Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reichstag und Reichsfinaiizcn

über kurz oder lang den Bedarf nicht decken würden, versuchte Bismarck das
Tabakmonopol durchzudrücken -- bekanntlich ohne Erfolg. Man erkennt aber
aus dem allen, daß er stets von der Überzeugung ausging, das Reich müsse
finanziell auf eigene Füße gestellt werden, und daß er dabei zunächst immer
an die Steuerquellen dachte, die er für die allein richtigen hielt. Von einen:
bewußten Prinzip der Trennung der verschiedenen Steuerarten für Reich und
Einzelstaaten war bei ihm nicht die Rede. Hätte er dergleichen gewollt, fo
hätte er es in der Verfassung zum Ausdruck gebracht, und er hätte sich energisch
dagegen gewehrt, daß der konstituierende Reichstag die Einführung direkter
Reichssteuern ausdrücklich offenhielt. Aber er konnte ja damals gar nicht auf
den Gedanken kommen, daß einmal triftige Gründe bestehen würden, auch im
Reich neben den indirekten Steuern direkte zu fordern.




Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß das deutsche Volk in seiner
Gesamtheit sich die Auffassung Bismarcks von den indirekten Steuern nicht zu
eigen gemacht hat. Man mag das richtig oder falsch finden, aber man wird
sich damit abfinden müssen. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen das
Verhältnis der Volksmassen zum Staat, die wirtschaftlichen Beziehungen und
manches andere. Die Auseinandersetzung, daß die indirekten Steuern oder --
wie wir nun nach präziserer Gestaltung der alten, mißverständlich gewordenen
Ausdrücke sagen müssen -- die Verbrauchssteuern eigentlich die gerechteren, ver¬
nünftigeren und bequnneren seien, hat keine Wirkung mehr. Der Mann aus
dem Volk will sich nicht überzeugen lassen, daß es richtig ist, den armen Mann
von dem gleichen Verbrauchsquantum dieselben Lasten tragen zu lassen wie den
reichen. Gerade weil die Verteuerung, die der Steueraufschlag bei einem Ver¬
brauchsartikel verursacht, nur gering sein darf, muß die Verbrauchssteuer immer
wieder die Artikel des Massenkonsums suchen, und da es die allernotwendigsten
Lebensmittel nicht sein können, so sind es natürlich immer Bier, Wein, Brannt¬
wein, Tabak, auf die der Gesetzgeber zurückkommt. Dadurch werden aber
wieder verbreitete und besonders gut organisierte Jndustrieinteressen berührt,
und dementsprechend ist alles danach angetan, immer eine starke und erfolg¬
reiche Agitation gegen diese Form der Besteuerung in Gang zu halten.

Es ist nicht nötig, die Verhältnisse im einzelnen auszuführen und allen
Gründen nachzugehen. Worauf es hier ankommt, ist der auf seine Richtigkeit
leicht nachzuprüfende Hinweis, daß in diesen Steuerfragcn die Anschauungen
unserer Zeit erheblich von denen abweichen, die Bismarck noch unter voller
Zustimmung seiner Generation verteidigen konnte. Es ist aber nicht mehr
möglich, Anschauungen aufrecht zu erhalten, die zwar, ganz nüchtern und
praktisch betrachtet, empfehlenswert erscheinen, aber im Widerspruch stehen mit
den sozialen Auffassungen, die nicht nur die unteren Volksschichten beherrschen,


Reichstag und Reichsfinaiizcn

über kurz oder lang den Bedarf nicht decken würden, versuchte Bismarck das
Tabakmonopol durchzudrücken — bekanntlich ohne Erfolg. Man erkennt aber
aus dem allen, daß er stets von der Überzeugung ausging, das Reich müsse
finanziell auf eigene Füße gestellt werden, und daß er dabei zunächst immer
an die Steuerquellen dachte, die er für die allein richtigen hielt. Von einen:
bewußten Prinzip der Trennung der verschiedenen Steuerarten für Reich und
Einzelstaaten war bei ihm nicht die Rede. Hätte er dergleichen gewollt, fo
hätte er es in der Verfassung zum Ausdruck gebracht, und er hätte sich energisch
dagegen gewehrt, daß der konstituierende Reichstag die Einführung direkter
Reichssteuern ausdrücklich offenhielt. Aber er konnte ja damals gar nicht auf
den Gedanken kommen, daß einmal triftige Gründe bestehen würden, auch im
Reich neben den indirekten Steuern direkte zu fordern.




Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß das deutsche Volk in seiner
Gesamtheit sich die Auffassung Bismarcks von den indirekten Steuern nicht zu
eigen gemacht hat. Man mag das richtig oder falsch finden, aber man wird
sich damit abfinden müssen. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen das
Verhältnis der Volksmassen zum Staat, die wirtschaftlichen Beziehungen und
manches andere. Die Auseinandersetzung, daß die indirekten Steuern oder —
wie wir nun nach präziserer Gestaltung der alten, mißverständlich gewordenen
Ausdrücke sagen müssen — die Verbrauchssteuern eigentlich die gerechteren, ver¬
nünftigeren und bequnneren seien, hat keine Wirkung mehr. Der Mann aus
dem Volk will sich nicht überzeugen lassen, daß es richtig ist, den armen Mann
von dem gleichen Verbrauchsquantum dieselben Lasten tragen zu lassen wie den
reichen. Gerade weil die Verteuerung, die der Steueraufschlag bei einem Ver¬
brauchsartikel verursacht, nur gering sein darf, muß die Verbrauchssteuer immer
wieder die Artikel des Massenkonsums suchen, und da es die allernotwendigsten
Lebensmittel nicht sein können, so sind es natürlich immer Bier, Wein, Brannt¬
wein, Tabak, auf die der Gesetzgeber zurückkommt. Dadurch werden aber
wieder verbreitete und besonders gut organisierte Jndustrieinteressen berührt,
und dementsprechend ist alles danach angetan, immer eine starke und erfolg¬
reiche Agitation gegen diese Form der Besteuerung in Gang zu halten.

