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Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr.

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Römische Rcnserinnen

raklers und der Tätigkeit des zweiten Kaisers, dem er als Herrscher wie als
Mensch volle Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Der 37 nach Christi erfolgte Tod des Tiberius zeigte "den Römern
zum erstenmal, daß, wenn es schon schwer hielt, den richtigen Kaiser zu be¬
kommen, es noch schwieriger war, eine Kaiserin dazu zu finden", die wie Lima
allen Anforderungen an vornehme Abkunft, Tugend und Intelligenz entsprach,
und weil die Gemahlinnen der folgenden Kaiser diese meist nicht erfüllen konnten,
waren sie es. "die, ohne sich selbst darüber im klaren zu sein, das mächtige
julisch-claudische Haus ins Verderben stürzten".

Diesen Gedanken begründet Ferrero dann weiterhin aus den Tatsachen
der Geschichte in den nächsten Jahrzehnten: Caligula, der durch seine ägyptischen
Aspirationen einer Geschwisterehe seine Schwester Drusilla in einen frühen Tod
trieb, war nicht imstande, "die Stelle, die eine Lima innegehabt, mit einer
ihrer würdigen Nachfolgerin" zu besetzen.

Claudius, das "leichtgläubige, schreckhafte und impressionable alte Kind",
hatte als erste Gemahlin Valeria Messalina, die, nicht geneigt ihm "einen
Teil seiner Regierungssorgen abzunehmen", sich nur bemühte, die Mittel zu be¬
schaffen, "mit denen sie ihre riesigen Ausgaben zur Befriedigung ihrer Ge¬
nußsucht und ihres Luxusbedürfnisses decken konnte". Erst Messalinas Nach¬
folgerin Agrippina, die Tochter des Germanicus, führte durch Sparsamkeit und
Schärfe des Regiments eine "Periode der Ordnung und strengen Zucht" her¬
bei, "wie denn ihre ganze Politik auf die Wiederbelebung der Regierungsgrund-
sätze des aristokratischen Regimes ausging" und sie auch in ihrer Thronfolge¬
politik den Bahnen des Augustus folgte, indem sie nur den Vorteil der Familie
und des Staates, nicht den persönlichen im Auge hatte. Das beweist ihr Ver¬
halten ihrem eigenen Sohn Nero gegenüber, den sie, als er auf verkehrten Bahnen
wandelte, dem Interesse des Staates zum Opfer gebracht hätte, wenn es ihr
möglich gewesen wäre. Agrippina fiel schließlich dem Haß der Poppaea Sabina.
Neros späterer Gemahlin, anheim: Nero ließ sich verleiten, den Muttermord zu
befehlen und gutzuheißen. Sie "starb wie der Soldat auf seinem Posten, als
tapfere Vorkämpferin für das gesellschaftliche und politische Erbe des alten
Geschlechteradels und die altehrwürdigen Traditionen, ... für ihre Familie,
für ihren Stand und für Rom".

Betrachten wir das Geschick des julisch-claudischen Hauses, wie Ferrero
es gezeichnet hat, im ganzen, so erkennen wir: es ist in den Männern und
Frauen dieses Hauses mehr stolzer römischer Sinn als absolute Tyrannei,
mehr Staatsgefinnung als Eigennutz, weniger Schuld als Tragik und Unheil,
die schlimmer noch die Frauen heimsuchten als die Männer. Und so ge¬
winnen wir die Erkenntnis von neuem, daß "der Prozeß des Fortschritts eine
der tragischsten Erscheinungen in der Weltgeschichte darstellt".

Ferrero hat bereits in seinem oben genannten, großen Werke sich als un¬
abhängiger, besonnener Forscher mit einer glänzenden Darstellungskraft bewährt


Römische Rcnserinnen

raklers und der Tätigkeit des zweiten Kaisers, dem er als Herrscher wie als
Mensch volle Gerechtigkeit widerfahren läßt.

Der 37 nach Christi erfolgte Tod des Tiberius zeigte „den Römern
zum erstenmal, daß, wenn es schon schwer hielt, den richtigen Kaiser zu be¬
kommen, es noch schwieriger war, eine Kaiserin dazu zu finden", die wie Lima
allen Anforderungen an vornehme Abkunft, Tugend und Intelligenz entsprach,
und weil die Gemahlinnen der folgenden Kaiser diese meist nicht erfüllen konnten,
waren sie es. „die, ohne sich selbst darüber im klaren zu sein, das mächtige
julisch-claudische Haus ins Verderben stürzten".

Diesen Gedanken begründet Ferrero dann weiterhin aus den Tatsachen
der Geschichte in den nächsten Jahrzehnten: Caligula, der durch seine ägyptischen
Aspirationen einer Geschwisterehe seine Schwester Drusilla in einen frühen Tod
trieb, war nicht imstande, „die Stelle, die eine Lima innegehabt, mit einer
ihrer würdigen Nachfolgerin" zu besetzen.

