Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.?le Rodia Erlösung", "wenn sie in ihrem Leben ihre Seele geläutert hätte, wäre ihr nach "Aber er wußte doch nicht, daß sie eine Rodia war", hielt ich ihnen "Er mußte es wissen", "niemand anders konnte ihm zu jener Stunde an Jetzt erhob sich der Alte wieder. Mit hohler Stimme sprach er: "Widschaja Da verlor ich die Geduld. Ich sprang vor, riß die vor mir Stehenden Er sah mich mit kalter Ruhe an, aber Haß spiegelte sich in seinem Blick. Er wandte sich und ging in das Haus. Die anderen zerstreuten sich. Ich Da ging ich in schweren Gedanken heim. Am Flusse, bei den ersten Kokospalmen meiner Pflanzung, kamen mir Widschaja trat auf mich zu. "Ich sehe in deinen Augen." sagte er, "die ?le Rodia Erlösung", „wenn sie in ihrem Leben ihre Seele geläutert hätte, wäre ihr nach „Aber er wußte doch nicht, daß sie eine Rodia war", hielt ich ihnen „Er mußte es wissen", „niemand anders konnte ihm zu jener Stunde an Jetzt erhob sich der Alte wieder. Mit hohler Stimme sprach er: „Widschaja Da verlor ich die Geduld. Ich sprang vor, riß die vor mir Stehenden Er sah mich mit kalter Ruhe an, aber Haß spiegelte sich in seinem Blick. Er wandte sich und ging in das Haus. Die anderen zerstreuten sich. Ich Da ging ich in schweren Gedanken heim. Am Flusse, bei den ersten Kokospalmen meiner Pflanzung, kamen mir Widschaja trat auf mich zu. „Ich sehe in deinen Augen." sagte er, „die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/325618"/> <fw type="header" place="top"> ?le Rodia</fw><lb/> <p xml:id="ID_396" prev="#ID_395"> Erlösung", „wenn sie in ihrem Leben ihre Seele geläutert hätte, wäre ihr nach<lb/> dem Tode Wiedergeburt in höherer Kaste zuteil geworden", „Widschaja hat sie<lb/> ins Elend zurückgestoßen durch seine Rettung."</p><lb/> <p xml:id="ID_397"> „Aber er wußte doch nicht, daß sie eine Rodia war", hielt ich ihnen<lb/> entgegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_398"> „Er mußte es wissen", „niemand anders konnte ihm zu jener Stunde an<lb/> der Stelle begegnen", „schon an ihrem Ausweichen hätte er ihren Stand erkennen<lb/> müssen", „er folgte nur seinem Triebel"</p><lb/> <p xml:id="ID_399"> Jetzt erhob sich der Alte wieder. Mit hohler Stimme sprach er: „Widschaja<lb/> ist ein Rodia. Ich habe keinen Sohn. Aber verflucht sie, die ihn verführt!<lb/> Verflucht, verflucht! Unglück soll sie haben und hervorrufen, wo ihr Fuß hin¬<lb/> tritt. Und verflucht seien ihre Kinder! Auch sie sollen nur verführen und<lb/> überall Unheil stiften. Flüche von Generationen sollen sich der Rodia und<lb/> ihren Sprossen an die Fersen heften!"</p><lb/> <p xml:id="ID_400"> Da verlor ich die Geduld. Ich sprang vor, riß die vor mir Stehenden<lb/> auseinander, hielt ihm die Fäuste vor das Gesicht und schrie ihn an: „Wie<lb/> kannst du dein eigenes Blut verfluchen? Bist du denn ein Stein? Eure Kasten<lb/> sind doch nur Menschenwerk! Setze dich über sie hinweg, wenn es einen so<lb/> edlen Menschen gilt und noch dazu deinen Sohn!"</p><lb/> <p xml:id="ID_401"> Er sah mich mit kalter Ruhe an, aber Haß spiegelte sich in seinem Blick.<lb/> „Die Kasten sind seit Jahrtausenden in unserem Volk. Woher sie kommen,<lb/> wissen wir nicht. Aber viele Millionen sind ihren Satzungen gefolgt, und ein<lb/> einzelner ist zu gering, umzustoßen, was große Völker seit Anfang für gut<lb/> gehalten haben. Und ihr Engländer, denkt ihr denn anders? Ich weiß sehr<lb/> wohl, daß jeder aus euerer Gesellschaft ausgestoßen wird, der eine von uns zu<lb/> eigen nimmt. Ihr habt recht. Wir wollen nichts anderes. Wer seinen Stamm<lb/> nicht achtet und rein hält, geht verloren."</p><lb/> <p xml:id="ID_402"> Er wandte sich und ging in das Haus. Die anderen zerstreuten sich. Ich<lb/> stand allein auf der Straße.</p><lb/> <p xml:id="ID_403"> Da ging ich in schweren Gedanken heim.