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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Icchrescuisstellnng des Deutschen Rimstlerbundos

läßt im Gewühl zerrissener Wolken warmes Abendgold über ferneblauen Bergen
aufglühen. Oder es breitet sich lichthelles Weideland in dem warmen Flimmern
des Sommertages hin. Die Klarheit sicherer Reife waltet in dem Reiterbildms
von 1902: die Mannesgestalt sitzt schlank und leicht im Sattel, in ungezwungener
Einheit mit dem Tier, und mit dem Grau und Braun wirkt das Laub des
herbstlichen Waldes einen gedämpften Vollklang von sachlicher Zurückhaltung und
meisterlicher Vornehmheit. Lovis Corinth läßt eine verschleierte Maske halb¬
entblößt ihre Üppigkeit zur Schau bieten -- Nubenssche Sinnenlust und die
malerische Delikatesse Goyas sind hier zu einem kräftig reichen Akkord zusammen¬
gezwungen. Und dieselbe Hand hat daneben einen Apostel Paulus geschaffen,
streng, knapp und bestimmt in der Linienführung, klar und klangvoll in der
farbigen Erscheinung. Vor einer Teppichwand eine hohe, hagere Gestalt, in
herbsrisches Blau gekleidet. Die Linke preßt mit ausgespreizten Fingern die
Bibel an die Brust, die knochige Rechte gestikuliert heftig dem Beschauer ent¬
gegen; auf einem sehnigen Hals reckt sich ein Kopf mit zerzausten Haaren empor,
der weitgeöffnete Mund weist seine Zahnlücken, unter der hohen, gefurchten
Stirn sind die Augen weit ausgerissen -- man mag von Paulus sich ein anderes
Bild machen, aber die Gestalt eines leidenschaftlichen Eiferers hat Corinth
jedenfalls mit überzeugender Eindringlichkeit hinzustellen vermocht. Sehr über¬
raschend führt sich Albert Weisgerber, der bisher nur durch satirische Zeichnungen
in der Münchener Jugend allgemein bekannt geworden ist, als religiöser Maler
ein. Er gestaltet einen nackten Jeremias, der sich in leidenschaftlicher Ver¬
zweiflung langsm zur Erde wirft, und er bietet eine neue Darstellung der
Marter des Sebastian. Zwischen den grauen Stämmen eines Waldes ist der
Heilige in die Knie gesunken, die Brust von Pfeilen durchbohrt; er hängt an
den Stricken, die ihm über dem Haupt die Fäuste zusammenknebeln. Helles
Licht flutet herab über den jugendlichen Körper, webt sich, um den Scheitel und
schimmert durch die hängenden Haarsträhnen hinein auf die gramvolle Sum,
über das in schweigendem Dulden sich niederneigende Antlitz. Und dies Auf¬
binden einsamer Qual ist umfangen von dem warmen Leben des Lichtes zwischen
den schlanken, hohen Bäumen und dem junghellen Laubgrün. Erschütternder
Ernst und tiefe Innerlichkeit geben der Sprache dieser stummen Tragödie ihre
unvergeßliche Eindrucksmacht.

Neben den Meistern der Tribun" hat man Wilhelm Trübner einen beson¬
deren Raum zugebilligt. Er zeigt darin Porträts, Reiter und Pferde, Land¬
schaften und Akte. Sie alle beweisen aufs neue die Breite und Vollkraft seines
Strichs, die Wucht, mit der er das Gesamtgefüge der körperlichen Erscheinung
sicherstellt und die farbigen Oberflächenwerte herausarbeitet. Die Stärke dieser
Kunst liegt ganz und gar im Malerischen. Das wird namentlich an den neueren
Bildnissen deutlich, die sich um eine reichere und feinere Belebung des Ausdrucks
nur wenig bekümmern. Es erweist sich auch in der Unbefangenheit, mit der
Trübner etwa einem beliebigen Freilichtakt eine Schüssel mit dem Haupte


