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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Beethovens Weltanschauung

der sich nur in den Mitteln vergreift. Es gibt eben keinen genialischer Menschen,
der nicht Nachsicht verdiente, und nur eine mit tiefer schürfender Sonde unter¬
suchende Psychiatrie dürfte den Irrungen einer so komplizierten Künstlernatur,
die körperlich fortwährend von schweren Leiden geplagt wurde, gerecht werden:
wir können uns hier an dem Worte Schopenhauers genügen lassen, daß groß
überhaupt nur der sei, der bei seinem Wirken nicht seine Sache suche, sondern
einen objektiven Zweck verfolge, selbst dann, wenn im Praktischen dieser Zweck
mißverstanden, ja sogar infolgedessen ein Verbrechen sein sollte; "daß er nicht
sich und seine Sache sucht, dies macht ihn unter allen Umständen groß*)."
Und was Beethoven suchte, das hat er uns in ewig gültiger Form in seinen
Tondichtungen offenbart, in deren Erläuterung Bekker die Ideale der
Beethovenschen Geisteswelt in plastischer Klarheit herausmeißelt. Indes
auch die Briefe des Meisters, seine Tagebuchblätter eröffnen uns den
Zugang zu ihr, so daß wir rein begrifflich auf umgekehrtem Wege
zu seiner Weltanschauung und damit zu einem vollen Verständnis
seiner Werke vordringen können. Beethoven hätte nicht der scharfsinnige
Denker sein müssen, als der er sich in seiner Dichtung bewährt, wenn er nicht
hätte versuchen sollen auf seine Weise sich auch begrifflich mit der Erscheinungswelt
und, dem Verhältnis der Menschen zu ihr sowohl wie zu dem Metaphysischen
auseinander zu setzen. Wie er sich seiner Schwächen bewußt ist -- "Mensch¬
licher, ernster wird die Fremde dich machen" notiert er sich, als er den Plan
faßt zu reisen --. so kennt er überhaupt den Zwiespalt der menschlichen Natur,
er weiß, daß wir "Endliche sind mit unendlichem Geist" und wenn ihm auch
das "geistige Reich das liebste ist und die oberste aller geistlichen und weltlichen
Monarchien," so fühlt er, daß das Irdische uns immer wieder hinabzieht, "unend¬
lich ist unser Streben, endlich macht die Gemeinheit alles". Und da er sich von
Kindheit an bestrebt hat, den Sinn der Besseren und Weisen jedes Zeitalters
zu erfassen, wendet er sich an seine ältesten Freunde: Homer, Plato, Xenophon,
Plutarch; auch ihm gewährt die unversiegbar sprudelnde Quelle der antiken
Literatur Erhebung. Befreiung. Festigung; Shakespeare. Schiller. Goethe und
Kant helfen ihm dann den Bau seiner Weltanschauung vollenden. Da nun
einmal Leben irren heißt und die Schwachheiten der Natur durch die Natur
selbst gegeben sind, so soll die Herrscherin Vernunft durch ihre Stärke sie leiten
und zu vernnndern suchen. Man muß nicht, schreibt er im Tagebuch, durch
die Armut sich wider den Verlust des Reichtums schützen, noch durch den Mangel
an Freundschaft wider den Verlust der Freunde, noch durch Enthaltung vom
Kinderzeugen wider den Tod der Kinder, sondern durch die Vernunft wider
alles, denn wie der Staat eine Konstitution haben muß, so der einzelne Mensch
für sich selber eine. Wir werden dieser Bemerkung besondere Beachtung schenken,
da sie uns das verrät, was in ihm als gestaltenden Künstler das gesetzgebende



*) "Die Welt als Wille und Vorstellung" II, Kapitel 3t.
Beethovens Weltanschauung

der sich nur in den Mitteln vergreift. Es gibt eben keinen genialischer Menschen,
der nicht Nachsicht verdiente, und nur eine mit tiefer schürfender Sonde unter¬
suchende Psychiatrie dürfte den Irrungen einer so komplizierten Künstlernatur,
die körperlich fortwährend von schweren Leiden geplagt wurde, gerecht werden:
wir können uns hier an dem Worte Schopenhauers genügen lassen, daß groß
überhaupt nur der sei, der bei seinem Wirken nicht seine Sache suche, sondern
einen objektiven Zweck verfolge, selbst dann, wenn im Praktischen dieser Zweck
mißverstanden, ja sogar infolgedessen ein Verbrechen sein sollte; „daß er nicht
sich und seine Sache sucht, dies macht ihn unter allen Umständen groß*)."
Und was Beethoven suchte, das hat er uns in ewig gültiger Form in seinen
Tondichtungen offenbart, in deren Erläuterung Bekker die Ideale der
Beethovenschen Geisteswelt in plastischer Klarheit herausmeißelt. Indes
auch die Briefe des Meisters, seine Tagebuchblätter eröffnen uns den
Zugang zu ihr, so daß wir rein begrifflich auf umgekehrtem Wege
zu seiner Weltanschauung und damit zu einem vollen Verständnis
seiner Werke vordringen können. Beethoven hätte nicht der scharfsinnige
Denker sein müssen, als der er sich in seiner Dichtung bewährt, wenn er nicht
hätte versuchen sollen auf seine Weise sich auch begrifflich mit der Erscheinungswelt
und, dem Verhältnis der Menschen zu ihr sowohl wie zu dem Metaphysischen
auseinander zu setzen. Wie er sich seiner Schwächen bewußt ist — „Mensch¬
licher, ernster wird die Fremde dich machen" notiert er sich, als er den Plan
faßt zu reisen —. so kennt er überhaupt den Zwiespalt der menschlichen Natur,
er weiß, daß wir „Endliche sind mit unendlichem Geist" und wenn ihm auch
das „geistige Reich das liebste ist und die oberste aller geistlichen und weltlichen
Monarchien," so fühlt er, daß das Irdische uns immer wieder hinabzieht, „unend¬
lich ist unser Streben, endlich macht die Gemeinheit alles". Und da er sich von
Kindheit an bestrebt hat, den Sinn der Besseren und Weisen jedes Zeitalters
zu erfassen, wendet er sich an seine ältesten Freunde: Homer, Plato, Xenophon,
Plutarch; auch ihm gewährt die unversiegbar sprudelnde Quelle der antiken
Literatur Erhebung. Befreiung. Festigung; Shakespeare. Schiller. Goethe und
Kant helfen ihm dann den Bau seiner Weltanschauung vollenden. Da nun
einmal Leben irren heißt und die Schwachheiten der Natur durch die Natur
selbst gegeben sind, so soll die Herrscherin Vernunft durch ihre Stärke sie leiten
und zu vernnndern suchen. Man muß nicht, schreibt er im Tagebuch, durch
die Armut sich wider den Verlust des Reichtums schützen, noch durch den Mangel
an Freundschaft wider den Verlust der Freunde, noch durch Enthaltung vom
Kinderzeugen wider den Tod der Kinder, sondern durch die Vernunft wider
alles, denn wie der Staat eine Konstitution haben muß, so der einzelne Mensch
für sich selber eine. Wir werden dieser Bemerkung besondere Beachtung schenken,
da sie uns das verrät, was in ihm als gestaltenden Künstler das gesetzgebende



