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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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verdeutschen und Verdeutschungen

Übersetzer tut gut, seine Beobachtungen erst einmal bei der Lektüre zu sammeln,
um daran die persönliche Technik des Dichters zu erkennen und seine eigene
anzubauen.

Fremde Werte empfinden und in anderer Form empfinden lassen: das ist
die Aufgabe des Übersetzers. Dazu braucht er die Gabe der Einfühlung und
die Kunst der Technik. Ohne diese beiden ist er ein Fälscher und Betrüger, der
uns Steine statt Brot gibt.




Jm Anschluß an diesen Versuch, die Grundlinien einer Übersetzungskunst
festzulegen, möchte ich einige kürzlich erschienene Verdeutschungen besprechen.

Ein treffendes Beispiel für eine pedantische Wörterbuch-Übersetzung ist die
Verdeutschung von Balzacs "Pere Goriot" durch Friedrich Senbold.*) Einige
Muster: Na>n8leur Mein Herr; des tempZ er8tsZ ^- betrübte Zeiten;
MctLkinalemönt ^ maschinenmäßig; die Umschreibung, die wir Deutsche durch
die Betonung ersetzen, nimmt er mit herüber: "ist das nicht eine schändliche
Niederträchtigkeit, das!" Einige Stellen werden einfach unterschlagen (S. 60,
107). Aus dem blutvoll-volkstümlichen Balzac ist ein klotziger geworden:
bourdisr (Sumpf) wird mit "kotiger Sumpf" übersetzt. Nur wer lernen will,
wie man es nicht machen soll, nehme das Buch zur Hand.

Da ist Friedrich von Oppeln-Bronikowski ein anderer Kenner und
Körner. Er hat uns Maeterlinck verständnisvoll und formgewandt übersetzt und
bietet jetzt das jüngste Werk des lächelnden Philosophen Anatole France dar: Die
Götter dürsten (I^e8 clieux ont soif)^). Die behagliche Breite, die väterliche
Ironie ist hier trefflich wiedergegeben. Es ist keine Philosophie für das Volk;
nur für kultivierte, innerlich gefestigte Menschen: "man soll die Tugend lieben,
aber es ist gut zu wissen, daß dies ein bloßes Mittel ist, damit die Menschen
bequem miteinander auskommen" (S. 85); "der alte Weltweise wunderte sich
nicht, daß die Menschen als elende Wesen, als eitle Spielbälle der Naturkräfte,
sich fast immer in peinlichen und absurden Lagen befanden. ... Im übrigen
war er rein Pessimist und hielt das Leben nicht für durchaus schlecht. Er
bewunderte die Natur in mancher Hinsicht, besonders in der Mechanik der
Himmelskörper und in den Funktionen der Liebe, und er fügte sich in den
Gang des Lebens, in Erwartung des Tages, wo er weder Furcht noch Ver¬
langen kennen würde." Der Übersetzer hat das Buch mit einer bescheidenen
Zahl von Anmerkungen versehen; auch diese hätten noch fortbleiben können.
Wenn Scheffels Ekkehard trotz seines Wusts historischer Anmerkungen nur eine




") Honorö de Balzac, Vater Goriot. Ins Deutsche übertragen von Friedrich Seybold.
I. C. C, Bruns Verlag, Minden.
**) Die Götter dürsten. Roman aus der französischen Revolution von Anatole France.
1S13. München bei Georg Müller.
verdeutschen und Verdeutschungen

Übersetzer tut gut, seine Beobachtungen erst einmal bei der Lektüre zu sammeln,
um daran die persönliche Technik des Dichters zu erkennen und seine eigene
anzubauen.

Fremde Werte empfinden und in anderer Form empfinden lassen: das ist
die Aufgabe des Übersetzers. Dazu braucht er die Gabe der Einfühlung und
die Kunst der Technik. Ohne diese beiden ist er ein Fälscher und Betrüger, der
uns Steine statt Brot gibt.




Jm Anschluß an diesen Versuch, die Grundlinien einer Übersetzungskunst
festzulegen, möchte ich einige kürzlich erschienene Verdeutschungen besprechen.

Ein treffendes Beispiel für eine pedantische Wörterbuch-Übersetzung ist die
Verdeutschung von Balzacs „Pere Goriot" durch Friedrich Senbold.*) Einige
Muster: Na>n8leur Mein Herr; des tempZ er8tsZ ^- betrübte Zeiten;
MctLkinalemönt ^ maschinenmäßig; die Umschreibung, die wir Deutsche durch
die Betonung ersetzen, nimmt er mit herüber: „ist das nicht eine schändliche
Niederträchtigkeit, das!" Einige Stellen werden einfach unterschlagen (S. 60,
107). Aus dem blutvoll-volkstümlichen Balzac ist ein klotziger geworden:
bourdisr (Sumpf) wird mit „kotiger Sumpf" übersetzt. Nur wer lernen will,
wie man es nicht machen soll, nehme das Buch zur Hand.

Da ist Friedrich von Oppeln-Bronikowski ein anderer Kenner und
Körner. Er hat uns Maeterlinck verständnisvoll und formgewandt übersetzt und
bietet jetzt das jüngste Werk des lächelnden Philosophen Anatole France dar: Die
Götter dürsten (I^e8 clieux ont soif)^). Die behagliche Breite, die väterliche
Ironie ist hier trefflich wiedergegeben. Es ist keine Philosophie für das Volk;
nur für kultivierte, innerlich gefestigte Menschen: „man soll die Tugend lieben,
aber es ist gut zu wissen, daß dies ein bloßes Mittel ist, damit die Menschen
bequem miteinander auskommen" (S. 85); „der alte Weltweise wunderte sich
nicht, daß die Menschen als elende Wesen, als eitle Spielbälle der Naturkräfte,
sich fast immer in peinlichen und absurden Lagen befanden. ... Im übrigen
war er rein Pessimist und hielt das Leben nicht für durchaus schlecht. Er
bewunderte die Natur in mancher Hinsicht, besonders in der Mechanik der
Himmelskörper und in den Funktionen der Liebe, und er fügte sich in den
Gang des Lebens, in Erwartung des Tages, wo er weder Furcht noch Ver¬
langen kennen würde." Der Übersetzer hat das Buch mit einer bescheidenen
Zahl von Anmerkungen versehen; auch diese hätten noch fortbleiben können.
Wenn Scheffels Ekkehard trotz seines Wusts historischer Anmerkungen nur eine




") Honorö de Balzac, Vater Goriot. Ins Deutsche übertragen von Friedrich Seybold.
I. C. C, Bruns Verlag, Minden.
**) Die Götter dürsten. Roman aus der französischen Revolution von Anatole France.
1S13. München bei Georg Müller.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/150>, abgerufen am 19.10.2024.