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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Die Jahrcsausstellung des Deutschen Aünstlcrbundes

Um so wohltuender wirkt unter soviel Vortragstemperamenten und Stil¬
suchern ein Stück klar gesehener und schlicht wahrhaftig gestalteter Natur wie
Ulrich Hübners Lübeck, eine Häuserreihe am Wasser, von frischem, vollem Baum¬
grün umhegt, von grünen Turmhelmen überragt, niedertauchend in eine klar
und ruhig spiegelnde Tiefe. Oder Pietzschs leuchtender Blütenbaum auf blau¬
flutendem Himmelsgrund im golden durchblühten Gartenwinkel.

Die unbefangene Weitherzigkeit, die bei der Auslese der Kunstwerke ma߬
gebend war, hat neben den neuerem Landschafter genug aufgenommen, die ein¬
fache Wege durch altvertraute Bereiche gehen -- Thoma etwa, Hans von
Volkmann, Stadler, Otto --, haben sie ruhig neben Natnrumformungen eingereiht,
die wie die Bilder von Erbshöh oder Feigerl die Laubmassen der Bäume eckig
zurechtstutzen und die einzelnen Kronenstücke zu wulstigen Massen ineincmderkeilen.

Dieser Gerechtigkeit dankt die Ausstellung überhaupt manchen freundlichen
Ausgleich. Es fehlt natürlich nicht an Stilleben von primitivster Wucht, auf
denen Flaschen und Töpfe mit verzogenem Umriß, als wären sie aus Gummi,
in einer Farbfläche schweben, aber daneben dürfen sich doch auch stillere Ge¬
schwister bescheidentlich behaupten, die mit einer friedlichen Freude dem orga¬
nischen Eigenleben der Dinge nachgehen, ihren Oberflächenschimmer und das
Schillern farbiger Widerscheine zart und behutsam einfangen. Und auch im
Bildnis braucht ja schließlich nicht einzig und überall die Selbstherrlichkeit der
Pinselführung Form und Ausdruck der Persönlichkeitswiedergabe zu bestimmen,
seine farbige Erscheinung kann doch auch einmal mehr festhalten wollen als
nur einen Augenblickszufall ganz äußerlicher Art oder einen Augenreiz des
Malers. So ist denn da und dort einem Porträt Raum gegönnt, das dem
Physischen mit schlichter Deutlichkeit gerecht wird und in das Seelische liebevoll
eingeht, wie das ausgezeichnete, warm lebendige und malerisch feine Herren¬
bildnis von Schmurr. Bietet sich dann gar als Gegenstand der Darstellung
eine von der Natur so vollrund entfaltete Leiblichkeit wie sie der Domkapitular
Schnütgen sein eigen nennen darf, so mag einem Künstler wie dem Grafen
Kalckreuth freilich ein Werk voll kräftiger Lebensfrische gelingen.

Kalckreuth hat sich mit seinen übrigen Werken den Leitern und Richtern
des Künstlerbundes zugesellt, die in der höchsten, reinlichsten Zelle von ihrem
Schaffen Rechenschaft geben. Hier hat im "Tromphaus" ein Malertraum von
bannender Schönheit durch ihn seine Gestaltung empfangen. Aus dem grün¬
überschatteten Häuserwinkel am stillen, blanken Wasserlauf wird ein wunderbar
zartes Gewebe von klarem Spiegeln und schwimmendem, schwebendem Wider¬
schein, schmiegsamen Licht und lebendig spielenden Dämmerungen. Liebermann
hat zwei tonfeine Standbilder beigesteuert, deren freie Helligkeit neben dem
gedämpften Innerliche der älteren "Kinderschule" doppelt eindringlich wirkt.
Clarenbach gibt Winterlandschaften von fein durchgebildeter Harmonie Heller
Silbertone, wohlabgewogen in den Formmafsen und klar im Durchblick. Viel¬
gestaltig und wandlnngsfähig erscheint Max Slevogt. Eine kleine Landschaft


