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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

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Reichstag und Reichsfinanzen

sondern auch sonst in weiten Kreisen der Gebildeten Wurzel gefaßt haben, --
nicht selten in einem höheren Grade, als die Beteiligten selbst wissen und zu¬
geben. Selbst da, wo die Einsicht besteht, daß wir ohne umfassend aufgebaute
Verbrauchssteuern nicht auskommen können, fordert man heute, daß diese Be¬
lastung ein gewisses Gegenwinde erhält durch eine Besteuerung, die den An¬
schauungen der breiten Massen über steuerpolitische Gerechtigkeit einigermaßen
entspricht, d. h. die nicht gewisse Gebrauchsartikel oder wirtschaftliche Vorgänge
erfaßt, auch nicht gewisse Arten und Formen des Besitzes, sondern den Besitz
nach seiner Verteilung d. h. nach dem Umfange, in dem er sich in der Hand
einzelner Personen befindet. Mit anderen Worten: der Durchschnitt unserer
Bevölkerung hält es für richtig, daß der reiche Mann stärker zu den Lasten für
das Gemeinwohl herangezogen wird als der arme. Daß auch dieses Prinzip
ebenso seine Grenze hat, wo es aufhört vernünftig und gerecht zu sein und wo
es den gemeinsamen Interessen des Ganzen schadet, das ist für den einiger¬
maßen kundigen Beurteiler volkswirtschaftlicher Dinge selbstverständlich. Das
ist aber nur ein Beweis mehr, daß wir beides nicht entbehren können: Verbrauchs¬
und Besitzsteuern in rechter Mischung. Daß dieser Erkenntnis auch die Praxis
entspricht, braucht ja nur erwähnt zu werden. Auch Bismarck ist es nicht ge¬
lungen, die direkten Steuern zu beseitigen, und es wird auch den Vertretern
des wirtschaftspolitischen Gegenpols niemals gelingen, die indirekten Steuern
abzuschaffen. Zugleich sehen wir daraus, daß es uns ohnehin unmöglich ist,
unser Steuerideal auf die Bismarcksche Autorität zu gründen. Es ist Zeit,
daß wir das offen eingestehen -- trotz des vielleicht oder wahrscheinlich ge¬
äußerten Entsetzens derjenigen, die sich eine Mühe sparen zu können glauben,
wenn sie die Autorität Bismarcks an Stelle eines Beweises ins Feld führen.

Nun wird freilich trotzdem behauptet werden, daß -- ganz abgesehen von
Bismarcks persönlicher Meinung -- die Geschichte der deutschen Neichsfinanzen
deutlich zeige, wie sich der Grundsatz: "Dem Reich die indirekten, den Einzel¬
staaten die direkten Steuern" als einzig mögliche Lösung in der Praxis von
selbst entwickelt habe. Man braucht dabei gar nicht an theoretische Meinungen
über den Wert der verschiedenen Steuerarten zu denken; die Teilung sei einfach
praktisch notwendig und sei vorgenommen worden, wie das Bedürfnis es ergeben
habe. Das ist richtig. Aber dabei spielen andere Gründe mit, die nicht richtig
zu verstehen sind, wenn man sich nicht vorher das klar macht, was wir hinsicht¬
lich der Stellung Bismarcks und des Wertes und der Bedeutung der beiden
Steuerarten soeben erörtert haben. Es handelt sich dabei eigentlich überhaupt
gar nicht um die Steuerfragen selbst, sondern um die Aufrechterhaltung der
staatsrechtlichen Eigenart des Deutschen Reiches, um das Verhältnis zwischen
Reich und Einzelstaaten. Darüber zunächst nur einige Worte.




Reichstag und Reichsfinanzen

sondern auch sonst in weiten Kreisen der Gebildeten Wurzel gefaßt haben, —
nicht selten in einem höheren Grade, als die Beteiligten selbst wissen und zu¬
geben. Selbst da, wo die Einsicht besteht, daß wir ohne umfassend aufgebaute
Verbrauchssteuern nicht auskommen können, fordert man heute, daß diese Be¬
lastung ein gewisses Gegenwinde erhält durch eine Besteuerung, die den An¬
schauungen der breiten Massen über steuerpolitische Gerechtigkeit einigermaßen
entspricht, d. h. die nicht gewisse Gebrauchsartikel oder wirtschaftliche Vorgänge
erfaßt, auch nicht gewisse Arten und Formen des Besitzes, sondern den Besitz
nach seiner Verteilung d. h. nach dem Umfange, in dem er sich in der Hand
einzelner Personen befindet. Mit anderen Worten: der Durchschnitt unserer
Bevölkerung hält es für richtig, daß der reiche Mann stärker zu den Lasten für
das Gemeinwohl herangezogen wird als der arme. Daß auch dieses Prinzip
ebenso seine Grenze hat, wo es aufhört vernünftig und gerecht zu sein und wo
es den gemeinsamen Interessen des Ganzen schadet, das ist für den einiger¬
maßen kundigen Beurteiler volkswirtschaftlicher Dinge selbstverständlich. Das
ist aber nur ein Beweis mehr, daß wir beides nicht entbehren können: Verbrauchs¬
und Besitzsteuern in rechter Mischung. Daß dieser Erkenntnis auch die Praxis
entspricht, braucht ja nur erwähnt zu werden. Auch Bismarck ist es nicht ge¬
lungen, die direkten Steuern zu beseitigen, und es wird auch den Vertretern
des wirtschaftspolitischen Gegenpols niemals gelingen, die indirekten Steuern
abzuschaffen. Zugleich sehen wir daraus, daß es uns ohnehin unmöglich ist,
unser Steuerideal auf die Bismarcksche Autorität zu gründen. Es ist Zeit,
daß wir das offen eingestehen — trotz des vielleicht oder wahrscheinlich ge¬
äußerten Entsetzens derjenigen, die sich eine Mühe sparen zu können glauben,
wenn sie die Autorität Bismarcks an Stelle eines Beweises ins Feld führen.

Nun wird freilich trotzdem behauptet werden, daß — ganz abgesehen von
Bismarcks persönlicher Meinung — die Geschichte der deutschen Neichsfinanzen
deutlich zeige, wie sich der Grundsatz: „Dem Reich die indirekten, den Einzel¬
staaten die direkten Steuern" als einzig mögliche Lösung in der Praxis von
selbst entwickelt habe. Man braucht dabei gar nicht an theoretische Meinungen
über den Wert der verschiedenen Steuerarten zu denken; die Teilung sei einfach
praktisch notwendig und sei vorgenommen worden, wie das Bedürfnis es ergeben
habe. Das ist richtig. Aber dabei spielen andere Gründe mit, die nicht richtig
zu verstehen sind, wenn man sich nicht vorher das klar macht, was wir hinsicht¬
lich der Stellung Bismarcks und des Wertes und der Bedeutung der beiden
Steuerarten soeben erörtert haben. Es handelt sich dabei eigentlich überhaupt
gar nicht um die Steuerfragen selbst, sondern um die Aufrechterhaltung der
staatsrechtlichen Eigenart des Deutschen Reiches, um das Verhältnis zwischen
Reich und Einzelstaaten. Darüber zunächst nur einige Worte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/115>, abgerufen am 28.12.2024.