</p><lb/> <p xml:id="ID_404"> Am Flusse, bei den ersten Kokospalmen meiner Pflanzung, kamen mir<lb/> Widschaja und die Rodia entgegen. Das Herz wurde mir warm und ich vergaß<lb/> all das Traurige, als ich dieses herrliche Menschenpaar sah. Wie aus dem<lb/> Paradiese waren sie. Widschaja hatte sein Rocktuch dem Mädchen gegeben und<lb/> seine Jacke sich um die Hüften geschlungen. Sein edler Körper glich dem einer<lb/> Statue. Die Rodia hatte das Tuch um den Leib gelegt und dann über die<lb/> Schulter geworfen. Ihr Wuchs war wie der einer Göttin. Unter dem gescheitelten<lb/> Haar schaute das lieblichste Antlitz hervor, mit zwei Augen gleich tiefen Seen,<lb/> in die man kein Ende findet, hineinzublicken.</p><lb/> <p xml:id="ID_405" next="#ID_406"> Widschaja trat auf mich zu. „Ich sehe in deinen Augen." sagte er, „die<lb/> Bestätigung dessen, was ich von Anfang an gewußt habe. Sie verstoßen mich,<lb/> ich bin der Sohn meines Vaters nicht weiter. Ein Verachteter mehr. Ich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
?le Rodia
Erlösung", „wenn sie in ihrem Leben ihre Seele geläutert hätte, wäre ihr nach
dem Tode Wiedergeburt in höherer Kaste zuteil geworden", „Widschaja hat sie
ins Elend zurückgestoßen durch seine Rettung."
„Aber er wußte doch nicht, daß sie eine Rodia war", hielt ich ihnen
entgegen.
„Er mußte es wissen", „niemand anders konnte ihm zu jener Stunde an
der Stelle begegnen", „schon an ihrem Ausweichen hätte er ihren Stand erkennen
müssen", „er folgte nur seinem Triebel"
Jetzt erhob sich der Alte wieder. Mit hohler Stimme sprach er: „Widschaja
ist ein Rodia. Ich habe keinen Sohn. Aber verflucht sie, die ihn verführt!
Verflucht, verflucht! Unglück soll sie haben und hervorrufen, wo ihr Fuß hin¬
tritt. Und verflucht seien ihre Kinder! Auch sie sollen nur verführen und
überall Unheil stiften. Flüche von Generationen sollen sich der Rodia und
ihren Sprossen an die Fersen heften!"
Da verlor ich die Geduld. Ich sprang vor, riß die vor mir Stehenden
auseinander, hielt ihm die Fäuste vor das Gesicht und schrie ihn an: „Wie
kannst du dein eigenes Blut verfluchen? Bist du denn ein Stein? Eure Kasten
sind doch nur Menschenwerk! Setze dich über sie hinweg, wenn es einen so
edlen Menschen gilt und noch dazu deinen Sohn!"
Er sah mich mit kalter Ruhe an, aber Haß spiegelte sich in seinem Blick.
„Die Kasten sind seit Jahrtausenden in unserem Volk. Woher sie kommen,
wissen wir nicht. Aber viele Millionen sind ihren Satzungen gefolgt, und ein
einzelner ist zu gering, umzustoßen, was große Völker seit Anfang für gut
gehalten haben. Und ihr Engländer, denkt ihr denn anders? Ich weiß sehr
wohl, daß jeder aus euerer Gesellschaft ausgestoßen wird, der eine von uns zu
eigen nimmt. Ihr habt recht. Wir wollen nichts anderes. Wer seinen Stamm
nicht achtet und rein hält, geht verloren."
Er wandte sich und ging in das Haus. Die anderen zerstreuten sich. Ich
stand allein auf der Straße.
Da ging ich in schweren Gedanken heim.
Am Flusse, bei den ersten Kokospalmen meiner Pflanzung, kamen mir
Widschaja und die Rodia entgegen. Das Herz wurde mir warm und ich vergaß
all das Traurige, als ich dieses herrliche Menschenpaar sah. Wie aus dem
Paradiese waren sie. Widschaja hatte sein Rocktuch dem Mädchen gegeben und
seine Jacke sich um die Hüften geschlungen. Sein edler Körper glich dem einer
Statue. Die Rodia hatte das Tuch um den Leib gelegt und dann über die
Schulter geworfen. Ihr Wuchs war wie der einer Göttin. Unter dem gescheitelten
Haar schaute das lieblichste Antlitz hervor, mit zwei Augen gleich tiefen Seen,
in die man kein Ende findet, hineinzublicken.
Widschaja trat auf mich zu. „Ich sehe in deinen Augen." sagte er, „die
Bestätigung dessen, was ich von Anfang an gewußt habe. Sie verstoßen mich,
ich bin der Sohn meines Vaters nicht weiter. Ein Verachteter mehr. Ich
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |