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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Beethovens Weltanschauung

stößt, wie Bekker so schön ausführt, die Scheidewand zwischen Kirche und Welt
um, soweit sein Auge reicht ist seine Kirche. Er errichtet seinen Altar im
Mittelpunkt der Welt, im Sinne jenes idealen, über alle konfessionellen Schranken
erhabenen Christentums, das der Stifter desselben gemeint hatte, wenn er sagt:
wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten
unter ihnen.

Wie weit ist der Meister gleicherweise von dem flachen Rationalismus
und dem Deismus des achtzehnten Jahrhunderts entfernt! Wollen wir eine
bestimmte Formel sür Beethovens religiösen Standpunkt finden, so bezeichnen
wir ihn am besten als "transzendenten Pantheismus", wonach alles Gute,
Hohe, Wertvolle in der Welt göttlicher Natur, die menschliche Vernunft mit der
göttlichen wesensgleich, die Gottheit das absolute Ich Fichtes ist, welches
die empirischen Ichs als Organe benutzt, in den Individuen denkt und will,
soweit es sich um Gutes und Wahres handelt, aber als Allgemeinsubjekt über
sie hinausragt als ein Wesen von transzendenten Sein: "der alles in sich
Fassende, der Höchste", der ihn nie verlassen hat, gegen dessen Majestät
die irdische Größe das Zwerglein "Allerhöchst" in nichts zusammenschrumpft.
Und diesem zu gleichen bedeutet ihm das höchste Ziel persönlicher Sittlichkeit:
"Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen
nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschen¬
geschlecht verbreiten."

Damit ist aber auch die höchste praktische Forderung des kategorischen
Imperativs ausgesprochen. Wir stehen hier auf der Linie, auf welcher Re¬
ligiosität und Ethos sich vereinigen zu einem allgemeinen, über das Persönliche
hinausgehenden Ziele, ist doch Freiheit und Fortschritt Zweck der gesamten
Schöpfung: denn so gewiß beide höchstes individuelles Eigengut sind, so gewiß
verlangen sie keine Isolierung des Individuums, im Gegenteil erhalten sie erst
ihren praktischen Wert in dem Verhältnis der Individuen zueinander, und der
Gesellschaftsvertrag ist darum ein sittliches Postulat. Wie sich Beethoven zu
diesem stellt, dafür ist zunächst eine Stelle in seinem Tagebuche bezeichnend, die
er sich aus den Noten zum "Westöstlichen Divan" ausgeschrieben hat: "Be¬
scheidenheit ist immer mit Verstellung verknüpft und eine Art Schmeichelei, die
um desto wirksamer ist, als sie ohne Zudringlichkeit dem andern wohltut, indem
sie ihn in seinem behaglichen Selbstgefühl nicht irre macht. Alles aber, was
man gute Gesellschaft nennt, besteht in einer immer wachsenden Verneinung
seiner selbst, so daß die Sozietät zuletzt ganz Null wird." Daneben hat
Beethoven "neAc>" geschrieben und den letzten Satz überhaupt wieder aus¬
gestrichen, ein echt Beethovenscher Protest gegen die Verneinung des Rechtes der
Persönlichkeit und der Gesellschaft. Aber der einzelne darf sein Recht nicht zur
Geltung bringen auf Kosten der Allgemeinheit. Dem ersten Konsul, der
dem Chaos der französischen Revolution ein Ende gemacht hatte, wollte der
Meister seine dritte Sinfonie widmen, da kam die Nachricht, daß Napoleon


Beethovens Weltanschauung

stößt, wie Bekker so schön ausführt, die Scheidewand zwischen Kirche und Welt
um, soweit sein Auge reicht ist seine Kirche. Er errichtet seinen Altar im
Mittelpunkt der Welt, im Sinne jenes idealen, über alle konfessionellen Schranken
erhabenen Christentums, das der Stifter desselben gemeint hatte, wenn er sagt:
wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten
unter ihnen.

Wie weit ist der Meister gleicherweise von dem flachen Rationalismus
und dem Deismus des achtzehnten Jahrhunderts entfernt! Wollen wir eine
bestimmte Formel sür Beethovens religiösen Standpunkt finden, so bezeichnen
wir ihn am besten als „transzendenten Pantheismus", wonach alles Gute,
Hohe, Wertvolle in der Welt göttlicher Natur, die menschliche Vernunft mit der
göttlichen wesensgleich, die Gottheit das absolute Ich Fichtes ist, welches
die empirischen Ichs als Organe benutzt, in den Individuen denkt und will,
soweit es sich um Gutes und Wahres handelt, aber als Allgemeinsubjekt über
sie hinausragt als ein Wesen von transzendenten Sein: „der alles in sich
Fassende, der Höchste", der ihn nie verlassen hat, gegen dessen Majestät
die irdische Größe das Zwerglein „Allerhöchst" in nichts zusammenschrumpft.
Und diesem zu gleichen bedeutet ihm das höchste Ziel persönlicher Sittlichkeit:
„Höheres gibt es nichts, als der Gottheit sich mehr als andere Menschen
nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit unter das Menschen¬
geschlecht verbreiten."

Damit ist aber auch die höchste praktische Forderung des kategorischen
Imperativs ausgesprochen. Wir stehen hier auf der Linie, auf welcher Re¬
ligiosität und Ethos sich vereinigen zu einem allgemeinen, über das Persönliche
hinausgehenden Ziele, ist doch Freiheit und Fortschritt Zweck der gesamten
Schöpfung: denn so gewiß beide höchstes individuelles Eigengut sind, so gewiß
verlangen sie keine Isolierung des Individuums, im Gegenteil erhalten sie erst
ihren praktischen Wert in dem Verhältnis der Individuen zueinander, und der
Gesellschaftsvertrag ist darum ein sittliches Postulat. Wie sich Beethoven zu
diesem stellt, dafür ist zunächst eine Stelle in seinem Tagebuche bezeichnend, die
er sich aus den Noten zum „Westöstlichen Divan" ausgeschrieben hat: „Be¬
scheidenheit ist immer mit Verstellung verknüpft und eine Art Schmeichelei, die
um desto wirksamer ist, als sie ohne Zudringlichkeit dem andern wohltut, indem
sie ihn in seinem behaglichen Selbstgefühl nicht irre macht. Alles aber, was
man gute Gesellschaft nennt, besteht in einer immer wachsenden Verneinung
seiner selbst, so daß die Sozietät zuletzt ganz Null wird." Daneben hat
Beethoven „neAc>" geschrieben und den letzten Satz überhaupt wieder aus¬
gestrichen, ein echt Beethovenscher Protest gegen die Verneinung des Rechtes der
Persönlichkeit und der Gesellschaft. Aber der einzelne darf sein Recht nicht zur
Geltung bringen auf Kosten der Allgemeinheit. Dem ersten Konsul, der
dem Chaos der französischen Revolution ein Ende gemacht hatte, wollte der
Meister seine dritte Sinfonie widmen, da kam die Nachricht, daß Napoleon


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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/128>, abgerufen am 19.10.2024.