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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Rodia

Der sonst so ruhige Singhalese war in furchtbarer Aufregung. Ein schwerer
Kampf mußte in seinem Innern wüten. Er hätte in schnellem Triebe gehandelt,
fast ohne Bewußtsein. Nun sah er dunkle Folgen näher kommen. Aber er
konnte von dem schönen Anblick nicht los, unverwandt blickte er auf das junge
Weib, dessen braune Haut von dem neu pulsierenden Blut allmählich einen
lieblich rötlichen Schimmer erhielt. Jetzt eine Bewegung der Arme und die
Augen öffneten sich.

Zwei Sterne sahen uns entgegen, ließen den Blick im Zimmer wandern
und blieben endlich auf uns haften. Die Augen belebten, vergrößerten sich,
wurden wilder und wilder, Entsetzen sprühte aus ihnen. Plötzlich richtete sich
der Körper auf, die Hand streckte sich nach uns, die Brust wogte und dann ein
gellender Schrei von ihren Lippen: "Unrein!"

Widschaja fuhr zurück, in demselben Augenblick aber kniete er auch schon
ein ihrem Lager und sagte: "Ich aHute es, ich wußte es, ich lasse dich nicht!"
Und seine Arme schlang er um ihren Hals. Noch suchte sie gegen ihn zu ringen,
aber er umfaßte sie fester und fester, er flüsterte auf sie ein, sie schien sich zu
ergeben. Es wurde still am Lager, nur leise Worte klangen zu mir herüber.

Da wandte ich mich und ging aus dem Zimmer.

Eine halbe Stunde mochte ich auf und ab geschritten sein, da trat Widschaja
heraus. "Herr," sagte er, "sie ist eine Rodia, und ich bin unrein vor meinem
Volk. Ich war es schon, als ich am Flusse ihren Arm ergriff. Ich sah das
Krokodil und den nahen Tod und mußte retten. Das alles ging schneller als
meine Überlegung. Was nachher kam, hat die Dinge nicht verschärft. Ich
bitte dich nun, lasse mich mit ihr allein in deinem Garten. Suche du ruhig
dein Zimmer auf und sieh nicht nach uns. Und willst du, so geh morgen zu
meinem Volk und meinem Vater. Sprich mit ihnen, was dein Herz dir eingibt.
Ich kann nichts sagen. Es gibt hier kein Gut noch Böse. Das Schicksal war
es. Ich warte, wie es sich erfüllt." -

. Ich konnte nichts erwidern, drückte ihm die Hand und sah ihn sich zwischen
den Büschen entfernen. Dann ging ich in mein Zimmer. Aber der Schlaf floh
mein Auge.

Als am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne ins Zimmer fielen,
stand ich auf und machte mich bereit, den schweren Weg zu gehen. Langsam
schritt ich am Flusse entlang. An einer Stelle blieb ich stehen. Die Flu߬
böschung hatte einen Riß, das Erdreich war abgestürzt, frische Spuren zeigten
sich unten im Sande. Hier war es, wo die Rodia, treu dem harten Gesetz
ihres Stammes, vor dem Entgegenkommenden die Straße räumen wollte, hin¬
unterglitt und dem Krokodil aus dem Rachen gerissen wurde. Nach rechts
konnte sie nicht weichen, da stand mit Ast- und Lianengewirre, mit Ranken und
Dornen wie eine Mauer der Urwald. Sinnend schritt ich weiter, nur über--
legend, was ich für den Freund sagen konnte. Aber ich vermochte nichts zu
finden, was mir erfolgreich geschienen und das Herz erleichtert hätte. ,


Die Rodia

Der sonst so ruhige Singhalese war in furchtbarer Aufregung. Ein schwerer
Kampf mußte in seinem Innern wüten. Er hätte in schnellem Triebe gehandelt,
fast ohne Bewußtsein. Nun sah er dunkle Folgen näher kommen. Aber er
konnte von dem schönen Anblick nicht los, unverwandt blickte er auf das junge
Weib, dessen braune Haut von dem neu pulsierenden Blut allmählich einen
lieblich rötlichen Schimmer erhielt. Jetzt eine Bewegung der Arme und die
Augen öffneten sich.

Zwei Sterne sahen uns entgegen, ließen den Blick im Zimmer wandern
und blieben endlich auf uns haften. Die Augen belebten, vergrößerten sich,
wurden wilder und wilder, Entsetzen sprühte aus ihnen. Plötzlich richtete sich
der Körper auf, die Hand streckte sich nach uns, die Brust wogte und dann ein
gellender Schrei von ihren Lippen: „Unrein!"

Widschaja fuhr zurück, in demselben Augenblick aber kniete er auch schon
ein ihrem Lager und sagte: „Ich aHute es, ich wußte es, ich lasse dich nicht!"
Und seine Arme schlang er um ihren Hals. Noch suchte sie gegen ihn zu ringen,
aber er umfaßte sie fester und fester, er flüsterte auf sie ein, sie schien sich zu
ergeben. Es wurde still am Lager, nur leise Worte klangen zu mir herüber.

Da wandte ich mich und ging aus dem Zimmer.

Eine halbe Stunde mochte ich auf und ab geschritten sein, da trat Widschaja
heraus. „Herr," sagte er, „sie ist eine Rodia, und ich bin unrein vor meinem
Volk. Ich war es schon, als ich am Flusse ihren Arm ergriff. Ich sah das
Krokodil und den nahen Tod und mußte retten. Das alles ging schneller als
meine Überlegung. Was nachher kam, hat die Dinge nicht verschärft. Ich
bitte dich nun, lasse mich mit ihr allein in deinem Garten. Suche du ruhig
dein Zimmer auf und sieh nicht nach uns. Und willst du, so geh morgen zu
meinem Volk und meinem Vater. Sprich mit ihnen, was dein Herz dir eingibt.
Ich kann nichts sagen. Es gibt hier kein Gut noch Böse. Das Schicksal war
es. Ich warte, wie es sich erfüllt." -

. Ich konnte nichts erwidern, drückte ihm die Hand und sah ihn sich zwischen
den Büschen entfernen. Dann ging ich in mein Zimmer. Aber der Schlaf floh
mein Auge.

Als am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne ins Zimmer fielen,
stand ich auf und machte mich bereit, den schweren Weg zu gehen. Langsam
schritt ich am Flusse entlang. An einer Stelle blieb ich stehen. Die Flu߬
böschung hatte einen Riß, das Erdreich war abgestürzt, frische Spuren zeigten
sich unten im Sande. Hier war es, wo die Rodia, treu dem harten Gesetz
ihres Stammes, vor dem Entgegenkommenden die Straße räumen wollte, hin¬
unterglitt und dem Krokodil aus dem Rachen gerissen wurde. Nach rechts
konnte sie nicht weichen, da stand mit Ast- und Lianengewirre, mit Ranken und
Dornen wie eine Mauer der Urwald. Sinnend schritt ich weiter, nur über--
legend, was ich für den Freund sagen konnte. Aber ich vermochte nichts zu
finden, was mir erfolgreich geschienen und das Herz erleichtert hätte. ,


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[0096] Die Rodia Der sonst so ruhige Singhalese war in furchtbarer Aufregung. Ein schwerer Kampf mußte in seinem Innern wüten. Er hätte in schnellem Triebe gehandelt, fast ohne Bewußtsein. Nun sah er dunkle Folgen näher kommen. Aber er konnte von dem schönen Anblick nicht los, unverwandt blickte er auf das junge Weib, dessen braune Haut von dem neu pulsierenden Blut allmählich einen lieblich rötlichen Schimmer erhielt. Jetzt eine Bewegung der Arme und die Augen öffneten sich. Zwei Sterne sahen uns entgegen, ließen den Blick im Zimmer wandern und blieben endlich auf uns haften. Die Augen belebten, vergrößerten sich, wurden wilder und wilder, Entsetzen sprühte aus ihnen. Plötzlich richtete sich der Körper auf, die Hand streckte sich nach uns, die Brust wogte und dann ein gellender Schrei von ihren Lippen: „Unrein!" Widschaja fuhr zurück, in demselben Augenblick aber kniete er auch schon ein ihrem Lager und sagte: „Ich aHute es, ich wußte es, ich lasse dich nicht!" Und seine Arme schlang er um ihren Hals. Noch suchte sie gegen ihn zu ringen, aber er umfaßte sie fester und fester, er flüsterte auf sie ein, sie schien sich zu ergeben. Es wurde still am Lager, nur leise Worte klangen zu mir herüber. Da wandte ich mich und ging aus dem Zimmer. Eine halbe Stunde mochte ich auf und ab geschritten sein, da trat Widschaja heraus. „Herr," sagte er, „sie ist eine Rodia, und ich bin unrein vor meinem Volk. Ich war es schon, als ich am Flusse ihren Arm ergriff. Ich sah das Krokodil und den nahen Tod und mußte retten. Das alles ging schneller als meine Überlegung. Was nachher kam, hat die Dinge nicht verschärft. Ich bitte dich nun, lasse mich mit ihr allein in deinem Garten. Suche du ruhig dein Zimmer auf und sieh nicht nach uns. Und willst du, so geh morgen zu meinem Volk und meinem Vater. Sprich mit ihnen, was dein Herz dir eingibt. Ich kann nichts sagen. Es gibt hier kein Gut noch Böse. Das Schicksal war es. Ich warte, wie es sich erfüllt." - . Ich konnte nichts erwidern, drückte ihm die Hand und sah ihn sich zwischen den Büschen entfernen. Dann ging ich in mein Zimmer. Aber der Schlaf floh mein Auge. Als am nächsten Morgen die ersten Strahlen der Sonne ins Zimmer fielen, stand ich auf und machte mich bereit, den schweren Weg zu gehen. Langsam schritt ich am Flusse entlang. An einer Stelle blieb ich stehen. Die Flu߬ böschung hatte einen Riß, das Erdreich war abgestürzt, frische Spuren zeigten sich unten im Sande. Hier war es, wo die Rodia, treu dem harten Gesetz ihres Stammes, vor dem Entgegenkommenden die Straße räumen wollte, hin¬ unterglitt und dem Krokodil aus dem Rachen gerissen wurde. Nach rechts konnte sie nicht weichen, da stand mit Ast- und Lianengewirre, mit Ranken und Dornen wie eine Mauer der Urwald. Sinnend schritt ich weiter, nur über-- legend, was ich für den Freund sagen konnte. Aber ich vermochte nichts zu finden, was mir erfolgreich geschienen und das Herz erleichtert hätte. ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/96>, abgerufen am 27.07.2024.