Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Rodia

' Der Weg weidete sich, die ersten Hütten tauchten zwischen den Bäumen auf.
Ich bog in die Hauptstraße ein, zu deren Seiten die Häuser sich erhoben, von
Palmen und Obstbäumen licht beschattet. Vor den Auslagen der Händler
standen die Leute, um ihre Einkäufe zu Machen, andere begegneten mir auf der
Straße und grüßten mich, die Hand an der Stirn.

Nun stand ich vor meinem Ziel, Widschajas Elternhaus. Schon von
weitem hatte ich den Vater meines singhalesischen Freundes erkannt. Er schien
nicht wohl zu sein, denn er lag auf seinem Mattengestell, das er sich unter das
vorspringende Dach hatte herauftragen lassen. Als er mich kommen sah. erhob
sich der Mann, eine hohe Gestalt mit schönem schwarzem Bart, der weit über
die bloße Brust herabwallte. Erstaunt blickte er mich an, den er ohne seinen
Sohn herantreten sah.

"Dein Sohn läßt dich grüßen," fing ich an, "er kann heute nicht zu dir
kommen. Ein Ereignis hat in sein Leben eingegriffen. Er will noch in der
Stille nachsinnen, ob er den Folgen begegnen oder sie auf sich nehmen soll.
Auch du sollst deine Ansicht sagen, darum bin ich gekommen."

Er wurde unruhig. "Was ist mit meinem Sohne, was konnte ihm zu¬
stoßen, er ist doch gesund?"

"Er ist gesund," antwortete ich. "aber nach euren Begriffen ist das, was
ihn getroffen hat. nicht weniger schlimm, als Krankheit."

Seine Augen weideten sich, doch ich sah, wie er seine Aufregung meisterte.
Ich begann zu erzählen. Wie ich aber an die Begegnung mit dem Mädchen
kam, an ihr Zurseiteweichen und ihre Rettung, stieg ihm das Blut zu Kopf.
Sein Gesicht wurde ganz dunkel, stiere Augen sahen mich an. Und als ich schloß:
"Aus gutem Herzen hat er einen Menschen gerettet, die Tat bleibt edel, trotz¬
dem es eine Rodia ist," da sprang er auf, ballte die Fäuste, schrie: "Unrein,
unrein, mein Sohn unrein," und sank zusammen, schluchzte und stöhnte.

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach beruhigend auf ihn
ein, denn bereits begann sich Volk um uns zu sammeln. Er hörte lange nichts,
plötzlich aber blickte er auf, sah die Leute stehen, sprang wie ein Rasender in
die Höhe und schrie ihnen ins Gesicht: "Widschaja, euer Königssproß ist
Schmutz, verächtlicher als der Straßenkot. Ein Rodia ist er geworden."

Da wurde das Murmeln der Dorfbewohner zum Schreien, sie fochten mit
den Armen und drängten sich an den Alten. Immer mehr kamen herbei, die
Menge schob sich zwischen mich und ihn. Aus dem Getümmel heraus hörte
ich die vor wildem Schmerz fast unkenntliche Stimme des Alten.

Bald wußten sie alles, und Wut und Haß las ich auf den Gesichtern, die
jetzt in der Leidenschaft denen wilder Indianer glichen. Ich suchte zu dämmen,
zu retten, sie hörten nicht. Endlich brach meine Stimme durch: "Es war doch
gut, die fast Verlorene zu retten, habt ihr denn kein Herz?"

Heftiges Durcheinanderschreien tönte mir entgegen. "Unreines darf man
nicht berühren", "der Tod einer Rodia ist kein Unglück", "ist für sie selbst


Die Rodia

' Der Weg weidete sich, die ersten Hütten tauchten zwischen den Bäumen auf.
Ich bog in die Hauptstraße ein, zu deren Seiten die Häuser sich erhoben, von
Palmen und Obstbäumen licht beschattet. Vor den Auslagen der Händler
standen die Leute, um ihre Einkäufe zu Machen, andere begegneten mir auf der
Straße und grüßten mich, die Hand an der Stirn.

Nun stand ich vor meinem Ziel, Widschajas Elternhaus. Schon von
weitem hatte ich den Vater meines singhalesischen Freundes erkannt. Er schien
nicht wohl zu sein, denn er lag auf seinem Mattengestell, das er sich unter das
vorspringende Dach hatte herauftragen lassen. Als er mich kommen sah. erhob
sich der Mann, eine hohe Gestalt mit schönem schwarzem Bart, der weit über
die bloße Brust herabwallte. Erstaunt blickte er mich an, den er ohne seinen
Sohn herantreten sah.

„Dein Sohn läßt dich grüßen," fing ich an, „er kann heute nicht zu dir
kommen. Ein Ereignis hat in sein Leben eingegriffen. Er will noch in der
Stille nachsinnen, ob er den Folgen begegnen oder sie auf sich nehmen soll.
Auch du sollst deine Ansicht sagen, darum bin ich gekommen."