Die Jahrcsausstellung des Deutschen Aünstlcrbundes

Um so wohltuender wirkt unter soviel Vortragstemperamenten und Stil¬
suchern ein Stück klar gesehener und schlicht wahrhaftig gestalteter Natur wie
Ulrich Hübners Lübeck, eine Häuserreihe am Wasser, von frischem, vollem Baum¬
grün umhegt, von grünen Turmhelmen überragt, niedertauchend in eine klar
und ruhig spiegelnde Tiefe. Oder Pietzschs leuchtender Blütenbaum auf blau¬
flutendem Himmelsgrund im golden durchblühten Gartenwinkel.

Die unbefangene Weitherzigkeit, die bei der Auslese der Kunstwerke ma߬
gebend war, hat neben den neuerem Landschafter genug aufgenommen, die ein¬
fache Wege durch altvertraute Bereiche gehen — Thoma etwa, Hans von
Volkmann, Stadler, Otto —, haben sie ruhig neben Natnrumformungen eingereiht,
die wie die Bilder von Erbshöh oder Feigerl die Laubmassen der Bäume eckig
zurechtstutzen und die einzelnen Kronenstücke zu wulstigen Massen ineincmderkeilen.

Dieser Gerechtigkeit dankt die Ausstellung überhaupt manchen freundlichen
Ausgleich. Es fehlt natürlich nicht an Stilleben von primitivster Wucht, auf
denen Flaschen und Töpfe mit verzogenem Umriß, als wären sie aus Gummi,
in einer Farbfläche schweben, aber daneben dürfen sich doch auch stillere Ge¬
schwister bescheidentlich behaupten, die mit einer friedlichen Freude dem orga¬
nischen Eigenleben der Dinge nachgehen, ihren Oberflächenschimmer und das
Schillern farbiger Widerscheine zart und behutsam einfangen. Und auch im
Bildnis braucht ja schließlich nicht einzig und überall die Selbstherrlichkeit der
Pinselführung Form und Ausdruck der Persönlichkeitswiedergabe zu bestimmen,
seine farbige Erscheinung kann doch auch einmal mehr festhalten wollen als
nur einen Augenblickszufall ganz äußerlicher Art oder einen Augenreiz des
Malers. So ist denn da und dort einem Porträt Raum gegönnt, das dem
Physischen mit schlichter Deutlichkeit gerecht wird und in das Seelische liebevoll
eingeht, wie das ausgezeichnete, warm lebendige und malerisch feine Herren¬
bildnis von Schmurr. Bietet sich dann gar als Gegenstand der Darstellung
eine von der Natur so vollrund entfaltete Leiblichkeit wie sie der Domkapitular
Schnütgen sein eigen nennen darf, so mag einem Künstler wie dem Grafen
Kalckreuth freilich ein Werk voll kräftiger Lebensfrische gelingen.

Kalckreuth hat sich mit seinen übrigen Werken den Leitern und Richtern
des Künstlerbundes zugesellt, die in der höchsten, reinlichsten Zelle von ihrem
Schaffen Rechenschaft geben. Hier hat im „Tromphaus" ein Malertraum von
bannender Schönheit durch ihn seine Gestaltung empfangen. Aus dem grün¬
überschatteten Häuserwinkel am stillen, blanken Wasserlauf wird ein wunderbar
zartes Gewebe von klarem Spiegeln und schwimmendem, schwebendem Wider¬
schein, schmiegsamen Licht und lebendig spielenden Dämmerungen. Liebermann
hat zwei tonfeine Standbilder beigesteuert, deren freie Helligkeit neben dem
gedämpften Innerliche der älteren „Kinderschule" doppelt eindringlich wirkt.
Clarenbach gibt Winterlandschaften von fein durchgebildeter Harmonie Heller
Silbertone, wohlabgewogen in den Formmafsen und klar im Durchblick. Viel¬
gestaltig und wandlnngsfähig erscheint Max Slevogt. Eine kleine Landschaft


