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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Das werdende Albanien

sie zu erdrücken drohten. Da haben sich die Stämme zusammengetan, Um ihre
Freiheit ebenso gegen das von Norden andringende serbische Reich wie gegen
die von Süden und Südosten mit unwiderstehlicher Kraft vorstoßenden Osmanen
zu verteidigen. Aber nur ein Menschenalter später erlag Serbien selbst in der
Schlacht auf dem Kossovo - Felde dem gewaltigen Sultan Murad, und nun
brauste der Türkensturm auch über Albanien hin. Indessen die alten Osmanen-
sultane, insbesondere die Nachfolger Murads des Ersten, der bekanntlich selbst
in jener Schlacht nach schon erfochtenen Siege getötet wurde, waren nicht nur
wilde Eroberer, sondern auch kluge Männer, die zu erkennen wußten, welchen
Vorteil ihnen die als Feinde so schwer zu fassenden und gefährlichen, als
Freunde so harmlosen und unbeholfenen Albanesen gewähren konnten. Die
Türken begnügten sich mit dem Erfolge der äußerlichen und scheinbaren Unter¬
werfung Albaniens und ließen die Stämme gewähren, in richtiger Abschätzung
des Charakters der Albanesen, die nun wieder in das von altersher gewohnte
Clanwesen auseinanderfielen. Dieser Zustand wurde gegen die Mitte des fünf¬
zehnten Jahrhunderts noch einmal unterbrochen, diesmal nicht durch die gemein¬
same Furcht der Stämme vor der Fremdherrschaft, fondern durch die Macht
der Persönlichkeit und den Ehrgeiz eines genialen Menschen, wie ihn ein natur¬
frisches, kraftvolles Volkstum gelegentlich hervorbringt, wenn außergewöhnliche
Begabung Gelegenheit findet, aus der gewohnten Umgebung herauszutreten
und sich mit den Mitteln einer höheren Kultur zu vervollkommnen. Dieser
Mann war Georg Kastriota, dem die Türken später den Namen "Skan-
derbeg" gaben, denselben, womit sie den größten Eroberer des Altertums,
Alexander den Großen, zu bezeichnen pflegen. Skanderbegs Ehrgeiz, seinem
geeinten Volke dauernd die Unabhängigkeit zu erringen, wurde nicht erfüllt;
mit seinem Tode zerfiel seine Schöpfung. Aber es blieb dem Nationalbewußt-
fein der Albanesen die Erinnerung an eine Episode heldenhafter Kämpfe ein¬
gepflanzt, die ihnen ganz und gar gehörte und ein Idealbild ihrer Volksart
schuf. Dieser Held, der, am Sultanshof in fremdem Glauben erzogen und von
allen Lockmitteln höfischen und kriegerischen Glanzes umgeben, aus der Kraft
eigener Überzeugung den Weg zum Glauben feiner Väter zurückfindet und nun
mit der Mischung von Verschlagenheit und Kühnheit, die allen urwüchsigen
Völkern so besonders gut gefällt, die Fahne des Freiheitskampfes entrollt,
mußte um so tiefere Spuren seines Daseins hinterlassen, als er in der ganzen
Geschichte Albaniens eine einzig dastehende Gestalt geblieben ist. An eine
dauernde Zusammenfassung ihrer Kräfte haben die Albanesen nicht wieder
gedacht.

Trotzdem ist die Skanderbegzeit in einzelnen besonderen Nachwirkungen
geschichtlich bedeutungsvoll geworden. Der Widerstand Skanderbegs gegen die
Türkenherrschaft wäre wohl nicht so beachtet worden, wenn er nicht gerade in
die Zeit gefallen wäre, als die Eroberung von Konstantinopel die ganze abend¬
ländische Welt tief erschütterte und ihr die drohende Türkengefahr zum Bewußt-


Das werdende Albanien

sie zu erdrücken drohten. Da haben sich die Stämme zusammengetan, Um ihre
Freiheit ebenso gegen das von Norden andringende serbische Reich wie gegen
die von Süden und Südosten mit unwiderstehlicher Kraft vorstoßenden Osmanen
zu verteidigen. Aber nur ein Menschenalter später erlag Serbien selbst in der
Schlacht auf dem Kossovo - Felde dem gewaltigen Sultan Murad, und nun
brauste der Türkensturm auch über Albanien hin. Indessen die alten Osmanen-
sultane, insbesondere die Nachfolger Murads des Ersten, der bekanntlich selbst
in jener Schlacht nach schon erfochtenen Siege getötet wurde, waren nicht nur
wilde Eroberer, sondern auch kluge Männer, die zu erkennen wußten, welchen
Vorteil ihnen die als Feinde so schwer zu fassenden und gefährlichen, als
Freunde so harmlosen und unbeholfenen Albanesen gewähren konnten. Die
Türken begnügten sich mit dem Erfolge der äußerlichen und scheinbaren Unter¬
werfung Albaniens und ließen die Stämme gewähren, in richtiger Abschätzung
des Charakters der Albanesen, die nun wieder in das von altersher gewohnte
Clanwesen auseinanderfielen. Dieser Zustand wurde gegen die Mitte des fünf¬
zehnten Jahrhunderts noch einmal unterbrochen, diesmal nicht durch die gemein¬
same Furcht der Stämme vor der Fremdherrschaft, fondern durch die Macht
der Persönlichkeit und den Ehrgeiz eines genialen Menschen, wie ihn ein natur¬
frisches, kraftvolles Volkstum gelegentlich hervorbringt, wenn außergewöhnliche
Begabung Gelegenheit findet, aus der gewohnten Umgebung herauszutreten
und sich mit den Mitteln einer höheren Kultur zu vervollkommnen. Dieser
Mann war Georg Kastriota, dem die Türken später den Namen „Skan-
derbeg" gaben, denselben, womit sie den größten Eroberer des Altertums,
Alexander den Großen, zu bezeichnen pflegen. Skanderbegs Ehrgeiz, seinem
geeinten Volke dauernd die Unabhängigkeit zu erringen, wurde nicht erfüllt;
mit seinem Tode zerfiel seine Schöpfung. Aber es blieb dem Nationalbewußt-
fein der Albanesen die Erinnerung an eine Episode heldenhafter Kämpfe ein¬
gepflanzt, die ihnen ganz und gar gehörte und ein Idealbild ihrer Volksart
schuf. Dieser Held, der, am Sultanshof in fremdem Glauben erzogen und von
allen Lockmitteln höfischen und kriegerischen Glanzes umgeben, aus der Kraft
eigener Überzeugung den Weg zum Glauben feiner Väter zurückfindet und nun
mit der Mischung von Verschlagenheit und Kühnheit, die allen urwüchsigen
Völkern so besonders gut gefällt, die Fahne des Freiheitskampfes entrollt,
mußte um so tiefere Spuren seines Daseins hinterlassen, als er in der ganzen
Geschichte Albaniens eine einzig dastehende Gestalt geblieben ist. An eine
dauernde Zusammenfassung ihrer Kräfte haben die Albanesen nicht wieder
gedacht.