Er wurde unruhig. „Was ist mit meinem Sohne, was konnte ihm zu¬
stoßen, er ist doch gesund?"

„Er ist gesund," antwortete ich. „aber nach euren Begriffen ist das, was
ihn getroffen hat. nicht weniger schlimm, als Krankheit."

Seine Augen weideten sich, doch ich sah, wie er seine Aufregung meisterte.
Ich begann zu erzählen. Wie ich aber an die Begegnung mit dem Mädchen
kam, an ihr Zurseiteweichen und ihre Rettung, stieg ihm das Blut zu Kopf.
Sein Gesicht wurde ganz dunkel, stiere Augen sahen mich an. Und als ich schloß:
„Aus gutem Herzen hat er einen Menschen gerettet, die Tat bleibt edel, trotz¬
dem es eine Rodia ist," da sprang er auf, ballte die Fäuste, schrie: „Unrein,
unrein, mein Sohn unrein," und sank zusammen, schluchzte und stöhnte.

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach beruhigend auf ihn
ein, denn bereits begann sich Volk um uns zu sammeln. Er hörte lange nichts,
plötzlich aber blickte er auf, sah die Leute stehen, sprang wie ein Rasender in
die Höhe und schrie ihnen ins Gesicht: „Widschaja, euer Königssproß ist
Schmutz, verächtlicher als der Straßenkot. Ein Rodia ist er geworden."

Da wurde das Murmeln der Dorfbewohner zum Schreien, sie fochten mit
den Armen und drängten sich an den Alten. Immer mehr kamen herbei, die
Menge schob sich zwischen mich und ihn. Aus dem Getümmel heraus hörte
ich die vor wildem Schmerz fast unkenntliche Stimme des Alten.

Bald wußten sie alles, und Wut und Haß las ich auf den Gesichtern, die
jetzt in der Leidenschaft denen wilder Indianer glichen. Ich suchte zu dämmen,
zu retten, sie hörten nicht. Endlich brach meine Stimme durch: „Es war doch
gut, die fast Verlorene zu retten, habt ihr denn kein Herz?"

