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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Aindcrauswandcrung ans Lnglcmd

Anfordern. Barnardo indessen zieht vor, für kleine Kinder Kostgeld zu bezahlen
(5 Dollars pro Monat) und die volle Gewalt nicht aus den Händen zu geben.
Auch würde es bei der großen Zahl von kleineren Kindern, die Barnardo
alljährlich nach Kanada bringt, immerhin schwierig sein, in genügender Menge
passende Adoptiveltern zur Verfügung zu haben, besonders seitdem auch die
offizielle kanadische Children Alt-Societn das englische System, Kinder kostenlos
bei Farmern unterzubringen, angenommen hat und ihrerseits jährlich einige
Tausend Familien mit jungen Hilfskräften oder Adoptivkindern versorgt.

Die anderen Vereine bringen Kinder, die nicht adoptiert werden, d. h. vom
siebenten Lebensjahre an, völlig kostenlos unter, indem sie mit dem betreffenden
Gesuchsteller einen -- natürlich unter bestimmten Bedingungen aufhebbaren --
Vertrag schließen. Danach soll zum Beispiel ein Kind Erziehung und Kleidung
im Werte von 15 bis 20 Dollar jährlich erhalten. Über die Ausgaben ist
dem Verein Rechenschaft abzulegen und falls die vereinbarte Summe nicht
erreicht wird, muß der Restbetrag an den Verein eingesandt werden, der das
Geld als Sparguthaben des Kindes anlegt. Zumeist ist aus diese Weise ein
vierzehnjähriges Kind bereits im Besitze der stattlichen Summe von 30 bis
100 Dollars, die bei der Berufswahl und für das Vorwärtskommen im Leben
selbstverständlich von großer Wichtigkeit ist.

Einige Verschiedenheit herrscht auch in dem Abkommen bezüglich des
Schulbesuches. In den meisten Provinzen Kanadas besteht zwar gesetzlicher
Schulzwang -- er wird aber aus dem Lande nicht sehr streng durchgeführt
und es bedarf ausdrücklicher Abmachungen, um den Kindern ein entsprechendes
Quantum Schulweisheit zu sichern. Barnardo verlangt natürlich für seine
Kostkinder regelmäßigen Schulbesuch. Die meisten Vereine indessen fordern nur
einen halbjährlichen Schulbesuch. Geht ein Verein zur Forderung regelmäßigen
Schulbesuches während des ganzen Jahres über, so nimmt die Nachfrage nach
jüngeren schulpflichtigen Kindern sofort ab und alle verlangen solche, die der
Schulpflicht entwachsen sind.

Die Kontrolle über die Kinder unter achtzehn Jahren wird mittels alljähr¬
licher oder auch häufigerer Inspektion durch eine Vertrauensperson des Vereins
ausgeübt. Diese gesetzlich vorgeschriebene Inspektion von Vereins wegen geschieht
unabhängig von der Inspektion der englischen Poorlawkinder durch einen kana¬
dischen Regierungsbeamten. Der Regierungskontrolle unterstehen aber nicht nur
diese Poorlawkmder bis zu fünfzehn Jahren, sondern auch sämtliche Empfangs¬
heime. Zugleich hat der Regierungsbeamte aber auch das Recht (nur nicht die
Pflicht) jedes beliebige Pflegekind zu inspizieren.") Es gibt daher wohl auch
kaum bessere Kenner der Lage dieser Kinder in Kanada als diese Regierungs¬
beamten. Und wenn in ihrem jährlichen Bericht der Wert dieser Kinderein-



*) Was Inspektionsreisen in Kanada bedeuten, läßt sich ans der Tatsache erkennen,
daß Beamte um 1VS6 Kinder zu besuchen, 22 372 Meilen mit der Eisenbahn und 206ö Meilen
zu Pferd zurücklegen mußten.
Der gegenwärtige Stand der Aindcrauswandcrung ans Lnglcmd

Anfordern. Barnardo indessen zieht vor, für kleine Kinder Kostgeld zu bezahlen
(5 Dollars pro Monat) und die volle Gewalt nicht aus den Händen zu geben.
Auch würde es bei der großen Zahl von kleineren Kindern, die Barnardo
alljährlich nach Kanada bringt, immerhin schwierig sein, in genügender Menge
passende Adoptiveltern zur Verfügung zu haben, besonders seitdem auch die
offizielle kanadische Children Alt-Societn das englische System, Kinder kostenlos
bei Farmern unterzubringen, angenommen hat und ihrerseits jährlich einige
Tausend Familien mit jungen Hilfskräften oder Adoptivkindern versorgt.

Die anderen Vereine bringen Kinder, die nicht adoptiert werden, d. h. vom
siebenten Lebensjahre an, völlig kostenlos unter, indem sie mit dem betreffenden
Gesuchsteller einen — natürlich unter bestimmten Bedingungen aufhebbaren —
Vertrag schließen. Danach soll zum Beispiel ein Kind Erziehung und Kleidung
im Werte von 15 bis 20 Dollar jährlich erhalten. Über die Ausgaben ist
dem Verein Rechenschaft abzulegen und falls die vereinbarte Summe nicht
erreicht wird, muß der Restbetrag an den Verein eingesandt werden, der das
Geld als Sparguthaben des Kindes anlegt. Zumeist ist aus diese Weise ein
vierzehnjähriges Kind bereits im Besitze der stattlichen Summe von 30 bis
100 Dollars, die bei der Berufswahl und für das Vorwärtskommen im Leben
selbstverständlich von großer Wichtigkeit ist.

Einige Verschiedenheit herrscht auch in dem Abkommen bezüglich des
Schulbesuches. In den meisten Provinzen Kanadas besteht zwar gesetzlicher
Schulzwang — er wird aber aus dem Lande nicht sehr streng durchgeführt
und es bedarf ausdrücklicher Abmachungen, um den Kindern ein entsprechendes
Quantum Schulweisheit zu sichern. Barnardo verlangt natürlich für seine
Kostkinder regelmäßigen Schulbesuch. Die meisten Vereine indessen fordern nur
einen halbjährlichen Schulbesuch. Geht ein Verein zur Forderung regelmäßigen
Schulbesuches während des ganzen Jahres über, so nimmt die Nachfrage nach
jüngeren schulpflichtigen Kindern sofort ab und alle verlangen solche, die der
Schulpflicht entwachsen sind.

Die Kontrolle über die Kinder unter achtzehn Jahren wird mittels alljähr¬
licher oder auch häufigerer Inspektion durch eine Vertrauensperson des Vereins
ausgeübt. Diese gesetzlich vorgeschriebene Inspektion von Vereins wegen geschieht
unabhängig von der Inspektion der englischen Poorlawkinder durch einen kana¬
dischen Regierungsbeamten. Der Regierungskontrolle unterstehen aber nicht nur
diese Poorlawkmder bis zu fünfzehn Jahren, sondern auch sämtliche Empfangs¬
heime. Zugleich hat der Regierungsbeamte aber auch das Recht (nur nicht die
Pflicht) jedes beliebige Pflegekind zu inspizieren.") Es gibt daher wohl auch
kaum bessere Kenner der Lage dieser Kinder in Kanada als diese Regierungs¬
beamten. Und wenn in ihrem jährlichen Bericht der Wert dieser Kinderein-



*) Was Inspektionsreisen in Kanada bedeuten, läßt sich ans der Tatsache erkennen,
daß Beamte um 1VS6 Kinder zu besuchen, 22 372 Meilen mit der Eisenbahn und 206ö Meilen
zu Pferd zurücklegen mußten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/136>, abgerufen am 28.12.2024.