkeit stellen, erforscht werden. Hier
eröffnete sich dem Fachpsychologen ein weites Arbeitsfeld und tatsächlich sind
diese aus der Praxis erwachsenen Anregungen von der wissenschaftlichen Psycho¬
logie aufgegriffen worden, namentlich regt es sich gewaltig in den Laboratorien
der neuen Welt.

Wir haben durch Professor Hugo Münsterberg, den bekannten Psychologen
der Harvard-Universität, der 1910 als Austauschprofessor nach Berlin kam,
über diese Ansätze einer exakten Wirtschastspsychologie wertvolle Aufschlüsse


„tVKomme maekine" im zwanzigsten Jahrhundert

Von besonderer Bedeutung sind die moralischen Erfolge, von denen be¬
richtet wird: das Einvernehmen zwischen Arbeiterschaft und Leitung wird wesent¬
lich gehoben, der Arbeiter wird sich bewußt, daß er mit Hilfe der wissenschaft¬
lichen Betriebsleitung in den Stand gesetzt wird, ohne stärker zu ermüden als
unter den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen, eine höherstehende, inter¬
essantere und einträglichere Arbeit zu leisten. Es liegt nicht im Wesen des
Systems ein stumpfsinniges Arbeiten zu fördern, im Gegenteil, wenn auch der
Arbeiter nicht willkürlich am System Änderungen vornehmen darf, so soll er
doch immer ermuntert werden, Verbesserungen der Methoden und Werkzeuge
vorzuschlagen, so daß seine Initiative nichr angeregt wird, als wenn er völlig
nach eigenem Ermessen schafft und dem Banne der Gewohnheit verfällt.

Nach den Angaben Taylors arbeiten gegenwärtig in den Vereinigten
Staaten wenigstens fünfzigtausend Arbeiter nach dem System der wissenschaft¬
lichen Betriebsleitung und erhalten täglich 30 bis 100 Prozent höhere Löhne
als gleichartige Arbeiter unter gewöhnlichen Arbeitsverhältnissen. Die Pro¬
duktion hat sich pro Mann und Maschine durchschnittlich verdoppelt, die Be¬
triebe gedeihen, Aufstände sind nicht vorgekommen.




Neben dieser großen Bewegung der wissenschaftlichen Betriebsführung gibt
es noch eine andere, die umfassende Berufsberatung anstrebt. Diese Bewegung
ist vom Bostoner Professor Parsons eingeleitet worden, der 1308 in Boston
ein kleines Bureau eröffnete, das die Aufgabe hatte, Bostoner Knaben und
Mädchen nach Abschluß der Schulzeit bezüglich einer geeigneten Berufswahl
unentgeltlich zu beraten.

Zunächst fand das wirtschaftliche und hygienische Moment vorwiegend
Berücksichtigung, obgleich die psychologische Analyse, die der individuellen Be¬
ratung den eigentlichen Wert verleihen sollte, in erster Reihe ins Auge gefaßt
war. Der Grund für das Zurücktreten des psychologischen Momentes lag im
Mangel an geeigneten psychologischen Untersuchungsmethzden. Es liegt auf der
Hand, daß sich das psychologische Problem aus zwei Komponenten zusammen¬
setzt: einerseits müssen die individuellen psychischen Anlagen, anderseits die
Erfordernisse, die die verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten an die psychische
Beschaffenheit der sie ausübenden Persönlichkeit stellen, erforscht werden. Hier
eröffnete sich dem Fachpsychologen ein weites Arbeitsfeld und tatsächlich sind
diese aus der Praxis erwachsenen Anregungen von der wissenschaftlichen Psycho¬
logie aufgegriffen worden, namentlich regt es sich gewaltig in den Laboratorien
der neuen Welt.

Wir haben durch Professor Hugo Münsterberg, den bekannten Psychologen
der Harvard-Universität, der 1910 als Austauschprofessor nach Berlin kam,
über diese Ansätze einer exakten Wirtschastspsychologie wertvolle Aufschlüsse


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[0183] „tVKomme maekine" im zwanzigsten Jahrhundert Von besonderer Bedeutung sind die moralischen Erfolge, von denen be¬ richtet wird: das Einvernehmen zwischen Arbeiterschaft und Leitung wird wesent¬ lich gehoben, der Arbeiter wird sich bewußt, daß er mit Hilfe der wissenschaft¬ lichen Betriebsleitung in den Stand gesetzt wird, ohne stärker zu ermüden als unter den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen, eine höherstehende, inter¬ essantere und einträglichere Arbeit zu leisten. Es liegt nicht im Wesen des Systems ein stumpfsinniges Arbeiten zu fördern, im Gegenteil, wenn auch der Arbeiter nicht willkürlich am System Änderungen vornehmen darf, so soll er doch immer ermuntert werden, Verbesserungen der Methoden und Werkzeuge vorzuschlagen, so daß seine Initiative nichr angeregt wird, als wenn er völlig nach eigenem Ermessen schafft und dem Banne der Gewohnheit verfällt. Nach den Angaben Taylors arbeiten gegenwärtig in den Vereinigten Staaten wenigstens fünfzigtausend Arbeiter nach dem System der wissenschaft¬ lichen Betriebsleitung und erhalten täglich 30 bis 100 Prozent höhere Löhne als gleichartige Arbeiter unter gewöhnlichen Arbeitsverhältnissen. Die Pro¬ duktion hat sich pro Mann und Maschine durchschnittlich verdoppelt, die Be¬ triebe gedeihen, Aufstände sind nicht vorgekommen. Neben dieser großen Bewegung der wissenschaftlichen Betriebsführung gibt es noch eine andere, die umfassende Berufsberatung anstrebt. Diese Bewegung ist vom Bostoner Professor Parsons eingeleitet worden, der 1308 in Boston ein kleines Bureau eröffnete, das die Aufgabe hatte, Bostoner Knaben und Mädchen nach Abschluß der Schulzeit bezüglich einer geeigneten Berufswahl unentgeltlich zu beraten. Zunächst fand das wirtschaftliche und hygienische Moment vorwiegend Berücksichtigung, obgleich die psychologische Analyse, die der individuellen Be¬ ratung den eigentlichen Wert verleihen sollte, in erster Reihe ins Auge gefaßt war. Der Grund für das Zurücktreten des psychologischen Momentes lag im Mangel an geeigneten psychologischen Untersuchungsmethzden. Es liegt auf der Hand, daß sich das psychologische Problem aus zwei Komponenten zusammen¬ setzt: einerseits müssen die individuellen psychischen Anlagen, anderseits die Erfordernisse, die die verschiedenen wirtschaftlichen Tätigkeiten an die psychische Beschaffenheit der sie ausübenden Persönlichkeit stellen, erforscht werden. Hier eröffnete sich dem Fachpsychologen ein weites Arbeitsfeld und tatsächlich sind diese aus der Praxis erwachsenen Anregungen von der wissenschaftlichen Psycho¬ logie aufgegriffen worden, namentlich regt es sich gewaltig in den Laboratorien der neuen Welt. Wir haben durch Professor Hugo Münsterberg, den bekannten Psychologen der Harvard-Universität, der 1910 als Austauschprofessor nach Berlin kam, über diese Ansätze einer exakten Wirtschastspsychologie wertvolle Aufschlüsse

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/183>, abgerufen am 20.10.2024.