Heftiges Durcheinanderschreien tönte mir entgegen. „Unreines darf man
nicht berühren", „der Tod einer Rodia ist kein Unglück", „ist für sie selbst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0097" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325617"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Rodia</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_386"> ' Der Weg weidete sich, die ersten Hütten tauchten zwischen den Bäumen auf.<lb/>
Ich bog in die Hauptstraße ein, zu deren Seiten die Häuser sich erhoben, von<lb/>
Palmen und Obstbäumen licht beschattet. Vor den Auslagen der Händler<lb/>
standen die Leute, um ihre Einkäufe zu Machen, andere begegneten mir auf der<lb/>
Straße und grüßten mich, die Hand an der Stirn.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_387"> Nun stand ich vor meinem Ziel, Widschajas Elternhaus. Schon von<lb/>
weitem hatte ich den Vater meines singhalesischen Freundes erkannt. Er schien<lb/>
nicht wohl zu sein, denn er lag auf seinem Mattengestell, das er sich unter das<lb/>
vorspringende Dach hatte herauftragen lassen. Als er mich kommen sah. erhob<lb/>
sich der Mann, eine hohe Gestalt mit schönem schwarzem Bart, der weit über<lb/>
die bloße Brust herabwallte. Erstaunt blickte er mich an, den er ohne seinen<lb/>
Sohn herantreten sah.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_388"> &#x201E;Dein Sohn läßt dich grüßen," fing ich an, &#x201E;er kann heute nicht zu dir<lb/>
kommen. Ein Ereignis hat in sein Leben eingegriffen. Er will noch in der<lb/>
Stille nachsinnen, ob er den Folgen begegnen oder sie auf sich nehmen soll.<lb/>
Auch du sollst deine Ansicht sagen, darum bin ich gekommen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_389"> Er wurde unruhig. &#x201E;Was ist mit meinem Sohne, was konnte ihm zu¬<lb/>
stoßen, er ist doch gesund?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_390"> &#x201E;Er ist gesund," antwortete ich. &#x201E;aber nach euren Begriffen ist das, was<lb/>
ihn getroffen hat. nicht weniger schlimm, als Krankheit."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_391"> Seine Augen weideten sich, doch ich sah, wie er seine Aufregung meisterte.<lb/>
Ich begann zu erzählen. Wie ich aber an die Begegnung mit dem Mädchen<lb/>
kam, an ihr Zurseiteweichen und ihre Rettung, stieg ihm das Blut zu Kopf.<lb/>
Sein Gesicht wurde ganz dunkel, stiere Augen sahen mich an. Und als ich schloß:<lb/>
&#x201E;Aus gutem Herzen hat er einen Menschen gerettet, die Tat bleibt edel, trotz¬<lb/>
dem es eine Rodia ist," da sprang er auf, ballte die Fäuste, schrie: &#x201E;Unrein,<lb/>
unrein, mein Sohn unrein," und sank zusammen, schluchzte und stöhnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_392"> Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach beruhigend auf ihn<lb/>
ein, denn bereits begann sich Volk um uns zu sammeln. Er hörte lange nichts,<lb/>
plötzlich aber blickte er auf, sah die Leute stehen, sprang wie ein Rasender in<lb/>
die Höhe und schrie ihnen ins Gesicht: &#x201E;Widschaja, euer Königssproß ist<lb/>
Schmutz, verächtlicher als der Straßenkot.  Ein Rodia ist er geworden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_393"> Da wurde das Murmeln der Dorfbewohner zum Schreien, sie fochten mit<lb/>
den Armen und drängten sich an den Alten. Immer mehr kamen herbei, die<lb/>
Menge schob sich zwischen mich und ihn. Aus dem Getümmel heraus hörte<lb/>
ich die vor wildem Schmerz fast unkenntliche Stimme des Alten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_394"> Bald wußten sie alles, und Wut und Haß las ich auf den Gesichtern, die<lb/>
jetzt in der Leidenschaft denen wilder Indianer glichen. Ich suchte zu dämmen,<lb/>
zu retten, sie hörten nicht. Endlich brach meine Stimme durch: &#x201E;Es war doch<lb/>
gut, die fast Verlorene zu retten, habt ihr denn kein Herz?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_395" next="#ID_396"> Heftiges Durcheinanderschreien tönte mir entgegen. &#x201E;Unreines darf man<lb/>
nicht berühren", &#x201E;der Tod einer Rodia ist kein Unglück", &#x201E;ist für sie selbst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0097] Die Rodia ' Der Weg weidete sich, die ersten Hütten tauchten zwischen den Bäumen auf. Ich bog in die Hauptstraße ein, zu deren Seiten die Häuser sich erhoben, von Palmen und Obstbäumen licht beschattet. Vor den Auslagen der Händler standen die Leute, um ihre Einkäufe zu Machen, andere begegneten mir auf der Straße und grüßten mich, die Hand an der Stirn. Nun stand ich vor meinem Ziel, Widschajas Elternhaus. Schon von weitem hatte ich den Vater meines singhalesischen Freundes erkannt. Er schien nicht wohl zu sein, denn er lag auf seinem Mattengestell, das er sich unter das vorspringende Dach hatte herauftragen lassen. Als er mich kommen sah. erhob sich der Mann, eine hohe Gestalt mit schönem schwarzem Bart, der weit über die bloße Brust herabwallte. Erstaunt blickte er mich an, den er ohne seinen Sohn herantreten sah. „Dein Sohn läßt dich grüßen," fing ich an, „er kann heute nicht zu dir kommen. Ein Ereignis hat in sein Leben eingegriffen. Er will noch in der Stille nachsinnen, ob er den Folgen begegnen oder sie auf sich nehmen soll. Auch du sollst deine Ansicht sagen, darum bin ich gekommen." Er wurde unruhig. „Was ist mit meinem Sohne, was konnte ihm zu¬ stoßen, er ist doch gesund?" „Er ist gesund," antwortete ich. „aber nach euren Begriffen ist das, was ihn getroffen hat. nicht weniger schlimm, als Krankheit." Seine Augen weideten sich, doch ich sah, wie er seine Aufregung meisterte. Ich begann zu erzählen. Wie ich aber an die Begegnung mit dem Mädchen kam, an ihr Zurseiteweichen und ihre Rettung, stieg ihm das Blut zu Kopf. Sein Gesicht wurde ganz dunkel, stiere Augen sahen mich an. Und als ich schloß: „Aus gutem Herzen hat er einen Menschen gerettet, die Tat bleibt edel, trotz¬ dem es eine Rodia ist," da sprang er auf, ballte die Fäuste, schrie: „Unrein, unrein, mein Sohn unrein," und sank zusammen, schluchzte und stöhnte. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach beruhigend auf ihn ein, denn bereits begann sich Volk um uns zu sammeln. Er hörte lange nichts, plötzlich aber blickte er auf, sah die Leute stehen, sprang wie ein Rasender in die Höhe und schrie ihnen ins Gesicht: „Widschaja, euer Königssproß ist Schmutz, verächtlicher als der Straßenkot. Ein Rodia ist er geworden." Da wurde das Murmeln der Dorfbewohner zum Schreien, sie fochten mit den Armen und drängten sich an den Alten. Immer mehr kamen herbei, die Menge schob sich zwischen mich und ihn. Aus dem Getümmel heraus hörte ich die vor wildem Schmerz fast unkenntliche Stimme des Alten. Bald wußten sie alles, und Wut und Haß las ich auf den Gesichtern, die jetzt in der Leidenschaft denen wilder Indianer glichen. Ich suchte zu dämmen, zu retten, sie hörten nicht. Endlich brach meine Stimme durch: „Es war doch gut, die fast Verlorene zu retten, habt ihr denn kein Herz?" Heftiges Durcheinanderschreien tönte mir entgegen. „Unreines darf man nicht berühren", „der Tod einer Rodia ist kein Unglück", „ist für sie selbst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/97
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/97>, abgerufen am 27.07.2024.