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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

und dann durch einen Dichter, Herrn Hardt,
der allen denen, die anderer Meinung sind
als er, kurzerhand bestritt, daß sie "auch nur
ein Blatt unserer Geschichte verstanden hätten".
Nun wollen wir unsererseits an dein Verstand
dieser Herrschaften nicht zweifeln, aber Ge¬
schichte wird nicht mit dem Verstand allein
erfaßt, sondern auch mit dem Herzen. Ge¬
wiß genügt eS für ein gutes Theaterstück noch
nicht, eine gute Gesinnung zu haben; um¬
gekehrt aber ist ein nationales Festspiel ohne
die Möglichkeit, in wirklich breiten Kreisen
einen Widerhall des nationalen Gefühls zu
wecken, ein Unding- Und wenn man gegen
das Hanptmannsche Festspiel einwenden kann
und einwenden muß, daß es sich gründlich
im Tone bergreift, daß es Taktlosigkeiten
enthält, die von vornherein gewisse Kreise
des Volkes abstoßen mußten, so ist es ge¬
richtet. Ein Festspiel ist keine Vorlesung;
es soll erbauen, emporreißen I Es ist auch
nicht für einen kleinen Kreis literarisch und
nur literarisch Interessierter bestimmt, sondern
für große Massen. Diese Grundforderungen
sind in Hauptmanns Werk unberücksichtigt
geblieben. - Schweigen wir von den großen
allgemein künstlerischen Schwachen des Werkes
und seinen kleinen künstlerischen Vorzügen,
Prüfen wir die Gesinnung des Festspieles
und seine allgemeinste Form.

Schlagen wir das Buch auf, das im
Verlage S. Fischer, Berlin, erschienen ist, so
finden wir ein mehrere Seiten langes Vor¬
spiel auf demi Theater nach sehr berühmten
Mustern, ein Zwiegespräch zwischen dem Di¬
rektor -- eines Puppenspieles I -- und seinem
Helfer. Will die Masse, wollen wir bei solcher
Gelegenheit so sehr an das Theater erinnert
werden? Wir finden eS geschmacklos, wenn
die Haupthelden des Jahres 1813 hier im
Theaterjargon und ironisch als Akteure be¬
zeichnet werden, die damals ihre Rolle ge¬
spielt haben. Gerade damals haben die
Leute weniger als sonst im Leben Komödie
gespieltI Dazu war der Ernst des Jahres 1813
zu groß. Wohl interessierte eS im ersten
Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhundert einige
Literaten, die alte Marionettenbühne zu er¬
neuern, aber war dies hier eine Gelegenheit
dazu? Hauptmann hat sich also von vorn¬
herein so schlimm, wie nur möglich, im

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Maßstabe vergriffen. DaS Werk ist in seiner
Gesamtform, in seinem Puppenspielcharakter,
dem der Ablauf wirklich entspricht, der Masse
des Volkes überhaupt nicht verständlich.
Und wenn am Schluß nach großen weihe¬
vollen Reden Athene - Deutschlands der
Direktor zu Blücher sagt:

so schmeckt das vielleicht kaltherzigen Literaten,
aber sonst niemandem. Und mit wieviel
Literatur, mit wieviel fremden Literaturen
ist das Buch vollgestopft. Man braucht kein
Gegner jedes Fremdwortes zu sein, aber eine
Häufung von solchen, wie in diesem natio¬
nalen Festspiel, wird einem kaum vorgekommen
sein. Was sollen die Leute damit?

Und der Inhalt: Gewiß ist es töricht,
wenn Anstoß genommen worden ist an den
Worten Napoleons über Schill und seine
Offiziere; Napoleon mußte doch dargestellt
werden und konnte sich dann nicht anders
äußern (redete Napoleon sonst nur in diesem
Festspiel überall napoleonisch l) Es ist auch
töricht, wenn von anderer Seite beanstandet
wurde, daß erwähnt wird, wie der Papst
nach Paris gekommen sei, um Napoleon zu
krönen, weil dieser es nicht der Mühe für
wert hielt, deshalb nach Rom zu gehen.
Aber es ist nicht töricht, wenn man sich von
Versen abgestoßen fühlt wie von den folgen¬
den des Direktors, der eine Art Herrgott
darstellen soll, über Napoleon:

Wer empfindet das nicht frivol in der Er¬
innerung an das Jahr 1813, in dem auch
die religiöse Erhebung keine kleine Rolle
spielte? Daß der Herrgott gerade damals
"lächelnd hinter seiner Wand saß und die
Fäden in seiner Hand hielt", wird nicht als
eine angemessene Vorstellung erscheinen. Das
Lachen konnte damals, so meinen wir Menschen,
selbst einem Gott vergehen. Wenn eS dann

