Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] und dann durch einen Dichter, Herrn Hardt, Schlagen wir das Buch auf, das im Maßstabe vergriffen. DaS Werk ist in seiner so schmeckt das vielleicht kaltherzigen Literaten, Und der Inhalt: Gewiß ist es töricht, Wer empfindet das nicht frivol in der Er¬ Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] und dann durch einen Dichter, Herrn Hardt, Schlagen wir das Buch auf, das im Maßstabe vergriffen. DaS Werk ist in seiner so schmeckt das vielleicht kaltherzigen Literaten, Und der Inhalt: Gewiß ist es töricht, Wer empfindet das nicht frivol in der Er¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0643" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/326163"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_3107" prev="#ID_3106"> und dann durch einen Dichter, Herrn Hardt,<lb/> der allen denen, die anderer Meinung sind<lb/> als er, kurzerhand bestritt, daß sie „auch nur<lb/> ein Blatt unserer Geschichte verstanden hätten".<lb/> Nun wollen wir unsererseits an dein Verstand<lb/> dieser Herrschaften nicht zweifeln, aber Ge¬<lb/> schichte wird nicht mit dem Verstand allein<lb/> erfaßt, sondern auch mit dem Herzen. Ge¬<lb/> wiß genügt eS für ein gutes Theaterstück noch<lb/> nicht, eine gute Gesinnung zu haben; um¬<lb/> gekehrt aber ist ein nationales Festspiel ohne<lb/> die Möglichkeit, in wirklich breiten Kreisen<lb/> einen Widerhall des nationalen Gefühls zu<lb/> wecken, ein Unding- Und wenn man gegen<lb/> das Hanptmannsche Festspiel einwenden kann<lb/> und einwenden muß, daß es sich gründlich<lb/> im Tone bergreift, daß es Taktlosigkeiten<lb/> enthält, die von vornherein gewisse Kreise<lb/> des Volkes abstoßen mußten, so ist es ge¬<lb/> richtet. Ein Festspiel ist keine Vorlesung;<lb/> es soll erbauen, emporreißen I Es ist auch<lb/> nicht für einen kleinen Kreis literarisch und<lb/> nur literarisch Interessierter bestimmt, sondern<lb/> für große Massen. Diese Grundforderungen<lb/> sind in Hauptmanns Werk unberücksichtigt<lb/> geblieben. - Schweigen wir von den großen<lb/> allgemein künstlerischen Schwachen des Werkes<lb/> und seinen kleinen künstlerischen Vorzügen,<lb/> Prüfen wir die Gesinnung des Festspieles<lb/> und seine allgemeinste Form.</p> <p xml:id="ID_3108" next="#ID_3109"> Schlagen wir das Buch auf, das im<lb/> Verlage S. Fischer, Berlin, erschienen ist, so<lb/> finden wir ein mehrere Seiten langes Vor¬<lb/> spiel auf demi Theater nach sehr berühmten<lb/> Mustern, ein Zwiegespräch zwischen dem Di¬<lb/> rektor — eines Puppenspieles I — und seinem<lb/> Helfer. Will die Masse, wollen wir bei solcher<lb/> Gelegenheit so sehr an das Theater erinnert<lb/> werden? Wir finden eS geschmacklos, wenn<lb/> die Haupthelden des Jahres 1813 hier im<lb/> Theaterjargon und ironisch als Akteure be¬<lb/> zeichnet werden, die damals ihre Rolle ge¬<lb/> spielt haben. Gerade damals haben die<lb/> Leute weniger als sonst im Leben Komödie<lb/> gespieltI Dazu war der Ernst des Jahres 1813<lb/> zu groß. Wohl interessierte eS im ersten<lb/> Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhundert einige<lb/> Literaten, die alte Marionettenbühne zu er¬<lb/> neuern, aber war dies hier eine Gelegenheit<lb/> dazu? Hauptmann hat sich also von vorn¬<lb/> herein so schlimm, wie nur möglich, im</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_3109" prev="#ID_3108"> Maßstabe vergriffen. DaS Werk ist in seiner<lb/> Gesamtform, in seinem Puppenspielcharakter,<lb/> dem der Ablauf wirklich entspricht, der Masse<lb/> des Volkes überhaupt nicht verständlich.<lb/> Und wenn am Schluß nach großen weihe¬<lb/> vollen Reden Athene - Deutschlands der<lb/> Direktor zu Blücher sagt:</p> <lg xml:id="POEMID_11" type="poem"> <l/> </lg> <p xml:id="ID_3110"> so schmeckt das vielleicht kaltherzigen Literaten,<lb/> aber sonst niemandem. Und mit wieviel<lb/> Literatur, mit wieviel fremden Literaturen<lb/> ist das Buch vollgestopft. Man braucht kein<lb/> Gegner jedes Fremdwortes zu sein, aber eine<lb/> Häufung von solchen, wie in diesem natio¬<lb/> nalen Festspiel, wird einem kaum vorgekommen<lb/> sein. Was sollen die Leute damit?</p> <p xml:id="ID_3111"> Und der Inhalt: Gewiß ist es töricht,<lb/> wenn Anstoß genommen worden ist an den<lb/> Worten Napoleons über Schill und seine<lb/> Offiziere; Napoleon mußte doch dargestellt<lb/> werden und konnte sich dann nicht anders<lb/> äußern (redete Napoleon sonst nur in diesem<lb/> Festspiel überall napoleonisch l) Es ist auch<lb/> töricht, wenn von anderer Seite beanstandet<lb/> wurde, daß erwähnt wird, wie der Papst<lb/> nach Paris gekommen sei, um Napoleon zu<lb/> krönen, weil dieser es nicht der Mühe für<lb/> wert hielt, deshalb nach Rom zu gehen.<lb/> Aber es ist nicht töricht, wenn man sich von<lb/> Versen abgestoßen fühlt wie von den folgen¬<lb/> den des Direktors, der eine Art Herrgott<lb/> darstellen soll, über Napoleon:</p> <lg xml:id="POEMID_12" type="poem"> <l/> </lg> <p xml:id="ID_3112" next="#ID_3113"> Wer empfindet das nicht frivol in der Er¬<lb/> innerung an das Jahr 1813, in dem auch<lb/> die religiöse Erhebung keine kleine Rolle<lb/> spielte? Daß der Herrgott gerade damals<lb/> „lächelnd hinter seiner Wand saß und die<lb/> Fäden in seiner Hand hielt", wird nicht als<lb/> eine angemessene Vorstellung erscheinen. Das<lb/> Lachen konnte damals, so meinen wir Menschen,<lb/> selbst einem Gott vergehen. Wenn eS dann</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0643]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
und dann durch einen Dichter, Herrn Hardt,
der allen denen, die anderer Meinung sind
als er, kurzerhand bestritt, daß sie „auch nur
ein Blatt unserer Geschichte verstanden hätten".