Die Icchrescuisstellnng des Deutschen Rimstlerbundos

läßt im Gewühl zerrissener Wolken warmes Abendgold über ferneblauen Bergen
aufglühen. Oder es breitet sich lichthelles Weideland in dem warmen Flimmern
des Sommertages hin. Die Klarheit sicherer Reife waltet in dem Reiterbildms
von 1902: die Mannesgestalt sitzt schlank und leicht im Sattel, in ungezwungener
Einheit mit dem Tier, und mit dem Grau und Braun wirkt das Laub des
herbstlichen Waldes einen gedämpften Vollklang von sachlicher Zurückhaltung und
meisterlicher Vornehmheit. Lovis Corinth läßt eine verschleierte Maske halb¬
entblößt ihre Üppigkeit zur Schau bieten — Nubenssche Sinnenlust und die
malerische Delikatesse Goyas sind hier zu einem kräftig reichen Akkord zusammen¬
gezwungen. Und dieselbe Hand hat daneben einen Apostel Paulus geschaffen,
streng, knapp und bestimmt in der Linienführung, klar und klangvoll in der
farbigen Erscheinung. Vor einer Teppichwand eine hohe, hagere Gestalt, in
herbsrisches Blau gekleidet. Die Linke preßt mit ausgespreizten Fingern die
Bibel an die Brust, die knochige Rechte gestikuliert heftig dem Beschauer ent¬
gegen; auf einem sehnigen Hals reckt sich ein Kopf mit zerzausten Haaren empor,
der weitgeöffnete Mund weist seine Zahnlücken, unter der hohen, gefurchten
Stirn sind die Augen weit ausgerissen — man mag von Paulus sich ein anderes
Bild machen, aber die Gestalt eines leidenschaftlichen Eiferers hat Corinth
jedenfalls mit überzeugender Eindringlichkeit hinzustellen vermocht. Sehr über¬
raschend führt sich Albert Weisgerber, der bisher nur durch satirische Zeichnungen
in der Münchener Jugend allgemein bekannt geworden ist, als religiöser Maler
ein. Er gestaltet einen nackten Jeremias, der sich in leidenschaftlicher Ver¬
zweiflung langsm zur Erde wirft, und er bietet eine neue Darstellung der
Marter des Sebastian. Zwischen den grauen Stämmen eines Waldes ist der
Heilige in die Knie gesunken, die Brust von Pfeilen durchbohrt; er hängt an
den Stricken, die ihm über dem Haupt die Fäuste zusammenknebeln. Helles
Licht flutet herab über den jugendlichen Körper, webt sich, um den Scheitel und
schimmert durch die hängenden Haarsträhnen hinein auf die gramvolle Sum,
über das in schweigendem Dulden sich niederneigende Antlitz. Und dies Auf¬
binden einsamer Qual ist umfangen von dem warmen Leben des Lichtes zwischen
den schlanken, hohen Bäumen und dem junghellen Laubgrün. Erschütternder
Ernst und tiefe Innerlichkeit geben der Sprache dieser stummen Tragödie ihre
unvergeßliche Eindrucksmacht.

Neben den Meistern der Tribun« hat man Wilhelm Trübner einen beson¬
deren Raum zugebilligt. Er zeigt darin Porträts, Reiter und Pferde, Land¬
schaften und Akte. Sie alle beweisen aufs neue die Breite und Vollkraft seines
Strichs, die Wucht, mit der er das Gesamtgefüge der körperlichen Erscheinung
sicherstellt und die farbigen Oberflächenwerte herausarbeitet. Die Stärke dieser
Kunst liegt ganz und gar im Malerischen. Das wird namentlich an den neueren
Bildnissen deutlich, die sich um eine reichere und feinere Belebung des Ausdrucks
nur wenig bekümmern. Es erweist sich auch in der Unbefangenheit, mit der
Trübner etwa einem beliebigen Freilichtakt eine Schüssel mit dem Haupte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/635>, abgerufen am 27.07.2024.