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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und dann durch einen Dichter, Herrn Hardt,
der allen denen, die anderer Meinung sind
als er, kurzerhand bestritt, daß sie „auch nur
ein Blatt unserer Geschichte verstanden hätten".
Nun wollen wir unsererseits an dein Verstand
dieser Herrschaften nicht zweifeln, aber Ge¬
schichte wird nicht mit dem Verstand allein
erfaßt, sondern auch mit dem Herzen. Ge¬
wiß genügt eS für ein gutes Theaterstück noch
nicht, eine gute Gesinnung zu haben; um¬
gekehrt aber ist ein nationales Festspiel ohne
die Möglichkeit, in wirklich breiten Kreisen
einen Widerhall des nationalen Gefühls zu
wecken, ein Unding- Und wenn man gegen
das Hanptmannsche Festspiel einwenden kann
und einwenden muß, daß es sich gründlich
im Tone bergreift, daß es Taktlosigkeiten
enthält, die von vornherein gewisse Kreise
des Volkes abstoßen mußten, so ist es ge¬
richtet. Ein Festspiel ist keine Vorlesung;
es soll erbauen, emporreißen I Es ist auch
nicht für einen kleinen Kreis literarisch und
nur literarisch Interessierter bestimmt, sondern
für große Massen. Diese Grundforderungen
sind in Hauptmanns Werk unberücksichtigt
geblieben. - Schweigen wir von den großen
allgemein künstlerischen Schwachen des Werkes
und seinen kleinen künstlerischen Vorzügen,
Prüfen wir die Gesinnung des Festspieles
und seine allgemeinste Form.

Schlagen wir das Buch auf, das im
Verlage S. Fischer, Berlin, erschienen ist, so
finden wir ein mehrere Seiten langes Vor¬
spiel auf demi Theater nach sehr berühmten
Mustern, ein Zwiegespräch zwischen dem Di¬
rektor — eines Puppenspieles I — und seinem
Helfer. Will die Masse, wollen wir bei solcher
Gelegenheit so sehr an das Theater erinnert
werden? Wir finden eS geschmacklos, wenn
die Haupthelden des Jahres 1813 hier im
Theaterjargon und ironisch als Akteure be¬
zeichnet werden, die damals ihre Rolle ge¬
spielt haben. Gerade damals haben die
Leute weniger als sonst im Leben Komödie
gespieltI Dazu war der Ernst des Jahres 1813
zu groß. Wohl interessierte eS im ersten
Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhundert einige
Literaten, die alte Marionettenbühne zu er¬
neuern, aber war dies hier eine Gelegenheit
dazu? Hauptmann hat sich also von vorn¬
herein so schlimm, wie nur möglich, im

[Spaltenumbruch]

Maßstabe vergriffen. DaS Werk ist in seiner
Gesamtform, in seinem Puppenspielcharakter,
dem der Ablauf wirklich entspricht, der Masse
des Volkes überhaupt nicht verständlich.
Und wenn am Schluß nach großen weihe¬
vollen Reden Athene - Deutschlands der
Direktor zu Blücher sagt:

so schmeckt das vielleicht kaltherzigen Literaten,
aber sonst niemandem. Und mit wieviel
Literatur, mit wieviel fremden Literaturen
ist das Buch vollgestopft. Man braucht kein
Gegner jedes Fremdwortes zu sein, aber eine
Häufung von solchen, wie in diesem natio¬
nalen Festspiel, wird einem kaum vorgekommen
sein. Was sollen die Leute damit?

Und der Inhalt: Gewiß ist es töricht,
wenn Anstoß genommen worden ist an den
Worten Napoleons über Schill und seine
Offiziere; Napoleon mußte doch dargestellt
werden und konnte sich dann nicht anders
äußern (redete Napoleon sonst nur in diesem
Festspiel überall napoleonisch l) Es ist auch
töricht, wenn von anderer Seite beanstandet
wurde, daß erwähnt wird, wie der Papst
nach Paris gekommen sei, um Napoleon zu
krönen, weil dieser es nicht der Mühe für
wert hielt, deshalb nach Rom zu gehen.
Aber es ist nicht töricht, wenn man sich von
Versen abgestoßen fühlt wie von den folgen¬
den des Direktors, der eine Art Herrgott
darstellen soll, über Napoleon:

Wer empfindet das nicht frivol in der Er¬
innerung an das Jahr 1813, in dem auch
die religiöse Erhebung keine kleine Rolle
spielte? Daß der Herrgott gerade damals
„lächelnd hinter seiner Wand saß und die
Fäden in seiner Hand hielt", wird nicht als
eine angemessene Vorstellung erscheinen. Das
Lachen konnte damals, so meinen wir Menschen,
selbst einem Gott vergehen. Wenn eS dann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/643>, abgerufen am 27.07.2024.