Claudius, das „leichtgläubige, schreckhafte und impressionable alte Kind",
hatte als erste Gemahlin Valeria Messalina, die, nicht geneigt ihm „einen
Teil seiner Regierungssorgen abzunehmen", sich nur bemühte, die Mittel zu be¬
schaffen, „mit denen sie ihre riesigen Ausgaben zur Befriedigung ihrer Ge¬
nußsucht und ihres Luxusbedürfnisses decken konnte". Erst Messalinas Nach¬
folgerin Agrippina, die Tochter des Germanicus, führte durch Sparsamkeit und
Schärfe des Regiments eine „Periode der Ordnung und strengen Zucht" her¬
bei, „wie denn ihre ganze Politik auf die Wiederbelebung der Regierungsgrund-
sätze des aristokratischen Regimes ausging" und sie auch in ihrer Thronfolge¬
politik den Bahnen des Augustus folgte, indem sie nur den Vorteil der Familie
und des Staates, nicht den persönlichen im Auge hatte. Das beweist ihr Ver¬
halten ihrem eigenen Sohn Nero gegenüber, den sie, als er auf verkehrten Bahnen
wandelte, dem Interesse des Staates zum Opfer gebracht hätte, wenn es ihr
möglich gewesen wäre. Agrippina fiel schließlich dem Haß der Poppaea Sabina.
Neros späterer Gemahlin, anheim: Nero ließ sich verleiten, den Muttermord zu
befehlen und gutzuheißen. Sie „starb wie der Soldat auf seinem Posten, als
tapfere Vorkämpferin für das gesellschaftliche und politische Erbe des alten
Geschlechteradels und die altehrwürdigen Traditionen, ... für ihre Familie,
für ihren Stand und für Rom".

Betrachten wir das Geschick des julisch-claudischen Hauses, wie Ferrero
es gezeichnet hat, im ganzen, so erkennen wir: es ist in den Männern und
Frauen dieses Hauses mehr stolzer römischer Sinn als absolute Tyrannei,
mehr Staatsgefinnung als Eigennutz, weniger Schuld als Tragik und Unheil,
die schlimmer noch die Frauen heimsuchten als die Männer. Und so ge¬
winnen wir die Erkenntnis von neuem, daß „der Prozeß des Fortschritts eine
der tragischsten Erscheinungen in der Weltgeschichte darstellt".

Ferrero hat bereits in seinem oben genannten, großen Werke sich als un¬
abhängiger, besonnener Forscher mit einer glänzenden Darstellungskraft bewährt


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[0591] Römische Rcnserinnen raklers und der Tätigkeit des zweiten Kaisers, dem er als Herrscher wie als Mensch volle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Der 37 nach Christi erfolgte Tod des Tiberius zeigte „den Römern zum erstenmal, daß, wenn es schon schwer hielt, den richtigen Kaiser zu be¬ kommen, es noch schwieriger war, eine Kaiserin dazu zu finden", die wie Lima allen Anforderungen an vornehme Abkunft, Tugend und Intelligenz entsprach, und weil die Gemahlinnen der folgenden Kaiser diese meist nicht erfüllen konnten, waren sie es. „die, ohne sich selbst darüber im klaren zu sein, das mächtige julisch-claudische Haus ins Verderben stürzten". Diesen Gedanken begründet Ferrero dann weiterhin aus den Tatsachen der Geschichte in den nächsten Jahrzehnten: Caligula, der durch seine ägyptischen Aspirationen einer Geschwisterehe seine Schwester Drusilla in einen frühen Tod trieb, war nicht imstande, „die Stelle, die eine Lima innegehabt, mit einer ihrer würdigen Nachfolgerin" zu besetzen. Claudius, das „leichtgläubige, schreckhafte und impressionable alte Kind", hatte als erste Gemahlin Valeria Messalina, die, nicht geneigt ihm „einen Teil seiner Regierungssorgen abzunehmen", sich nur bemühte, die Mittel zu be¬ schaffen, „mit denen sie ihre riesigen Ausgaben zur Befriedigung ihrer Ge¬ nußsucht und ihres Luxusbedürfnisses decken konnte". Erst Messalinas Nach¬ folgerin Agrippina, die Tochter des Germanicus, führte durch Sparsamkeit und Schärfe des Regiments eine „Periode der Ordnung und strengen Zucht" her¬ bei, „wie denn ihre ganze Politik auf die Wiederbelebung der Regierungsgrund- sätze des aristokratischen Regimes ausging" und sie auch in ihrer Thronfolge¬ politik den Bahnen des Augustus folgte, indem sie nur den Vorteil der Familie und des Staates, nicht den persönlichen im Auge hatte. Das beweist ihr Ver¬ halten ihrem eigenen Sohn Nero gegenüber, den sie, als er auf verkehrten Bahnen wandelte, dem Interesse des Staates zum Opfer gebracht hätte, wenn es ihr möglich gewesen wäre. Agrippina fiel schließlich dem Haß der Poppaea Sabina. Neros späterer Gemahlin, anheim: Nero ließ sich verleiten, den Muttermord zu befehlen und gutzuheißen. Sie „starb wie der Soldat auf seinem Posten, als tapfere Vorkämpferin für das gesellschaftliche und politische Erbe des alten Geschlechteradels und die altehrwürdigen Traditionen, ... für ihre Familie, für ihren Stand und für Rom". Betrachten wir das Geschick des julisch-claudischen Hauses, wie Ferrero es gezeichnet hat, im ganzen, so erkennen wir: es ist in den Männern und Frauen dieses Hauses mehr stolzer römischer Sinn als absolute Tyrannei, mehr Staatsgefinnung als Eigennutz, weniger Schuld als Tragik und Unheil, die schlimmer noch die Frauen heimsuchten als die Männer. Und so ge¬ winnen wir die Erkenntnis von neuem, daß „der Prozeß des Fortschritts eine der tragischsten Erscheinungen in der Weltgeschichte darstellt". Ferrero hat bereits in seinem oben genannten, großen Werke sich als un¬ abhängiger, besonnener Forscher mit einer glänzenden Darstellungskraft bewährt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 72, 1913, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341897_325519/591>, abgerufen am 27.07.2024.