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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben?

und räumliche Ausdehnung größte Krise ist diejenige des Jahres 1873. Von
der Wiener Börse ausgehend hat sie sich bis zum Jahre 1380 allmählich über
Italien, Rußland, Nordamerika, Deutschland, England, Holland, Belgien und
selbst Südamerika und Australien ausgebreitet und sämtliche große Welthcmdels-
und Industriezweige erfaßt. Wenn auch die Krise in Österreich ausgebrochen
war, so lag ihr Ursprung doch auf deutschem Boden, in der Entstehung eines
nur auch politisch geeinigten großen deutschen Wirtschaftsgebietes mit einheitlicher
Gesetzgebung usw. Es wurden große Kapitalien in Gründungen gesteckt, die
niemals gedeihen konnten, weil Fabriken und andere Anlagen zu übertriebenen
Preisen oder neue Anlagen unter den ungünstigsten Bedingungen über¬
nommen wurden, während auf einen Fortbestand der unmittelbar nach dem
Kriege sehr hoch gesteigerten Preise nicht gerechnet werden konnte. Die neu¬
gegründeten Fabriken, Hochöfen usw. blieben aber nach der Krisis, auch wenn
sie keine Dividenden abwarfen, großenteils noch in Betrieb und so entstand eine
chronische Überproduktion. Seinen tiefsten Punkt erreichte der wirtschaftliche
Niedergang im Jahre 1878, und erst in der zweiten Hälfte 1879 trat eine von
Amerika und England ausgehende Besserung ein.

Es folgten dann noch einige kleinere Krisen in den Jahren 1882, 1890.
1893 und 1900/01. und endlich die jüngste Krise im Jahre 1907 in Nord¬
amerika und Deutschland. Im Oktober 1907 trat in New Aork mit dem Zu¬
sammenbruch des Kupfer-Corners und der Knickerbocker Trust-Compagnie eine
ungeheure Erschütterung des Bankkredits und damit eine schwere Geldkrisis ein.
betrug doch der Zins für tägliches Geld im Oktober 1907 in New Jork durch¬
schnittlich 22 Prozent. Da der amerikanische Ansturm auf die europäischen
Goldvorräte die Krise auf Europa übertrug, sahen sich die Bank von England
und die Reichsbank zu starken Erhöhungen des Diskontsatzes gezwungen (7 bzw.
7 i/z Prozent). Seit dem Monat September 1909 trat dann der Umschwung
ein und es entwickelte sich die Hochkonjunktur, die jetzt ihr Ende erreicht hat.

Jedenfalls lehrt uns die Geschichte der Krisen, daß Kriege oder äußere
Verwicklungen dabei nur von ganz untergeordneter Bedeutung sind und daß die
jetzt heraufziehende Depression des Wirtschaftslebens auch ohne die Orientwirren
eingetreten wäre.




Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben?

und räumliche Ausdehnung größte Krise ist diejenige des Jahres 1873. Von
der Wiener Börse ausgehend hat sie sich bis zum Jahre 1380 allmählich über
Italien, Rußland, Nordamerika, Deutschland, England, Holland, Belgien und
selbst Südamerika und Australien ausgebreitet und sämtliche große Welthcmdels-
und Industriezweige erfaßt. Wenn auch die Krise in Österreich ausgebrochen
war, so lag ihr Ursprung doch auf deutschem Boden, in der Entstehung eines
nur auch politisch geeinigten großen deutschen Wirtschaftsgebietes mit einheitlicher
Gesetzgebung usw. Es wurden große Kapitalien in Gründungen gesteckt, die
niemals gedeihen konnten, weil Fabriken und andere Anlagen zu übertriebenen
Preisen oder neue Anlagen unter den ungünstigsten Bedingungen über¬
nommen wurden, während auf einen Fortbestand der unmittelbar nach dem
Kriege sehr hoch gesteigerten Preise nicht gerechnet werden konnte. Die neu¬
gegründeten Fabriken, Hochöfen usw. blieben aber nach der Krisis, auch wenn
sie keine Dividenden abwarfen, großenteils noch in Betrieb und so entstand eine
chronische Überproduktion. Seinen tiefsten Punkt erreichte der wirtschaftliche
Niedergang im Jahre 1878, und erst in der zweiten Hälfte 1879 trat eine von
Amerika und England ausgehende Besserung ein.

