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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Kämpfe unserer Lehrerschaft

ihr Schaffen die Schönheit sich dauernd zur Pflicht machen. Erziehung ist also
Heranbildung zur Anerkennung der absoluten Verbindlichkeit dieser Normen.
Normen aber liegen jenseits aller Psychologie.

Hierbei erscheint sofort die Schwierigkeit. Das Wahre, Gute und Schöne liegt
nicht von Natur im Menschen -- sonst würde, sonst könnte und müßte es ihm
nicht erst als Gebot, als Pflicht entgegentreten; denn was der Mensch von
Natur aus ist, das kann ihm logischerweise nicht als Gebot, und nur als Gebot,
zum Bewußtsein kommen. Somit ist es Aufgabe der Erziehung, im Menschen
etwas Neues zu schaffen, einer zweiten Welt im Menschen zum Durchbruch zu
verhelfen. Es gilt etwas zu schaffen in einer fremden Seele, etwas zu entzünden,
wozu kaum der Brennstoff vorhanden ist. Wie ist das möglich? So ist denn
"Erziehung" kein leichtes Schlagwort, sondern ein tiefes, ernstes Problem, die
alte Platofrage nach dem Verhältnis der Idee zur realen Wirklichkeit, die Frage,
wie kann die Norm trotz der Natur, die Freiheit trotz der Kausalität zur Geltung
kommen. Als Problem der Erziehung ist sie ein echt deutsches Problem, dessen
Lösung Schiller und Fichte ihr tiefstes Denken gewidmet haben*); und daß aus
dem Geiste dieses Denkens das Wesen und das Ziel der deutschen höheren
Schule bestimmt wurde, das braucht nicht erst nachgewiesen zu werden. Somit
haben diese Ausführungen auch historisch ihre Berechtigung.

Die Frage stellt sich also kurz so: wie ist die Anerkennung des Wahren.
Guten, Schönen und Religiösen (Heiligen), also des Normbewußtseins, unteilbar?
Gewöhnung hilft nichts, denn dann wäre dies Bewußtsein ja schon vorhanden.
Ungewohntes Handhaben wissenschaftlicher Methode ist nicht "wissenschaftliche
Gesinnung". Übung im Lösen von Aufgaben nicht Mathematik, ebensowenig
wie angewöhntes Richtighandeln "Sittlichkeit" ist. Es handelt sich um eine
erstmalige Bestimmung des Willens zu Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit.
Ebensowenig nützt Belehrung. Das Wissen schließt das Wollen nicht in sich.
Moralisieren auf allen Gebieten ist fruchtlos. Alles Reden über Kunst ist
eitel; gerade hier ist die Mitteilbarkeit des Geistes durch das Medium der
Töne. Farben usw. das tiefste Rätsel der Sache. Und doch muß der wahre
Erzieher aus sich das alles wecken, das alles hineinzaubern in die fremde Seele.
Da hilft kein Führen und Leiten, kein Unterstützen bestimmter Assoziationen,
kein Beseitigen von Hemmungen, da hilft nur das Opfer der eigenen Seele.
Wir können nur bildlich reden. Der Erzieher entzündet an seinem Geist ,in
Geiste des Zöglings einen lebendigen Funken, der dann selbständig weiterzu-
brennen und weiterzuzünden vermag, er pflanzt eine Sehnsucht, ein Streben in
das Herz des Schülers, das ihm bisher unbekannt gewesen ist. Also muß der



Um die Wissenschaft""- Bedeutung des Problems in noch helleres Licht zu rücken,
möchte ich darauf hinweisen, daß sich hier die Denkweisen Ka^
Schiller saßt die Erziehung zur "schönen Seele" als psycholog.sches Prob °in Kant den
Übergang zum Guten als Anschaffen des "intelligiblen Charakters", also als Problem der
Transzendentalphilosophie.
Grenzboten III 1913
Kämpfe unserer Lehrerschaft

ihr Schaffen die Schönheit sich dauernd zur Pflicht machen. Erziehung ist also
Heranbildung zur Anerkennung der absoluten Verbindlichkeit dieser Normen.
Normen aber liegen jenseits aller Psychologie.

Hierbei erscheint sofort die Schwierigkeit. Das Wahre, Gute und Schöne liegt
nicht von Natur im Menschen — sonst würde, sonst könnte und müßte es ihm
nicht erst als Gebot, als Pflicht entgegentreten; denn was der Mensch von
Natur aus ist, das kann ihm logischerweise nicht als Gebot, und nur als Gebot,
zum Bewußtsein kommen. Somit ist es Aufgabe der Erziehung, im Menschen
etwas Neues zu schaffen, einer zweiten Welt im Menschen zum Durchbruch zu
verhelfen. Es gilt etwas zu schaffen in einer fremden Seele, etwas zu entzünden,
wozu kaum der Brennstoff vorhanden ist. Wie ist das möglich? So ist denn
„Erziehung" kein leichtes Schlagwort, sondern ein tiefes, ernstes Problem, die
alte Platofrage nach dem Verhältnis der Idee zur realen Wirklichkeit, die Frage,
wie kann die Norm trotz der Natur, die Freiheit trotz der Kausalität zur Geltung
kommen. Als Problem der Erziehung ist sie ein echt deutsches Problem, dessen
Lösung Schiller und Fichte ihr tiefstes Denken gewidmet haben*); und daß aus
dem Geiste dieses Denkens das Wesen und das Ziel der deutschen höheren
Schule bestimmt wurde, das braucht nicht erst nachgewiesen zu werden. Somit
haben diese Ausführungen auch historisch ihre Berechtigung.

Die Frage stellt sich also kurz so: wie ist die Anerkennung des Wahren.
Guten, Schönen und Religiösen (Heiligen), also des Normbewußtseins, unteilbar?
Gewöhnung hilft nichts, denn dann wäre dies Bewußtsein ja schon vorhanden.
Ungewohntes Handhaben wissenschaftlicher Methode ist nicht „wissenschaftliche
Gesinnung". Übung im Lösen von Aufgaben nicht Mathematik, ebensowenig
wie angewöhntes Richtighandeln „Sittlichkeit" ist. Es handelt sich um eine
erstmalige Bestimmung des Willens zu Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit.
Ebensowenig nützt Belehrung. Das Wissen schließt das Wollen nicht in sich.
Moralisieren auf allen Gebieten ist fruchtlos. Alles Reden über Kunst ist
eitel; gerade hier ist die Mitteilbarkeit des Geistes durch das Medium der
Töne. Farben usw. das tiefste Rätsel der Sache. Und doch muß der wahre
Erzieher aus sich das alles wecken, das alles hineinzaubern in die fremde Seele.
Da hilft kein Führen und Leiten, kein Unterstützen bestimmter Assoziationen,
kein Beseitigen von Hemmungen, da hilft nur das Opfer der eigenen Seele.
Wir können nur bildlich reden. Der Erzieher entzündet an seinem Geist ,in
Geiste des Zöglings einen lebendigen Funken, der dann selbständig weiterzu-
brennen und weiterzuzünden vermag, er pflanzt eine Sehnsucht, ein Streben in
das Herz des Schülers, das ihm bisher unbekannt gewesen ist. Also muß der



Um die Wissenschaft«»- Bedeutung des Problems in noch helleres Licht zu rücken,
möchte ich darauf hinweisen, daß sich hier die Denkweisen Ka^
Schiller saßt die Erziehung zur „schönen Seele" als psycholog.sches Prob °in Kant den
Übergang zum Guten als Anschaffen des „intelligiblen Charakters", also als Problem der
Transzendentalphilosophie.
Grenzboten III 1913
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[0173] Kämpfe unserer Lehrerschaft ihr Schaffen die Schönheit sich dauernd zur Pflicht machen. Erziehung ist also Heranbildung zur Anerkennung der absoluten Verbindlichkeit dieser Normen. Normen aber liegen jenseits aller Psychologie. Hierbei erscheint sofort die Schwierigkeit. Das Wahre, Gute und Schöne liegt nicht von Natur im Menschen — sonst würde, sonst könnte und müßte es ihm nicht erst als Gebot, als Pflicht entgegentreten; denn was der Mensch von Natur aus ist, das kann ihm logischerweise nicht als Gebot, und nur als Gebot, zum Bewußtsein kommen. Somit ist es Aufgabe der Erziehung, im Menschen etwas Neues zu schaffen, einer zweiten Welt im Menschen zum Durchbruch zu verhelfen. Es gilt etwas zu schaffen in einer fremden Seele, etwas zu entzünden, wozu kaum der Brennstoff vorhanden ist. Wie ist das möglich? So ist denn „Erziehung" kein leichtes Schlagwort, sondern ein tiefes, ernstes Problem, die alte Platofrage nach dem Verhältnis der Idee zur realen Wirklichkeit, die Frage, wie kann die Norm trotz der Natur, die Freiheit trotz der Kausalität zur Geltung kommen. Als Problem der Erziehung ist sie ein echt deutsches Problem, dessen Lösung Schiller und Fichte ihr tiefstes Denken gewidmet haben*); und daß aus dem Geiste dieses Denkens das Wesen und das Ziel der deutschen höheren Schule bestimmt wurde, das braucht nicht erst nachgewiesen zu werden. Somit haben diese Ausführungen auch historisch ihre Berechtigung. Die Frage stellt sich also kurz so: wie ist die Anerkennung des Wahren. Guten, Schönen und Religiösen (Heiligen), also des Normbewußtseins, unteilbar? Gewöhnung hilft nichts, denn dann wäre dies Bewußtsein ja schon vorhanden. Ungewohntes Handhaben wissenschaftlicher Methode ist nicht „wissenschaftliche Gesinnung". Übung im Lösen von Aufgaben nicht Mathematik, ebensowenig wie angewöhntes Richtighandeln „Sittlichkeit" ist. Es handelt sich um eine erstmalige Bestimmung des Willens zu Wissenschaftlichkeit und Sittlichkeit. Ebensowenig nützt Belehrung. Das Wissen schließt das Wollen nicht in sich. Moralisieren auf allen Gebieten ist fruchtlos. Alles Reden über Kunst ist eitel; gerade hier ist die Mitteilbarkeit des Geistes durch das Medium der Töne. Farben usw. das tiefste Rätsel der Sache. Und doch muß der wahre Erzieher aus sich das alles wecken, das alles hineinzaubern in die fremde Seele. Da hilft kein Führen und Leiten, kein Unterstützen bestimmter Assoziationen, kein Beseitigen von Hemmungen, da hilft nur das Opfer der eigenen Seele. Wir können nur bildlich reden. Der Erzieher entzündet an seinem Geist ,in Geiste des Zöglings einen lebendigen Funken, der dann selbständig weiterzu- brennen und weiterzuzünden vermag, er pflanzt eine Sehnsucht, ein Streben in das Herz des Schülers, das ihm bisher unbekannt gewesen ist. Also muß der Um die Wissenschaft«»- Bedeutung des Problems in noch helleres Licht zu rücken, möchte ich darauf hinweisen, daß sich hier die Denkweisen Ka^ Schiller saßt die Erziehung zur „schönen Seele" als psycholog.sches Prob °in Kant den Übergang zum Guten als Anschaffen des „intelligiblen Charakters", also als Problem der Transzendentalphilosophie. Grenzboten III 1913

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/173>, abgerufen am 19.10.2024.