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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Beethovens Weltanschauung

Prinzip sein mußte: die Idee der Form. Und welche Form, so fragen wir
weiter, soll die Idee der Konstitution annehmen, was ist in ihr der gesetzgebende
Faktor? zu welchem Ziele soll sie den Menschen führen? Die Antwort läßt
er durch Kant geben: "das moralische Gesetz in uns, und der gestirnte Himmel
über uns." Das moralische Gesetz aber stellt praktische Forderungen, wie stellt
Beethoven sich zu diesen? Rückschauend müssen wir hier einen Blick auf seine
ganze Entwicklung werfen, da sie allein die Antwort auf jene Frage geben
kann. Herangewachsen in einer zum großen Teil freudlosen Jugend, ohne
rechte Erziehung und regelmäßige Bildung, mit zweiundzwanzig Jahren auf sich
selbst gestellt, begabt mit einem Übermaß von Temperament, in seinem Innern
von unerhörter Zartheit und Empfindungsfühigkeit. "ein lieb und leise gestimmter
Mensch", wie ein Urteil aus dem Bonner Freundeskreise ihn bezeichnet und seine
Briefe an Wegeler und Amenda ihn noch zeigen, so war er nach Wien ge¬
kommen, die Seele erfüllt von höchstem Idealismus und dem beseligenden
Bewußtsein der ständigen Zunahme seiner Geisteskräfte und der Annäherung an
ein Ziel, das er fühlt, aber nicht beschreiben kann. "Soviel will ich euch
sagen." schreibt er an seinen geliebten Jugendfreund Wegeler, "daß ihr mich
nur recht groß wieder sehen werdet; nicht als Künstler sollt ihr mich größer,
sondern auch als Menschen sollt ihr mich besser, vollkommener finden." Da
schnitt ihm "ein neidischer Dämon", der schon seit Jahren in seinem Gehör sich
eingenistet hatte, diesen Sinn entzwei und stieß ihn in die Einsamkeit.

Und nun beginnt jenes titanische Ringen mit dem gigantischen, ehernen
Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt, in
in dessen Verlauf Beethoven zur Heldengröße des Märtyrers emporwächst.

Zunächst freilich mußte die Erkenntnis der UnHeilbarkeit seines Leidens für
den Unglücklichen förmlich zerschmetternd sein -- man lese darauf hin nur ein¬
mal das ergreifende Heiligenstädter Testament. Ein gehörloser Musiker! Wenig
fehlte, und er endete selbst sein Leben. Aber der sittliche Imperativ, unter
dessen Gebot Beethoven steht, verbietet den Selbstmord unter allen Umständen,
solange noch eine gute Tat zu tun ist. Seine geliebte Kunst hält ihn davon
zurück. Und so entgeht er auch der bei seiner erblichen Belastung naheliegenden
Gefahr im Trunke Vergessenheit zu suchen oder bestenfalls in tatenlosem
Ouietismus zu verkümmern. Plutarch hat ihn zur Resignation geführt, dem
elenden Zufluchtsmittel, das ihm allein noch bleibt, aber Ruhe? "Nichts von
Ruhe! Ich weiß von keiner anderen als dem Schlaf, und wehe genug tut
mirs, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß als sonst." Wohl erwählt er sich
die Geduld zur Führerin, aber "Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor
anderen auszeichnen, sie ist auch die meinige", und in einem kühnen, seiner
Kraft würdigen Bilde drückt er den Entschluß seines ethischen Wollens aus:
"Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich
gewiß nicht." AIs er völlig erlaubt ist, klagt er auch nicht mehr, sondern stolz
ruft er dem Schicksal zu: "Zeige deine Gewalt! Wir sind nicht Herren über


Beethovens Weltanschauung

Prinzip sein mußte: die Idee der Form. Und welche Form, so fragen wir
weiter, soll die Idee der Konstitution annehmen, was ist in ihr der gesetzgebende
Faktor? zu welchem Ziele soll sie den Menschen führen? Die Antwort läßt
er durch Kant geben: „das moralische Gesetz in uns, und der gestirnte Himmel
über uns." Das moralische Gesetz aber stellt praktische Forderungen, wie stellt
Beethoven sich zu diesen? Rückschauend müssen wir hier einen Blick auf seine
ganze Entwicklung werfen, da sie allein die Antwort auf jene Frage geben
kann. Herangewachsen in einer zum großen Teil freudlosen Jugend, ohne
rechte Erziehung und regelmäßige Bildung, mit zweiundzwanzig Jahren auf sich
selbst gestellt, begabt mit einem Übermaß von Temperament, in seinem Innern
von unerhörter Zartheit und Empfindungsfühigkeit. „ein lieb und leise gestimmter
Mensch", wie ein Urteil aus dem Bonner Freundeskreise ihn bezeichnet und seine
Briefe an Wegeler und Amenda ihn noch zeigen, so war er nach Wien ge¬
kommen, die Seele erfüllt von höchstem Idealismus und dem beseligenden
Bewußtsein der ständigen Zunahme seiner Geisteskräfte und der Annäherung an
ein Ziel, das er fühlt, aber nicht beschreiben kann. „Soviel will ich euch
sagen." schreibt er an seinen geliebten Jugendfreund Wegeler, „daß ihr mich
nur recht groß wieder sehen werdet; nicht als Künstler sollt ihr mich größer,
sondern auch als Menschen sollt ihr mich besser, vollkommener finden." Da
schnitt ihm „ein neidischer Dämon", der schon seit Jahren in seinem Gehör sich
eingenistet hatte, diesen Sinn entzwei und stieß ihn in die Einsamkeit.

Und nun beginnt jenes titanische Ringen mit dem gigantischen, ehernen
Schicksal, welches den Menschen erhebt, wenn es den Menschen zermalmt, in
in dessen Verlauf Beethoven zur Heldengröße des Märtyrers emporwächst.

Zunächst freilich mußte die Erkenntnis der UnHeilbarkeit seines Leidens für
den Unglücklichen förmlich zerschmetternd sein — man lese darauf hin nur ein¬
mal das ergreifende Heiligenstädter Testament. Ein gehörloser Musiker! Wenig
fehlte, und er endete selbst sein Leben. Aber der sittliche Imperativ, unter
dessen Gebot Beethoven steht, verbietet den Selbstmord unter allen Umständen,
solange noch eine gute Tat zu tun ist. Seine geliebte Kunst hält ihn davon
zurück. Und so entgeht er auch der bei seiner erblichen Belastung naheliegenden
Gefahr im Trunke Vergessenheit zu suchen oder bestenfalls in tatenlosem
Ouietismus zu verkümmern. Plutarch hat ihn zur Resignation geführt, dem
elenden Zufluchtsmittel, das ihm allein noch bleibt, aber Ruhe? „Nichts von
Ruhe! Ich weiß von keiner anderen als dem Schlaf, und wehe genug tut
mirs, daß ich ihm jetzt mehr schenken muß als sonst." Wohl erwählt er sich
die Geduld zur Führerin, aber „Kraft ist die Moral der Menschen, die sich vor
anderen auszeichnen, sie ist auch die meinige", und in einem kühnen, seiner
Kraft würdigen Bilde drückt er den Entschluß seines ethischen Wollens aus:
„Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen, ganz niederbeugen soll es mich
gewiß nicht." AIs er völlig erlaubt ist, klagt er auch nicht mehr, sondern stolz
ruft er dem Schicksal zu: „Zeige deine Gewalt! Wir sind nicht Herren über


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/124>, abgerufen am 19.10.2024.