Es ist nicht nötig, die Verhältnisse im einzelnen auszuführen und allen
Gründen nachzugehen. Worauf es hier ankommt, ist der auf seine Richtigkeit
leicht nachzuprüfende Hinweis, daß in diesen Steuerfragcn die Anschauungen
unserer Zeit erheblich von denen abweichen, die Bismarck noch unter voller
Zustimmung seiner Generation verteidigen konnte. Es ist aber nicht mehr
möglich, Anschauungen aufrecht zu erhalten, die zwar, ganz nüchtern und
praktisch betrachtet, empfehlenswert erscheinen, aber im Widerspruch stehen mit
den sozialen Auffassungen, die nicht nur die unteren Volksschichten beherrschen,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326284"/>
          <fw type="header" place="top"> Reichstag und Reichsfinaiizcn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_525" prev="#ID_524"> über kurz oder lang den Bedarf nicht decken würden, versuchte Bismarck das<lb/>
Tabakmonopol durchzudrücken &#x2014; bekanntlich ohne Erfolg. Man erkennt aber<lb/>
aus dem allen, daß er stets von der Überzeugung ausging, das Reich müsse<lb/>
finanziell auf eigene Füße gestellt werden, und daß er dabei zunächst immer<lb/>
an die Steuerquellen dachte, die er für die allein richtigen hielt. Von einen:<lb/>
bewußten Prinzip der Trennung der verschiedenen Steuerarten für Reich und<lb/>
Einzelstaaten war bei ihm nicht die Rede. Hätte er dergleichen gewollt, fo<lb/>
hätte er es in der Verfassung zum Ausdruck gebracht, und er hätte sich energisch<lb/>
dagegen gewehrt, daß der konstituierende Reichstag die Einführung direkter<lb/>
Reichssteuern ausdrücklich offenhielt. Aber er konnte ja damals gar nicht auf<lb/>
den Gedanken kommen, daß einmal triftige Gründe bestehen würden, auch im<lb/>
Reich neben den indirekten Steuern direkte zu fordern.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_526"> Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß das deutsche Volk in seiner<lb/>
Gesamtheit sich die Auffassung Bismarcks von den indirekten Steuern nicht zu<lb/>
eigen gemacht hat. Man mag das richtig oder falsch finden, aber man wird<lb/>
sich damit abfinden müssen. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen das<lb/>
Verhältnis der Volksmassen zum Staat, die wirtschaftlichen Beziehungen und<lb/>
manches andere. Die Auseinandersetzung, daß die indirekten Steuern oder &#x2014;<lb/>
wie wir nun nach präziserer Gestaltung der alten, mißverständlich gewordenen<lb/>
Ausdrücke sagen müssen &#x2014; die Verbrauchssteuern eigentlich die gerechteren, ver¬<lb/>
nünftigeren und bequnneren seien, hat keine Wirkung mehr. Der Mann aus<lb/>
dem Volk will sich nicht überzeugen lassen, daß es richtig ist, den armen Mann<lb/>
von dem gleichen Verbrauchsquantum dieselben Lasten tragen zu lassen wie den<lb/>
reichen. Gerade weil die Verteuerung, die der Steueraufschlag bei einem Ver¬<lb/>
brauchsartikel verursacht, nur gering sein darf, muß die Verbrauchssteuer immer<lb/>
wieder die Artikel des Massenkonsums suchen, und da es die allernotwendigsten<lb/>
Lebensmittel nicht sein können, so sind es natürlich immer Bier, Wein, Brannt¬<lb/>
wein, Tabak, auf die der Gesetzgeber zurückkommt. Dadurch werden aber<lb/>
wieder verbreitete und besonders gut organisierte Jndustrieinteressen berührt,<lb/>
und dementsprechend ist alles danach angetan, immer eine starke und erfolg¬<lb/>
reiche Agitation gegen diese Form der Besteuerung in Gang zu halten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_527" next="#ID_528"> Es ist nicht nötig, die Verhältnisse im einzelnen auszuführen und allen<lb/>
Gründen nachzugehen. Worauf es hier ankommt, ist der auf seine Richtigkeit<lb/>
leicht nachzuprüfende Hinweis, daß in diesen Steuerfragcn die Anschauungen<lb/>
unserer Zeit erheblich von denen abweichen, die Bismarck noch unter voller<lb/>
Zustimmung seiner Generation verteidigen konnte. Es ist aber nicht mehr<lb/>
möglich, Anschauungen aufrecht zu erhalten, die zwar, ganz nüchtern und<lb/>
praktisch betrachtet, empfehlenswert erscheinen, aber im Widerspruch stehen mit<lb/>
den sozialen Auffassungen, die nicht nur die unteren Volksschichten beherrschen,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0114] Reichstag und Reichsfinaiizcn über kurz oder lang den Bedarf nicht decken würden, versuchte Bismarck das Tabakmonopol durchzudrücken — bekanntlich ohne Erfolg. Man erkennt aber aus dem allen, daß er stets von der Überzeugung ausging, das Reich müsse finanziell auf eigene Füße gestellt werden, und daß er dabei zunächst immer an die Steuerquellen dachte, die er für die allein richtigen hielt. Von einen: bewußten Prinzip der Trennung der verschiedenen Steuerarten für Reich und Einzelstaaten war bei ihm nicht die Rede. Hätte er dergleichen gewollt, fo hätte er es in der Verfassung zum Ausdruck gebracht, und er hätte sich energisch dagegen gewehrt, daß der konstituierende Reichstag die Einführung direkter Reichssteuern ausdrücklich offenhielt. Aber er konnte ja damals gar nicht auf den Gedanken kommen, daß einmal triftige Gründe bestehen würden, auch im Reich neben den indirekten Steuern direkte zu fordern. Es ist nun einmal nicht zu leugnen, daß das deutsche Volk in seiner Gesamtheit sich die Auffassung Bismarcks von den indirekten Steuern nicht zu eigen gemacht hat. Man mag das richtig oder falsch finden, aber man wird sich damit abfinden müssen. Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen das Verhältnis der Volksmassen zum Staat, die wirtschaftlichen Beziehungen und manches andere. Die Auseinandersetzung, daß die indirekten Steuern oder — wie wir nun nach präziserer Gestaltung der alten, mißverständlich gewordenen Ausdrücke sagen müssen — die Verbrauchssteuern eigentlich die gerechteren, ver¬ nünftigeren und bequnneren seien, hat keine Wirkung mehr. Der Mann aus dem Volk will sich nicht überzeugen lassen, daß es richtig ist, den armen Mann von dem gleichen Verbrauchsquantum dieselben Lasten tragen zu lassen wie den reichen. Gerade weil die Verteuerung, die der Steueraufschlag bei einem Ver¬ brauchsartikel verursacht, nur gering sein darf, muß die Verbrauchssteuer immer wieder die Artikel des Massenkonsums suchen, und da es die allernotwendigsten Lebensmittel nicht sein können, so sind es natürlich immer Bier, Wein, Brannt¬ wein, Tabak, auf die der Gesetzgeber zurückkommt. Dadurch werden aber wieder verbreitete und besonders gut organisierte Jndustrieinteressen berührt, und dementsprechend ist alles danach angetan, immer eine starke und erfolg¬ reiche Agitation gegen diese Form der Besteuerung in Gang zu halten. Es ist nicht nötig, die Verhältnisse im einzelnen auszuführen und allen Gründen nachzugehen. Worauf es hier ankommt, ist der auf seine Richtigkeit leicht nachzuprüfende Hinweis, daß in diesen Steuerfragcn die Anschauungen unserer Zeit erheblich von denen abweichen, die Bismarck noch unter voller Zustimmung seiner Generation verteidigen konnte. Es ist aber nicht mehr möglich, Anschauungen aufrecht zu erhalten, die zwar, ganz nüchtern und praktisch betrachtet, empfehlenswert erscheinen, aber im Widerspruch stehen mit den sozialen Auffassungen, die nicht nur die unteren Volksschichten beherrschen,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/114
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_326169/114>, abgerufen am 28.12.2024.