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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

am erfolgreichsten im Welteroberungsbestreben war. konnte der Tempel des
Kriegsgottes nur äußerst selten geschlossen werden: der Krieg riß eigentlich nie
ab. So ist die Welteroberung nicht der Schlußstein in der Vergesellschaftung
der Menschheit; sie bedeutet nicht die Bekrönung dieser Großtat des Menschen,
wenn schon auch sie des Friedens wegen in die Wege geleitet worden ist.

Das Mittelalter ist -- entwicklungshistorisch beurteilt -- über das Altertum
in dieser Grundfrage nicht hinausgekommen. Kaisertum und Papsttum, beide
streben ganz offen -- als Erben der römischen Imperatoren -- nach der
Weltherrschaft. Zumal das erstere hat große Erfolge, und gerade die hervor¬
ragendsten deutschen Kaiser erwiesen sich als die hauptsächlichsten Vorkämpfer
in diesem Ringen, das in den damaligen Jahrhunderten als das höchste allen
politischen Wirkens angesehen wurde.

Wie urteilt beispielsweise Dante, der schon am Ausgang dieser Epoche
steht, noch so anerkennend über die Bestrebungen der Kaiser. Ihm sind Kaiser¬
tum und Weltmonarchie identisch; und die letztere ist nach ihm einfach ein
Postulat der Vernunft, weil sie zuni besten Zustand der Welt notwendig ist.
Indem der Kaiser, legt er dar, nach derselben trachtet, zeigt er, daß er das
Wohl der Menschheit am meisten liebt; da also die Menschheit sich im besten
Zustand befindet, wenn sie von einem regiert wird, so ist zum Heile der Welt
das Kaisertum, d. h. die Weltmonarchie nötig.

Im Kampfe mit seinem Rivalen brach das Kaisertum zusammen, und
das Papsttum trat daraufhin mit dem Anspruch der Suprematie über die
Staaten auf den Plan. Doch war eben jener Zusammenbruch für die nach
der Weltmacht strebende katholische Kirche gleichfalls von verhängnisvollen
Folgen. Durch die Niederzwingung des Kaisers hatte sie sich des Armes be¬
raubt, der ihre Befehle durchzuführen vermochte. Ursprünglich als Vogt, dann,
trotz der Rivalität, noch in Nachwirkung dieses Verhältnisses hatte das Kaiser¬
tum die römische Kirche geschirmt, war jenes die Grundlage, die Vorbedingung
der Macht für diese gewesen. Dieser Grundlage hatte sich das Papsttum
selber beraubt; und wenn auch die Fürsten zunächst noch in? Papste den Be-
sieger des Kaisers verehrten, ihm die Nachfolge desselben nominell zuerkannten,
so war die päpstliche Suprematie eben doch nur nominell vorhanden. Es fehlte dem
Papste die reale Macht, seine Würde zur Geltung zu bringen, sowie er auf
Widerstand seitens der weltlichen Mächte stieß. Darum erfolgte ein rapides
Sinken dieser Autorität, ein geradezu plötzlicher Sturz von höchster Höhe herab
zur Machtlosigkeit.

Es kam daraufhin sehr bald zur Anerkennung von einander unabhängiger
gleichberechtigter Staaten -- und damit beginnt? die Neuzeit. In dem Be¬
streben, sich von dem Papsttum völlig zu emanzipieren, lernten die Staaten,
daß sie in gleicher Abhängigkeit gestanden, daß sie darum die gleichen Interessen
hatten; sie waren, da der Papst bald zur Ohnmacht verurteilt war, gleich
konstituierte weltliche Gesellschaften, eben souveräne Staaten, nebeneinander,


Der Zusammenbruch der Herrschaft Napoleons des Ersten

am erfolgreichsten im Welteroberungsbestreben war. konnte der Tempel des
Kriegsgottes nur äußerst selten geschlossen werden: der Krieg riß eigentlich nie
ab. So ist die Welteroberung nicht der Schlußstein in der Vergesellschaftung
der Menschheit; sie bedeutet nicht die Bekrönung dieser Großtat des Menschen,
wenn schon auch sie des Friedens wegen in die Wege geleitet worden ist.

Das Mittelalter ist — entwicklungshistorisch beurteilt — über das Altertum
in dieser Grundfrage nicht hinausgekommen. Kaisertum und Papsttum, beide
streben ganz offen — als Erben der römischen Imperatoren — nach der
Weltherrschaft. Zumal das erstere hat große Erfolge, und gerade die hervor¬
ragendsten deutschen Kaiser erwiesen sich als die hauptsächlichsten Vorkämpfer
in diesem Ringen, das in den damaligen Jahrhunderten als das höchste allen
politischen Wirkens angesehen wurde.

Wie urteilt beispielsweise Dante, der schon am Ausgang dieser Epoche
steht, noch so anerkennend über die Bestrebungen der Kaiser. Ihm sind Kaiser¬
tum und Weltmonarchie identisch; und die letztere ist nach ihm einfach ein
Postulat der Vernunft, weil sie zuni besten Zustand der Welt notwendig ist.
Indem der Kaiser, legt er dar, nach derselben trachtet, zeigt er, daß er das
Wohl der Menschheit am meisten liebt; da also die Menschheit sich im besten
Zustand befindet, wenn sie von einem regiert wird, so ist zum Heile der Welt
das Kaisertum, d. h. die Weltmonarchie nötig.

Im Kampfe mit seinem Rivalen brach das Kaisertum zusammen, und
das Papsttum trat daraufhin mit dem Anspruch der Suprematie über die
Staaten auf den Plan. Doch war eben jener Zusammenbruch für die nach
der Weltmacht strebende katholische Kirche gleichfalls von verhängnisvollen
Folgen. Durch die Niederzwingung des Kaisers hatte sie sich des Armes be¬
raubt, der ihre Befehle durchzuführen vermochte. Ursprünglich als Vogt, dann,
trotz der Rivalität, noch in Nachwirkung dieses Verhältnisses hatte das Kaiser¬
tum die römische Kirche geschirmt, war jenes die Grundlage, die Vorbedingung
der Macht für diese gewesen. Dieser Grundlage hatte sich das Papsttum
selber beraubt; und wenn auch die Fürsten zunächst noch in? Papste den Be-
sieger des Kaisers verehrten, ihm die Nachfolge desselben nominell zuerkannten,
so war die päpstliche Suprematie eben doch nur nominell vorhanden. Es fehlte dem
Papste die reale Macht, seine Würde zur Geltung zu bringen, sowie er auf
Widerstand seitens der weltlichen Mächte stieß. Darum erfolgte ein rapides
Sinken dieser Autorität, ein geradezu plötzlicher Sturz von höchster Höhe herab
zur Machtlosigkeit.

Es kam daraufhin sehr bald zur Anerkennung von einander unabhängiger
gleichberechtigter Staaten — und damit beginnt? die Neuzeit. In dem Be¬
streben, sich von dem Papsttum völlig zu emanzipieren, lernten die Staaten,
daß sie in gleicher Abhängigkeit gestanden, daß sie darum die gleichen Interessen
hatten; sie waren, da der Papst bald zur Ohnmacht verurteilt war, gleich
konstituierte weltliche Gesellschaften, eben souveräne Staaten, nebeneinander,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/598>, abgerufen am 30.12.2024.