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[0634] Die Jahrcsausstellung des Deutschen Aünstlcrbundes Um so wohltuender wirkt unter soviel Vortragstemperamenten und Stil¬ suchern ein Stück klar gesehener und schlicht wahrhaftig gestalteter Natur wie Ulrich Hübners Lübeck, eine Häuserreihe am Wasser, von frischem, vollem Baum¬ grün umhegt, von grünen Turmhelmen überragt, niedertauchend in eine klar und ruhig spiegelnde Tiefe. Oder Pietzschs leuchtender Blütenbaum auf blau¬ flutendem Himmelsgrund im golden durchblühten Gartenwinkel. Die unbefangene Weitherzigkeit, die bei der Auslese der Kunstwerke ma߬ gebend war, hat neben den neuerem Landschafter genug aufgenommen, die ein¬ fache Wege durch altvertraute Bereiche gehen — Thoma etwa, Hans von Volkmann, Stadler, Otto —, haben sie ruhig neben Natnrumformungen eingereiht, die wie die Bilder von Erbshöh oder Feigerl die Laubmassen der Bäume eckig zurechtstutzen und die einzelnen Kronenstücke zu wulstigen Massen ineincmderkeilen. Dieser Gerechtigkeit dankt die Ausstellung überhaupt manchen freundlichen Ausgleich. Es fehlt natürlich nicht an Stilleben von primitivster Wucht, auf denen Flaschen und Töpfe mit verzogenem Umriß, als wären sie aus Gummi, in einer Farbfläche schweben, aber daneben dürfen sich doch auch stillere Ge¬ schwister bescheidentlich behaupten, die mit einer friedlichen Freude dem orga¬ nischen Eigenleben der Dinge nachgehen, ihren Oberflächenschimmer und das Schillern farbiger Widerscheine zart und behutsam einfangen. Und auch im Bildnis braucht ja schließlich nicht einzig und überall die Selbstherrlichkeit der Pinselführung Form und Ausdruck der Persönlichkeitswiedergabe zu bestimmen, seine farbige Erscheinung kann doch auch einmal mehr festhalten wollen als nur einen Augenblickszufall ganz äußerlicher Art oder einen Augenreiz des Malers. So ist denn da und dort einem Porträt Raum gegönnt, das dem Physischen mit schlichter Deutlichkeit gerecht wird und in das Seelische liebevoll eingeht, wie das ausgezeichnete, warm lebendige und malerisch feine Herren¬ bildnis von Schmurr. Bietet sich dann gar als Gegenstand der Darstellung eine von der Natur so vollrund entfaltete Leiblichkeit wie sie der Domkapitular Schnütgen sein eigen nennen darf, so mag einem Künstler wie dem Grafen Kalckreuth freilich ein Werk voll kräftiger Lebensfrische gelingen. Kalckreuth hat sich mit seinen übrigen Werken den Leitern und Richtern des Künstlerbundes zugesellt, die in der höchsten, reinlichsten Zelle von ihrem Schaffen Rechenschaft geben. Hier hat im „Tromphaus" ein Malertraum von bannender Schönheit durch ihn seine Gestaltung empfangen. Aus dem grün¬ überschatteten Häuserwinkel am stillen, blanken Wasserlauf wird ein wunderbar zartes Gewebe von klarem Spiegeln und schwimmendem, schwebendem Wider¬ schein, schmiegsamen Licht und lebendig spielenden Dämmerungen. Liebermann hat zwei tonfeine Standbilder beigesteuert, deren freie Helligkeit neben dem gedämpften Innerliche der älteren „Kinderschule" doppelt eindringlich wirkt. Clarenbach gibt Winterlandschaften von fein durchgebildeter Harmonie Heller Silbertone, wohlabgewogen in den Formmafsen und klar im Durchblick. Viel¬ gestaltig und wandlnngsfähig erscheint Max Slevogt. Eine kleine Landschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/634>, abgerufen am 22.12.2024.