Es folgten dann noch einige kleinere Krisen in den Jahren 1882, 1890.
1893 und 1900/01. und endlich die jüngste Krise im Jahre 1907 in Nord¬
amerika und Deutschland. Im Oktober 1907 trat in New Aork mit dem Zu¬
sammenbruch des Kupfer-Corners und der Knickerbocker Trust-Compagnie eine
ungeheure Erschütterung des Bankkredits und damit eine schwere Geldkrisis ein.
betrug doch der Zins für tägliches Geld im Oktober 1907 in New Jork durch¬
schnittlich 22 Prozent. Da der amerikanische Ansturm auf die europäischen
Goldvorräte die Krise auf Europa übertrug, sahen sich die Bank von England
und die Reichsbank zu starken Erhöhungen des Diskontsatzes gezwungen (7 bzw.
7 i/z Prozent). Seit dem Monat September 1909 trat dann der Umschwung
ein und es entwickelte sich die Hochkonjunktur, die jetzt ihr Ende erreicht hat.

Jedenfalls lehrt uns die Geschichte der Krisen, daß Kriege oder äußere
Verwicklungen dabei nur von ganz untergeordneter Bedeutung sind und daß die
jetzt heraufziehende Depression des Wirtschaftslebens auch ohne die Orientwirren
eingetreten wäre.




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[0162] Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben? und räumliche Ausdehnung größte Krise ist diejenige des Jahres 1873. Von der Wiener Börse ausgehend hat sie sich bis zum Jahre 1380 allmählich über Italien, Rußland, Nordamerika, Deutschland, England, Holland, Belgien und selbst Südamerika und Australien ausgebreitet und sämtliche große Welthcmdels- und Industriezweige erfaßt. Wenn auch die Krise in Österreich ausgebrochen war, so lag ihr Ursprung doch auf deutschem Boden, in der Entstehung eines nur auch politisch geeinigten großen deutschen Wirtschaftsgebietes mit einheitlicher Gesetzgebung usw. Es wurden große Kapitalien in Gründungen gesteckt, die niemals gedeihen konnten, weil Fabriken und andere Anlagen zu übertriebenen Preisen oder neue Anlagen unter den ungünstigsten Bedingungen über¬ nommen wurden, während auf einen Fortbestand der unmittelbar nach dem Kriege sehr hoch gesteigerten Preise nicht gerechnet werden konnte. Die neu¬ gegründeten Fabriken, Hochöfen usw. blieben aber nach der Krisis, auch wenn sie keine Dividenden abwarfen, großenteils noch in Betrieb und so entstand eine chronische Überproduktion. Seinen tiefsten Punkt erreichte der wirtschaftliche Niedergang im Jahre 1878, und erst in der zweiten Hälfte 1879 trat eine von Amerika und England ausgehende Besserung ein. Es folgten dann noch einige kleinere Krisen in den Jahren 1882, 1890. 1893 und 1900/01. und endlich die jüngste Krise im Jahre 1907 in Nord¬ amerika und Deutschland. Im Oktober 1907 trat in New Aork mit dem Zu¬ sammenbruch des Kupfer-Corners und der Knickerbocker Trust-Compagnie eine ungeheure Erschütterung des Bankkredits und damit eine schwere Geldkrisis ein. betrug doch der Zins für tägliches Geld im Oktober 1907 in New Jork durch¬ schnittlich 22 Prozent. Da der amerikanische Ansturm auf die europäischen Goldvorräte die Krise auf Europa übertrug, sahen sich die Bank von England und die Reichsbank zu starken Erhöhungen des Diskontsatzes gezwungen (7 bzw. 7 i/z Prozent). Seit dem Monat September 1909 trat dann der Umschwung ein und es entwickelte sich die Hochkonjunktur, die jetzt ihr Ende erreicht hat. Jedenfalls lehrt uns die Geschichte der Krisen, daß Kriege oder äußere Verwicklungen dabei nur von ganz untergeordneter Bedeutung sind und daß die jetzt heraufziehende Depression des Wirtschaftslebens auch ohne die Orientwirren eingetreten wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/162>, abgerufen am 27.12.2024.