Trotzdem ist die Skanderbegzeit in einzelnen besonderen Nachwirkungen
geschichtlich bedeutungsvoll geworden. Der Widerstand Skanderbegs gegen die
Türkenherrschaft wäre wohl nicht so beachtet worden, wenn er nicht gerade in
die Zeit gefallen wäre, als die Eroberung von Konstantinopel die ganze abend¬
ländische Welt tief erschütterte und ihr die drohende Türkengefahr zum Bewußt-


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[0066] Das werdende Albanien sie zu erdrücken drohten. Da haben sich die Stämme zusammengetan, Um ihre Freiheit ebenso gegen das von Norden andringende serbische Reich wie gegen die von Süden und Südosten mit unwiderstehlicher Kraft vorstoßenden Osmanen zu verteidigen. Aber nur ein Menschenalter später erlag Serbien selbst in der Schlacht auf dem Kossovo - Felde dem gewaltigen Sultan Murad, und nun brauste der Türkensturm auch über Albanien hin. Indessen die alten Osmanen- sultane, insbesondere die Nachfolger Murads des Ersten, der bekanntlich selbst in jener Schlacht nach schon erfochtenen Siege getötet wurde, waren nicht nur wilde Eroberer, sondern auch kluge Männer, die zu erkennen wußten, welchen Vorteil ihnen die als Feinde so schwer zu fassenden und gefährlichen, als Freunde so harmlosen und unbeholfenen Albanesen gewähren konnten. Die Türken begnügten sich mit dem Erfolge der äußerlichen und scheinbaren Unter¬ werfung Albaniens und ließen die Stämme gewähren, in richtiger Abschätzung des Charakters der Albanesen, die nun wieder in das von altersher gewohnte Clanwesen auseinanderfielen. Dieser Zustand wurde gegen die Mitte des fünf¬ zehnten Jahrhunderts noch einmal unterbrochen, diesmal nicht durch die gemein¬ same Furcht der Stämme vor der Fremdherrschaft, fondern durch die Macht der Persönlichkeit und den Ehrgeiz eines genialen Menschen, wie ihn ein natur¬ frisches, kraftvolles Volkstum gelegentlich hervorbringt, wenn außergewöhnliche Begabung Gelegenheit findet, aus der gewohnten Umgebung herauszutreten und sich mit den Mitteln einer höheren Kultur zu vervollkommnen. Dieser Mann war Georg Kastriota, dem die Türken später den Namen „Skan- derbeg" gaben, denselben, womit sie den größten Eroberer des Altertums, Alexander den Großen, zu bezeichnen pflegen. Skanderbegs Ehrgeiz, seinem geeinten Volke dauernd die Unabhängigkeit zu erringen, wurde nicht erfüllt; mit seinem Tode zerfiel seine Schöpfung. Aber es blieb dem Nationalbewußt- fein der Albanesen die Erinnerung an eine Episode heldenhafter Kämpfe ein¬ gepflanzt, die ihnen ganz und gar gehörte und ein Idealbild ihrer Volksart schuf. Dieser Held, der, am Sultanshof in fremdem Glauben erzogen und von allen Lockmitteln höfischen und kriegerischen Glanzes umgeben, aus der Kraft eigener Überzeugung den Weg zum Glauben feiner Väter zurückfindet und nun mit der Mischung von Verschlagenheit und Kühnheit, die allen urwüchsigen Völkern so besonders gut gefällt, die Fahne des Freiheitskampfes entrollt, mußte um so tiefere Spuren seines Daseins hinterlassen, als er in der ganzen Geschichte Albaniens eine einzig dastehende Gestalt geblieben ist. An eine dauernde Zusammenfassung ihrer Kräfte haben die Albanesen nicht wieder gedacht. Trotzdem ist die Skanderbegzeit in einzelnen besonderen Nachwirkungen geschichtlich bedeutungsvoll geworden. Der Widerstand Skanderbegs gegen die Türkenherrschaft wäre wohl nicht so beachtet worden, wenn er nicht gerade in die Zeit gefallen wäre, als die Eroberung von Konstantinopel die ganze abend¬ ländische Welt tief erschütterte und ihr die drohende Türkengefahr zum Bewußt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/66>, abgerufen am 27.07.2024.