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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben?

gerade auf den ausländischen Börsen waren auch für die in Deutschland inter¬
essierenden Papiere die empfindlichsten Verluste zu verzeichnen. Ob die Be¬
strebungen zur Gründung eines Stabeisenverbandes Erfolg haben werden, ist
noch sehr die Frage. Wenn auch die Milliarde der Heeresvorlage der Industrie
zugute kommen wird, der zweifellos in nächster Zeit größere Aufträge zufließen
werden, so wird anderseits durch die Wehrsteuer die Sparkraft und Kapitals¬
ansammlung verlangsamt und die Geldteuerung verlängert.

Wie schon erwähnt wurde, ist die Ansicht, daß allein dem Balkankriege die
gegenwärtige wirtschaftliche Depression zuzuschreiben sei, eine durchaus irrige.
Die gegenwärtig heranziehende Krise gehört zu denjenigen allgemeinen Krisen,
welche im Gegensatz zu den durch äußere Ereignisse (Krieg, Mißernte) hervor¬
gerufenen, sich dadurch kennzeichnen, daß der eigentlichen Krisenperiode, der
Stockung des Absatzes, eine Periode des Aufschwunges vorhergeht, in welcher
die Volkswirtschaft einen besonders blühenden Zustand aufweist: Vergrößerung
bestehender Unternehmungen, viele Neugründungen, große Kapitalinvestitionen,
Steigen der Preise und Löhne, Wachsen der Gewinne. Ohne jede äußere Ursache
verwandelt sich dann dieser Aufschwung in krisenhafte Depression! Unterscheiden
sich doch überhaupt die Krisen der letzten hundert Jahre von den Krisen früherer
Jahrhunderte durch das Fehlen einer einzelnen und zweifellosen Ursache, wie
sie in früheren Zeiten durch Krieg. Mißernte, lokale Überspekulation u. tgi.
gegeben waren. Die modernen Krisen beruhen vielmehr auf Fehlern in dem
Mechanismus der Produktions- und Verteilungsoperationen der Volkswirtschaft.
Von größeren Krisen des neunzehnten Jahrhunderts sind zu nennen: die englische
Krisis von 1815, durch Überschätzung der Konsumtionsfähigkeit des Kontinents
veranlaßt; die englische Krisis von 1826, der ein enormer Gründungs- und
Aktienschwindel voranging, so daß das Kapital der errichteten und projektierten
Gesellschaften sich auf über 372 Millionen Pfd. Sterl. belief, von denen nur
17 600000 Pfd. Sterl. wirklich eingezahlt wurden. Weitere Krisen, die von
Amerika ausgingen und England in Mitleidenschaft zogen, fallen in die
Jahre 1837 und 1839. Eine abermalige Erschütterung traf den englischen
Markt namentlich infolge von Nberspekulationen mit Eisenbahnen im Jahre 1847;
bei dieser Gelegenheit mußte die Prelsche Bankakte, die erst drei Jahre vorher
zur Verhinderung von Krisen erlassen war, wieder zeitweise suspendiert werden.
Eine neue große Krisis traf England im Jahre 1857. Während aber die
früheren Krisen nur wenig über England hinausgegriffen haben, ist dies die
erste Weltkrisis, welche von Amerika ausgehend, besonders Hamburg empfindlich
traf und sich auch über England, Frankreich und Österreich ausbreitete. Dieser
Krisis war ein unvergleichliches Aufblühen der Volkswirtschaft, namentlich in den
Vereinigten Staaten, vorausgegangen, wohin nach den Ereignissen der 1840 er
Jahre ungeheure Menschenmengen und große Kapitalien geströmt waren. Im
Jahre 1866 kam wieder eine Krisis in London zum Ausbruch, die zum dritten
Male eine Suspension der Bankakte nötig machte. Die in bezug auf Dauer


Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben?

gerade auf den ausländischen Börsen waren auch für die in Deutschland inter¬
essierenden Papiere die empfindlichsten Verluste zu verzeichnen. Ob die Be¬
strebungen zur Gründung eines Stabeisenverbandes Erfolg haben werden, ist
noch sehr die Frage. Wenn auch die Milliarde der Heeresvorlage der Industrie
zugute kommen wird, der zweifellos in nächster Zeit größere Aufträge zufließen
werden, so wird anderseits durch die Wehrsteuer die Sparkraft und Kapitals¬
ansammlung verlangsamt und die Geldteuerung verlängert.

Wie schon erwähnt wurde, ist die Ansicht, daß allein dem Balkankriege die
gegenwärtige wirtschaftliche Depression zuzuschreiben sei, eine durchaus irrige.
Die gegenwärtig heranziehende Krise gehört zu denjenigen allgemeinen Krisen,
welche im Gegensatz zu den durch äußere Ereignisse (Krieg, Mißernte) hervor¬
gerufenen, sich dadurch kennzeichnen, daß der eigentlichen Krisenperiode, der
Stockung des Absatzes, eine Periode des Aufschwunges vorhergeht, in welcher
die Volkswirtschaft einen besonders blühenden Zustand aufweist: Vergrößerung
bestehender Unternehmungen, viele Neugründungen, große Kapitalinvestitionen,
Steigen der Preise und Löhne, Wachsen der Gewinne. Ohne jede äußere Ursache
verwandelt sich dann dieser Aufschwung in krisenhafte Depression! Unterscheiden
sich doch überhaupt die Krisen der letzten hundert Jahre von den Krisen früherer
Jahrhunderte durch das Fehlen einer einzelnen und zweifellosen Ursache, wie
sie in früheren Zeiten durch Krieg. Mißernte, lokale Überspekulation u. tgi.
gegeben waren. Die modernen Krisen beruhen vielmehr auf Fehlern in dem
Mechanismus der Produktions- und Verteilungsoperationen der Volkswirtschaft.
Von größeren Krisen des neunzehnten Jahrhunderts sind zu nennen: die englische
Krisis von 1815, durch Überschätzung der Konsumtionsfähigkeit des Kontinents
veranlaßt; die englische Krisis von 1826, der ein enormer Gründungs- und
Aktienschwindel voranging, so daß das Kapital der errichteten und projektierten
Gesellschaften sich auf über 372 Millionen Pfd. Sterl. belief, von denen nur
17 600000 Pfd. Sterl. wirklich eingezahlt wurden. Weitere Krisen, die von
Amerika ausgingen und England in Mitleidenschaft zogen, fallen in die
Jahre 1837 und 1839. Eine abermalige Erschütterung traf den englischen
Markt namentlich infolge von Nberspekulationen mit Eisenbahnen im Jahre 1847;
bei dieser Gelegenheit mußte die Prelsche Bankakte, die erst drei Jahre vorher
zur Verhinderung von Krisen erlassen war, wieder zeitweise suspendiert werden.
Eine neue große Krisis traf England im Jahre 1857. Während aber die
früheren Krisen nur wenig über England hinausgegriffen haben, ist dies die
erste Weltkrisis, welche von Amerika ausgehend, besonders Hamburg empfindlich
traf und sich auch über England, Frankreich und Österreich ausbreitete. Dieser
Krisis war ein unvergleichliches Aufblühen der Volkswirtschaft, namentlich in den
Vereinigten Staaten, vorausgegangen, wohin nach den Ereignissen der 1840 er
Jahre ungeheure Menschenmengen und große Kapitalien geströmt waren. Im
Jahre 1866 kam wieder eine Krisis in London zum Ausbruch, die zum dritten
Male eine Suspension der Bankakte nötig machte. Die in bezug auf Dauer


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[0161] Line Krisis im deutschen Wirtschaftsleben? gerade auf den ausländischen Börsen waren auch für die in Deutschland inter¬ essierenden Papiere die empfindlichsten Verluste zu verzeichnen. Ob die Be¬ strebungen zur Gründung eines Stabeisenverbandes Erfolg haben werden, ist noch sehr die Frage. Wenn auch die Milliarde der Heeresvorlage der Industrie zugute kommen wird, der zweifellos in nächster Zeit größere Aufträge zufließen werden, so wird anderseits durch die Wehrsteuer die Sparkraft und Kapitals¬ ansammlung verlangsamt und die Geldteuerung verlängert. Wie schon erwähnt wurde, ist die Ansicht, daß allein dem Balkankriege die gegenwärtige wirtschaftliche Depression zuzuschreiben sei, eine durchaus irrige. Die gegenwärtig heranziehende Krise gehört zu denjenigen allgemeinen Krisen, welche im Gegensatz zu den durch äußere Ereignisse (Krieg, Mißernte) hervor¬ gerufenen, sich dadurch kennzeichnen, daß der eigentlichen Krisenperiode, der Stockung des Absatzes, eine Periode des Aufschwunges vorhergeht, in welcher die Volkswirtschaft einen besonders blühenden Zustand aufweist: Vergrößerung bestehender Unternehmungen, viele Neugründungen, große Kapitalinvestitionen, Steigen der Preise und Löhne, Wachsen der Gewinne. Ohne jede äußere Ursache verwandelt sich dann dieser Aufschwung in krisenhafte Depression! Unterscheiden sich doch überhaupt die Krisen der letzten hundert Jahre von den Krisen früherer Jahrhunderte durch das Fehlen einer einzelnen und zweifellosen Ursache, wie sie in früheren Zeiten durch Krieg. Mißernte, lokale Überspekulation u. tgi. gegeben waren. Die modernen Krisen beruhen vielmehr auf Fehlern in dem Mechanismus der Produktions- und Verteilungsoperationen der Volkswirtschaft. Von größeren Krisen des neunzehnten Jahrhunderts sind zu nennen: die englische Krisis von 1815, durch Überschätzung der Konsumtionsfähigkeit des Kontinents veranlaßt; die englische Krisis von 1826, der ein enormer Gründungs- und Aktienschwindel voranging, so daß das Kapital der errichteten und projektierten Gesellschaften sich auf über 372 Millionen Pfd. Sterl. belief, von denen nur 17 600000 Pfd. Sterl. wirklich eingezahlt wurden. Weitere Krisen, die von Amerika ausgingen und England in Mitleidenschaft zogen, fallen in die Jahre 1837 und 1839. Eine abermalige Erschütterung traf den englischen Markt namentlich infolge von Nberspekulationen mit Eisenbahnen im Jahre 1847; bei dieser Gelegenheit mußte die Prelsche Bankakte, die erst drei Jahre vorher zur Verhinderung von Krisen erlassen war, wieder zeitweise suspendiert werden. Eine neue große Krisis traf England im Jahre 1857. Während aber die früheren Krisen nur wenig über England hinausgegriffen haben, ist dies die erste Weltkrisis, welche von Amerika ausgehend, besonders Hamburg empfindlich traf und sich auch über England, Frankreich und Österreich ausbreitete. Dieser Krisis war ein unvergleichliches Aufblühen der Volkswirtschaft, namentlich in den Vereinigten Staaten, vorausgegangen, wohin nach den Ereignissen der 1840 er Jahre ungeheure Menschenmengen und große Kapitalien geströmt waren. Im Jahre 1866 kam wieder eine Krisis in London zum Ausbruch, die zum dritten Male eine Suspension der Bankakte nötig machte. Die in bezug auf Dauer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/161>, abgerufen am 28.12.2024.