*) „Die Welt als Wille und Vorstellung" II, Kapitel 3t.
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[0123] Beethovens Weltanschauung der sich nur in den Mitteln vergreift. Es gibt eben keinen genialischer Menschen, der nicht Nachsicht verdiente, und nur eine mit tiefer schürfender Sonde unter¬ suchende Psychiatrie dürfte den Irrungen einer so komplizierten Künstlernatur, die körperlich fortwährend von schweren Leiden geplagt wurde, gerecht werden: wir können uns hier an dem Worte Schopenhauers genügen lassen, daß groß überhaupt nur der sei, der bei seinem Wirken nicht seine Sache suche, sondern einen objektiven Zweck verfolge, selbst dann, wenn im Praktischen dieser Zweck mißverstanden, ja sogar infolgedessen ein Verbrechen sein sollte; „daß er nicht sich und seine Sache sucht, dies macht ihn unter allen Umständen groß*)." Und was Beethoven suchte, das hat er uns in ewig gültiger Form in seinen Tondichtungen offenbart, in deren Erläuterung Bekker die Ideale der Beethovenschen Geisteswelt in plastischer Klarheit herausmeißelt. Indes auch die Briefe des Meisters, seine Tagebuchblätter eröffnen uns den Zugang zu ihr, so daß wir rein begrifflich auf umgekehrtem Wege zu seiner Weltanschauung und damit zu einem vollen Verständnis seiner Werke vordringen können. Beethoven hätte nicht der scharfsinnige Denker sein müssen, als der er sich in seiner Dichtung bewährt, wenn er nicht hätte versuchen sollen auf seine Weise sich auch begrifflich mit der Erscheinungswelt und, dem Verhältnis der Menschen zu ihr sowohl wie zu dem Metaphysischen auseinander zu setzen. Wie er sich seiner Schwächen bewußt ist — „Mensch¬ licher, ernster wird die Fremde dich machen" notiert er sich, als er den Plan faßt zu reisen —. so kennt er überhaupt den Zwiespalt der menschlichen Natur, er weiß, daß wir „Endliche sind mit unendlichem Geist" und wenn ihm auch das „geistige Reich das liebste ist und die oberste aller geistlichen und weltlichen Monarchien," so fühlt er, daß das Irdische uns immer wieder hinabzieht, „unend¬ lich ist unser Streben, endlich macht die Gemeinheit alles". Und da er sich von Kindheit an bestrebt hat, den Sinn der Besseren und Weisen jedes Zeitalters zu erfassen, wendet er sich an seine ältesten Freunde: Homer, Plato, Xenophon, Plutarch; auch ihm gewährt die unversiegbar sprudelnde Quelle der antiken Literatur Erhebung. Befreiung. Festigung; Shakespeare. Schiller. Goethe und Kant helfen ihm dann den Bau seiner Weltanschauung vollenden. Da nun einmal Leben irren heißt und die Schwachheiten der Natur durch die Natur selbst gegeben sind, so soll die Herrscherin Vernunft durch ihre Stärke sie leiten und zu vernnndern suchen. Man muß nicht, schreibt er im Tagebuch, durch die Armut sich wider den Verlust des Reichtums schützen, noch durch den Mangel an Freundschaft wider den Verlust der Freunde, noch durch Enthaltung vom Kinderzeugen wider den Tod der Kinder, sondern durch die Vernunft wider alles, denn wie der Staat eine Konstitution haben muß, so der einzelne Mensch für sich selber eine. Wir werden dieser Bemerkung besondere Beachtung schenken, da sie uns das verrät, was in ihm als gestaltenden Künstler das gesetzgebende *) „Die Welt als Wille und Vorstellung" II, Kapitel 3t.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/123>, abgerufen am 19.10.2024.