Nun wollen wir unsererseits an dein Verstand
dieser Herrschaften nicht zweifeln, aber Ge¬
schichte wird nicht mit dem Verstand allein
erfaßt, sondern auch mit dem Herzen. Ge¬
wiß genügt eS für ein gutes Theaterstück noch
nicht, eine gute Gesinnung zu haben; um¬
gekehrt aber ist ein nationales Festspiel ohne
die Möglichkeit, in wirklich breiten Kreisen
einen Widerhall des nationalen Gefühls zu
wecken, ein Unding- Und wenn man gegen
das Hanptmannsche Festspiel einwenden kann
und einwenden muß, daß es sich gründlich
im Tone bergreift, daß es Taktlosigkeiten
enthält, die von vornherein gewisse Kreise
des Volkes abstoßen mußten, so ist es ge¬
richtet. Ein Festspiel ist keine Vorlesung;
es soll erbauen, emporreißen I Es ist auch
nicht für einen kleinen Kreis literarisch und
nur literarisch Interessierter bestimmt, sondern
für große Massen. Diese Grundforderungen
sind in Hauptmanns Werk unberücksichtigt
geblieben. - Schweigen wir von den großen
allgemein künstlerischen Schwachen des Werkes
und seinen kleinen künstlerischen Vorzügen,
Prüfen wir die Gesinnung des Festspieles
und seine allgemeinste Form.
Schlagen wir das Buch auf, das im
Verlage S. Fischer, Berlin, erschienen ist, so
finden wir ein mehrere Seiten langes Vor¬
spiel auf demi Theater nach sehr berühmten
Mustern, ein Zwiegespräch zwischen dem Di¬
rektor — eines Puppenspieles I — und seinem
Helfer. Will die Masse, wollen wir bei solcher
Gelegenheit so sehr an das Theater erinnert
werden? Wir finden eS geschmacklos, wenn
die Haupthelden des Jahres 1813 hier im
Theaterjargon und ironisch als Akteure be¬
zeichnet werden, die damals ihre Rolle ge¬
spielt haben. Gerade damals haben die
Leute weniger als sonst im Leben Komödie
gespieltI Dazu war der Ernst des Jahres 1813
zu groß. Wohl interessierte eS im ersten
Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhundert einige
Literaten, die alte Marionettenbühne zu er¬
neuern, aber war dies hier eine Gelegenheit
dazu? Hauptmann hat sich also von vorn¬
herein so schlimm, wie nur möglich, im
Maßstabe vergriffen. DaS Werk ist in seiner
Gesamtform, in seinem Puppenspielcharakter,
dem der Ablauf wirklich entspricht, der Masse
des Volkes überhaupt nicht verständlich.
Und wenn am Schluß nach großen weihe¬
vollen Reden Athene - Deutschlands der
Direktor zu Blücher sagt:
so schmeckt das vielleicht kaltherzigen Literaten,
aber sonst niemandem. Und mit wieviel
Literatur, mit wieviel fremden Literaturen
ist das Buch vollgestopft. Man braucht kein
Gegner jedes Fremdwortes zu sein, aber eine
Häufung von solchen, wie in diesem natio¬
nalen Festspiel, wird einem kaum vorgekommen
sein. Was sollen die Leute damit?
Und der Inhalt: Gewiß ist es töricht,
wenn Anstoß genommen worden ist an den
Worten Napoleons über Schill und seine
Offiziere; Napoleon mußte doch dargestellt
werden und konnte sich dann nicht anders
äußern (redete Napoleon sonst nur in diesem
Festspiel überall napoleonisch l) Es ist auch
töricht, wenn von anderer Seite beanstandet
wurde, daß erwähnt wird, wie der Papst
nach Paris gekommen sei, um Napoleon zu
krönen, weil dieser es nicht der Mühe für
wert hielt, deshalb nach Rom zu gehen.
Aber es ist nicht töricht, wenn man sich von
Versen abgestoßen fühlt wie von den folgen¬
den des Direktors, der eine Art Herrgott
darstellen soll, über Napoleon:
Wer empfindet das nicht frivol in der Er¬
innerung an das Jahr 1813, in dem auch
die religiöse Erhebung keine kleine Rolle
spielte? Daß der Herrgott gerade damals
„lächelnd hinter seiner Wand saß und die
Fäden in seiner Hand hielt", wird nicht als
eine angemessene Vorstellung erscheinen. Das
Lachen konnte damals, so meinen wir Menschen,
selbst einem Gott vergehen. Wenn eS dann
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |